Die traditionelle chinesische Medizin (TCM) hat den Ruf, durch den starken Einsatz natürlicher Ingredienzien, insbesondere Pflanzen- und Tierbestandteile, sanfter zu wirken als die moderne Labormedizin. Persönlich bin ich dem nur mäßig aufgeschlossen, mir sind wissenschaftlich belegte Wirkungen lieber als oft durch Placebo-Effekte ausgelöste Heilungen in vielen alternativen Medizinansätzen. Grundsätzlich ist die TCM immerhin dadurch für mich besser gestellt als zum Beispiel Homöopathie oder Geistheilung, weil hier wenigstens echte Wirkstoffe zum Einsatz kommen, und nicht der Glaube allein heilen soll. Schließlich sind auch in vielen Produkten der pharmakologischen Industrie auch Pflanzeninhaltsstoffe als Grundlage verwendet; der Unterschied ist für mich aber trotzdem noch der, dass bei der TCM immer noch eher in mittelalterlichen Ursache-Wirkung-Konzepten gedacht wird, hauptsächlich dem Yinyang-Prinzip, bei dem bei Krankheit zwei Kräfte im Ungleichgewicht sind und ausgeglichen werden müssen.
Auch bei Genussmitteln greifen die Chinesen gern auf den Zusatz von Pflanzen zurück, denen man heilsame Wirkung unterstellt (ich verweise diesbezüglich auf meine Besprechung des Zhuyeqing Jiu). Beim Dendrobe Black Liquor Tianyun (石斛黑酒天韵) und Xianniang (石斛黑酒仙酿) des südchinesischen Brenners Hunan Black Liquor Industry CO.,LTD wird einem Baijiu Dendrobium zugesetzt, eine Orchideenart, auf chinesisch „shihu“ (石斛) genannt. Ihr wird zugeschrieben, Körperflüssigkeiten auffüllen zu können, den Magen und die Lunge zu befeuchten, als Tee getrunken fehlendes Yin in der Niere zu ersetzen. Trockener Mund, Magenschmerzen, Mundentzündungen, Hitzschlag und andere Symptome sind Einsatzgebiete für Dendrobium. Inwieweit diese Heilkräfte dann auch in hochprozentigem Lösemittel noch wirken (sowohl der Tianyun als auch der Xianniang sind mit 52% Alkoholgehalt durchaus im Rahmen dessen, was Baijiu im Üblichen aufzuweisen hat), lasse ich mal dahingestellt, aber persönlich trinke ich Baijiu ja nicht, um gesundheitliche Effekte zu erreichen, sondern zum Genuss, und da erhoffe ich mir eine spannende Erfahrung – insbesondere, wie sich Orchideen als Zusatz in Spirituosen sensorisch äußern, das ist etwas komplett neues für mich.
Fangen wir mit dem Dendrobe Black Liquor Tianyun (石斛黑酒天韵) an. Mit meinem radebrechenden Chinesisch übersetze ich den Beinamen Tianyun als „Himmlischer Klang“. Optisch fällt natürlich erstmal das gebrannte Siena auf, das ich als Farbwert angeben würde. Beim Schwenken sieht man dann noch ordentliche Viskosität, die Flüssigkeit schwappt schwer hin und her, und lässt einen Fransenteppich an der Glaswand, der in Beinen abläuft.
Geruchlich ist initial definitiv der typische Starkaroma-Baijiu-Duft da, mit viel überreifer Frucht, verrottender Ananas und matschigem Pfirsich. Ein Anflug von Teer und angekokeltem Gummi gehört mit dazu. Etwas Blumigkeit klingt mit, aber nur in Anflügen.
Der Antrunk ist definiert vom verbrannten Kabel und Gummi, eine schwere Süße liegt mit im Mund. Schnell kommen dann weiße Gummibärchen und zerlaufende Aprikosen dazu, mit einer gewissen Zitruskante und feuriger Chiliwürze. Das Mundgefühl ist passend dazu sehr trocken und astringierend, im Verlauf sogar immer stärker. Gegen Ende klingt das dann ab, eine Ahornsirup- und Aniswürze entsteht, und diese verflüchtigt sich schließlich langsam aber effektiv.
Außer anhand der Farbe spürt man den Orchideenzusatz nicht, das ist sensorisch ein klassischer Starkaroma-Baijiu, vielleicht einen Ticken süßer als viele andere.
Ich bin gespannt, wie sich der Dendrobe Black Liquor Xianniang (石斛黑酒仙酿) im Vergleich dazu präsentiert. Auch hier versuche ich, frei den Namen zu übersetzen: Getränk der Unsterblichen, zumindest ansatzweise ist klar, in welche Richtung die Namensgebung des Brenners geht. Die Farbe ist fast identisch zum Tianyun, auch hier ein dunkles, beinahe ins rötliche übergehendes, leuchtendes Braun. Der Xianniang wirkt einen Hauch lebendiger im Glas, etwas eleganter vielleicht, das ist aber vielleicht nur eine Einbildung.
Definitiv milder und feiner ist der Geruch, da ist fast nichts von dem etwas stinkigen Plastikschmoren, und entsprechend können sich die Ananas- und Pfirsicharomen zusammen mit etwas grüner Banane, frischem Anis und grünem Blattschnitt besser entfalten. Da ist auch ein schwer fassbarer dunkler Seitenaspekt, den ich vielleicht der Dendobrium zuschreiben möchte.
Im Mund denkt man zunächst auch, dass der Xianniang feiner und zurückhaltender ist, doch schnell wird klar, dass sich der Gummi und der Teer nur vor der Nase versteckt hatten, um dann im Verlauf um so massiver aufzutreten. Hier verdrängen diese Schmornoten dann fast die ganze Frucht, etwas Komposthaufen bleibt mit besonders alter Ananas. Im Nachklang entsteht dann aber ein sehr angenehmes Mundgefühl und ein richtig schönes, fruchtig-würziges Geschmacksbild, mit Anklängen von Kaffee und Kakao, an denen ich gerne noch etwas herumlutsche.
Wie bei vielen Baijius sollte man sich hier nicht zu lange mit einem Geschmacksbild aufhalten, während der Brand im Mund ist – guter Baijiu zeigt sich meist erst im Nachklang von seiner besten Seite, und der Xianniang ist ein perfektes Beispiel dafür.
Da die Aromatik gar nicht so exotisch im Vergleich zum Benchmark-Starkaroma-Baijiu ist, sehe ich keinen Grund, mit dem Atomic Dog nicht einen Cocktail hier zu präsentieren, der mit vielen Varianten dieses chinesischen Brands gut funktioniert; vielleicht eher mit dem Xianniang als dem Tianyun. Jedenfalls scheint sich Baijiu eine kleine Nische in der Tiki-Welt zu erkämpfen, in der starke Aromen gesucht werden, um sich gegen viel Saft und Likör durchzusetzen.
Atomic Dog
1oz / 30ml Starkaroma-Baijiu
1oz / 30ml Blackstrap Rum
½oz / 15ml Jamaica-Rum
¾oz / 23ml Limettensaft
1oz / 30ml Ananassaft
½oz / 15ml Zimtsirup
½oz / 15ml Orangenlikör
2 Spritzer Angostura
2 Spritzer Absinthe
Auf Eis shaken. Auf frisches Eis abseihen.
[Rezept nach Erick Castro]
Wie üblich ist die Gestaltung der Flaschen üppig und opulent, da wird sich nicht zurückgehalten in China. Die Flaschen haben, trotz ihrer unterschiedlichen Form, dasselbe Design mit dem Farbverlauf auf der Flasche von Schwarz nach Transparent und goldenen Schriftzeichen. Der zweite Blick ist, auch dies ist nicht ungewöhnlich, dann ernüchtert von viel billigem Plastik am Schraubverschluss und dem Nachfüllstop. Dennoch, das gefällt dem westlichen Auge sicherlich aufgrund der Exotik.
Beide Brände haben 2021 bei Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles Medaillen gewonnen – der Tianyun eine goldene, der Xianniang eine silberne. Was nicht heißen soll, dass die Erhältlichkeit hierzulande gegeben ist, selbst Details über die Herstellung sind nur äußerst schwer zu recherchieren, sogar auf chinesischen Seiten wird darüber praktisch nichts erzählt. Wer Starkaroma-Baijiu mag, dem würde ich persönlich sicher den Xianniang als interessante Variante empfehlen. Und vielleicht hilft es auch gegen kleine Zipperlein, wenn man mit dem Flüssigkeitshaushalt kämpfen muss!