Städtetrips sind ja immer etwas tolles für mich – kurz und knackig, 2 bis 3 Tage eine Stadt zu Fuß erlaufen, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten abhaken und die kulinarische Kultur entdecken. Der neueste Eintrag im Tagebuch ist bei mir Schwedens Hauptstadt Stockholm. Ende Oktober war das Wetter nicht hundertprozentig ideal, aber das hielt uns nicht davon ab, auf dem Hotelschiff Mälardrottningen, einer zum Hotel umgebauten ehemaligen Luxusyacht, in Stockbetten zu übernachten und von dort aus kreisförmig die Stadt zu erkunden. Die atemberaubende Vasa, tolle Architektur, viel Kunst und Kultur, und natürlich die Krönung des Aufenthalts, die allgegenwärtigen Kanelbullar und Kardemummabullar (Zimt- bzw. Kardamomschnecken) sind, da bin ich überzeugt, immer eine Reise wert. Die nahezu durchgängige Digitalisierung sorgt dafür, dass man in 5 Tagen Aufenthalt in Schweden nicht einmal eine Kronenmünze oder -schein zu Gesicht bekommt, geschweige denn in der Hand hat; alles bis hin zur öffentlichen Toilette wird über Kartenleser gesteuert.
Mitbringsel sind natürlich immer wichtig, und aus Stockholm habe ich mir zwei schwedische Cocktailbücher, einen Aquavit, einen Swedish Punsch und etwas, von dem ich noch nie zuvor gehört hatte, mitgebracht: den Herrgårds Julsnaps aus der Brennerei O.P. Anderson. Da gilt es natürlich erstmal zu klären, was das überhaupt ist! Eigentlich ganz einfach: es handelt sich dabei um einen Aquavit, der fassgereift wurde und mit zusätzlichen Zutaten weiteraromatisiert ist.
Die Aquavitbasis, die für den Julsnaps („Weihnachtsschnaps“) benutzt wird, ist ein klassischer schwedischer Aquavit, angesetzt mit Kümmel, Fenchel und Koriander. Eine Reifung in Sherryfässern erzeugt die Farbe und eine gewisse Rundheit, dann werden noch frische Orange, Nelken, Ingwer und Kardamom dazugegeben, um die totale Weihnachtsstimmung beim Genießer ausbrechen zu lassen. In Schweden trinkt man einen Julsnaps, wie der Name schon sagt, tatsächlich zu Weihnachten, die Foodpairingempfehlung beim Herrgårds Julsnaps deutet auf Hering und Lachs, ist aber auch offen für andere Gerichte auf der Weihnachtstafel bis hin zu Aufschnitt und Käse. Mit 38% Alkoholgehalt hat man hier für so einen Zweck auch einen angemessenen Wumms, bei dem die Verwandschaft sicher zusätzlich einen guten Groove bekommt. Probieren wir es aus.
Leicht blasses, aber leuchtendes Gold schwenkt sich gemütlich im Glas, lebendig und mit nur leichter Viskosität. Einzelne, dafür rechte dicke Beinchen bilden sich an der Glaswand, laufen recht zügig ab, hinterlassen dennoch ein hübsches Gittermuster.
Die Zutaten des Herrgårds sind sofort präsent in der Nase – allen voran die Orangenzeste, die wirklich sehr expressiv wie eine frisch geschälte Orange riecht. Kümmel aus der Aquavitbasis kommt schnell danach, erstaunlich, wie gut allein schon diese zwei Komponenten zusammenpassen, damit hätte ich nicht gerechnet. Nelken und Kardamom spielen dagegen eine untergeordnete Rolle im Geruch, sind aber erkennbar, wenn man danach sucht. Insgesamt entsteht so ein recht herber, frischer Duft, der wirklich angenehm zu schnuppern ist, und bei dem man sich wirklich auf den ersten Schluck freut.
Die herbe Seite ist auch im Mund sofort erkennbar, bei einem nur als Restsüße vorhandenen Zuckergehalt von deutlich unter 1g/L (und selbst der stammt wohl eher aus dem Sherryfass) spürt man trotzdem eine dezente, nur ganz milde Süße. Die Zestigkeit der Orange definiert erstmal Geschmack und Struktur, schnell gefolgt von Kümmel, Fenchel, Nelken und Ingwer, der eine ganz vorsichtige, prickelnde Schärfe dazugibt. Im Verlauf ist die Aquavitbasis stärker im Vordergrund mit seinen Botanicals, leicht im Gewicht und klar, ohne jede Klebrigkeit, luftig im Volumen. Gegen Ende wird der Herrgårds immer grüner und kräuteriger, erinnert nun an Blattschnitt, Dill und etwas Estragon. Leicht astringierend hinterlässt er dann einen trockenen, aber sehr erfrischten Mundraum, die ätherischen Öle der Orange bleiben lange hängen mit einer angenehmen Kardamomkühle.
Eine ungewöhnliche Zusammenstellung, deutlich kräuteriger und frischer als ein Gin, und diese herrliche Orangenzeste, voll natürlich und hochgradig effektiv, krönt einen sehr angenehm zu trinkenden Schnaps. Völlig unkompliziert, dafür durchaus mit einem guten Maß an Komplexität – das ist wirklich garantiert sowohl als Aperitif als auch als Digestif hervorragend geeignet und macht dann sowohl Spaß, dient aber auch gut zum Klären des Gaumens.
Julsnaps an sich ist ja eigentlich bereits eine Art von Cocktail, wenn man sich die Geschmackskomposition anschaut, dennoch kann er natürlich gut auch dort funktionieren, wo man normalerweise einen klassischen Aquavit erwartet. Gerade die zusätzliche Orange passt toll zum North Sea Oil, der ja schon Bitterorangenlikör als weitere Zutat mitbringt – hier ergänzen sich zwei unterschiedliche Aspekte der Orange. Als Ausgleich zum schmalzigpappigen Weihnachten liegt man mit diesem herb-erdigen, kräuterlastigen Drink richtig!
North Sea Oil
1½oz / 45ml Aquavit
¾oz / 23ml Cocchi Americano bianco
½oz / 15ml getorfter Whisky
¼oz / 7ml Orangenlikör
Auf Eis rühren. Auf einen großen Eiswürfel abseihen. Mit Orangenzeste servieren.
[Rezept nach Leo Robitschek]
In Schweden gibt es ein staatliches Alkoholmonopol, und man kann nur in speziellen Geschäften Alkohol kaufen. Im Systembolaget in Stockholm, wo ich diese Flasche herhabe, gibt es den Herrgårds Julsnaps in unterschiedlichen Abfüllgrößen zu erwerben, ich hatte mich für die schnuckelige mittlere Größe von 350ml zu 155 Kronen (um die 13€) entschieden. Das Design ist einfach aber passend, mit ein paar Details auf dem Rücketikett, und einem zweckmäßigen, wenn auch nicht übermäßig charmanten Aludrehverschluss.
Aquavit hat auch in Deutschland eine große Tradition, natürlich eher im Norden als bei mir im Südwesten. Die schwedische Fassung ist insgesamt (außerhalb dieses besonderen Produkts), nach meiner zugegebenermaßen eher eingeschränkten Erfahrung in dieser Spirituosenkategorie, eher auf der milden, fast schon süßlichen Seite. Wer in die Kategorie grundsätzlich mal reinschnuppern, sich aber nicht direkt mit wilden Kräutern auseinandersetzen will, kann sich durchaus auch außerhalb der Weihnachtszeit so etwas wie den Herrgårds Julsnaps anschauen!