Wer öfters in Hotels unterwegs ist, kennt sie – die Minibar. Der Charme dieser Sammlung von Miniaturfläschchen ist, dass man eine passende Dosis einer Spirituose bekommt, und nicht gleich eine ganze 0,7l-Flasche erwerben muss. Nun hängt es natürlich davon ab, wie ambitioniert der Hoteleigner ist, und wie er seine Gäste einschätzt – in vielen Hotels findet man oft genug nur Billigvodka und Massenwhiskey; mit viel Glück hat der Hotelier ein Faible für Scotch, so dass der Abend der Geschäftsreise im Hotelzimmer nicht ganz trocken enden muss.
Eine alternative Weise, solche Miniaturen zu nutzen, ist es, Verkostungsproben mit Gleichgesinnten zu teilen. In vielen Foren gibt es eine lebendige Flaschenteilungs- und Sample-Kultur, die es ermöglicht, unterschiedlichste Spirituosen in kleinen Mengen, oft sogar zum Selbstkostenpreis, zu kaufen. Für Leute wie mich, die gern viele unterschiedliche Spirituosen ausprobieren wollen, ist das perfekt: Die ideale Möglichkeit, Spirituosen zu verkosten, die man sich sonst nicht leisten könnte oder wollte, denn teilweise 100€ und mehr für eine 700ml-Flasche auszugeben ist nur in den seltensten Fällen drin.
Ich war sehr interessiert an den Clairins, die aktuell die Schnappsbloggerszene begeistern. Und, wie es der Zufall wollte, bot sich justament in der Facebook-Gruppe „Der Rum-Club“ ein ebenso Interessierter an, für drei Clairins eine solche Flaschenteilung durchzuführen. Statt über 100€ für die drei Clairins auszugeben, ohne zu wissen, ob man diese Art Spirituose überhaupt wirklich trinken kann, habe ich mir also dort 15cl jeder Sorte zum Gesamtpreis von 30€ gesichert. Damit ist das Spektrum abgedeckt, zu einem kleinen Preis. Tolle Sache, die ich jedem empfehlen kann, der öfters mal was neues im Glas haben will.
Die Proben des Clairin Casimir, des Clairin Sajous und des Clairin Vaval kamen sehr zeitnah in neutralen Probefläschchen an; ich danke meinem alten Rumkumpel Marcus Stock für das Foto der Originalflaschen und der Kartons, in denen sie normalerweise ausgeliefert werden, das er extra für mich angefertigt hatte.
Was ist nun aber Clairin? Letztlich ist es ein Verwandter des Rum. Hergestellt in Haiti, basiert Clairin wie Rum auf der Destillation von frischem Zuckerrohr. Theoretisch ist Clairin daher eine Untergattung des rhum agricole, auf Haiti ist dieser Begriff aber nicht genutzt. Ein gewichtiger Unterschied in der Herstellung ist aber, dass die Maische nicht mittels Zuchthefen fermentiert wird, sondern durch Spontangärung durch die lokalen, freien Hefen, wie es beispielsweise bei belgischem Lambik-Bier auch passiert. Dadurch ist der Charakter des Clairin durchaus vielgestaltig und lokal differenzierbar – von der Art der Herstellung und Verortung in kleinen, sehr lokalen Destillen ist er diesbezüglich näher an Mezcal oder amerikanischem Moonshine als Rum, obwohl die Aromatik natürlich klarer auf Rum hindeutet. Ein sehr bodenständiges Produkt, ohne Marketingmaschinerie oder Lobby. Wer mehr darüber erfahren will, sollte den sehr spannenden und lehrreichen Artikel von Christian Kopp der Fachzeitschrift Mixology lesen.
Auch wenn die drei Flaschen Clairin ähnlich aussehen und unter einem gemeinsamen Thema (von gelb über orange nach rot, und ähnliche Gestaltung der Kartons) in Deutschland verkauft werden, so stammen sie doch aus unterschiedlichen Destillerien. Daher ist trotz der äußeren Ähnlichkeit auch keine „Ordnung“ oder „Reihe“ aufstellbar. Die Nachnamen der Brenner bilden den Namen der Spirituose – Faubert Casimir von der Destillerie Douglas Casimir (Barraderes), Michael Sajous von der Destillerie Chelo (Saint Michel de L’Attalaye) und Fritz Vaval von der Destillerie Arawaks (Cavaillon) sind die geistigen Väter dieser Brände, die wir nun im folgenden nacheinander verkosten wollen.
Caveat: Ich habe bei einer erneuten Verkostung der neuen Batches 2021 festgestellt, dass die Aromatik sich doch stark verändert hat. Das hat natürlich mit dem eben erzählten zu tun – durch die Handgemachtheit schmeckt Clairin jedes Jahr etwas anders.
Optisch ist der Clairin Casimir erstmal nicht von weißem Rum zu unterscheiden – transparent, aber schon deutlich viskos. Ich meine, einen minimalsten Touch von Farbe erkennen zu können, eine Ahnung von Strohigkeit, vielleicht bilde ich mir das aber auch ein. Die Nase ist da schon viel eindeutiger. Da muss man nicht tief ins Glas riechen, der Casimir kommt einem wuchtig entgegen. Süß nach einer Vielzahl von Fruchtestern, Kandiszucker, Anis, Nelken, praktisch kein Alkohol, dafür aber ausgeprägt Lösungsmittel. Erinnert an Cachaça, ungereiften rhum agricole, oder einen weißen Overproof-Jamaikaner. Unverdünnt, bei 54% ein kleines Abenteuer, folgt der erste vorsichtige Schluck. Ich erwarte eine starksüße, fruchtige Aromenwelle – doch ich werde überrascht, es trifft fast das Gegenteil ein. Supersalzig, umami, Meeresaromen. Überraschend wenig Feuer für die Alkoholstärke, statt dessen eine wallende, pulsierende Wärme. Die Frucht erinnert nun mehr an Kompost (das hört sich unangenehmer an, als es ist). Im langen Abgang kommen Gemüsenoten zum Vorschein, Artischocke vielleicht, Getreide, und Thymian.
So starke Spirituosen öffnen sich oft durch ein paar Tropfen Wasser, die ich nun zugebe. Ein schöner Marmoreffekt und ein leichtes Louche entsteht, als sich der dickflüssige Alkohol mit dem Wasser verbindet. Am Geruch ändert sich erstmal nichts – der Geschmack ist nun natürlich milder und zahmer, weniger extremsalzig, insgesamt aber noch recht vergleichbar, nur etwas reduziert. Der Clairin Casimir reagiert auf Wasser scheinbar nicht wirklich, es wirkt nur verdünnend. Spannend ist er dennoch, insbesondere die Salzigkeit und die Wärme ohne Alkoholbrennen muss ich hervorheben; das ist in dieser Konsequenz für mich neu in der Spirituosenwelt. Ein echter Schnapsaficionado muss das probieren, da lege ich mich fest.
Ich schnuppere als nächstes am Clairin Sajous, und denke erstmal: Uff. Fruchtnoten und Ester ohne Ende, erinnernd an einen hochprozentigen weißen Jamaika-Rum. Da ist aber noch etwas anderes, eine Metallkomponente, die erheblich säuerlich-gischtig, vielleicht sogar leicht fleischig riecht. Leichter Plastikkleber im Hintergrund. Insgesamt sehr charakterstark, fast schon aufdringlich. Ich nehme trotz den 53,5% auch hier einen kleinen Schluck davon ohne Wasserzusatz. Sauer und bitter, Apfelessig und Limettenschale, dann aber auch eine erdige Note nach Brot, Getreide, oder trockenes Müsli. Im Nachgang kommt ein süßer, rauchiger Anklang zum Vorschein. Definitiv ungewohnt, aber deswegen auch sehr spannend. Im Abgang scharf und heiß, zungenbetäubend und salzig. Danach entsteht eine wohlige Wärme im Mund- und Rachenraum. Ein wirklich ausgesprochen angenehmes Gefühl, und Fruchtaromen wallen nochmal kurz auf. Außergewöhnlich und wunderbar.
Pur kein Gaumenschmeichler, ganz gewiss nicht. Daher der Test mit Wasser – 3:1 verdünnt. Der Geruch nimmt natürlich ab, das bringt das Verdünnen mit sich, dafür kommt diese brotige Komponente stärker zum Vorschein, die ich schon bei Prichard’s Corn Whiskey zu erkennen meinte. Nun ist der Clairin Sajous plötzlich gezähmt – süß und fruchtig, fast schon lieblich, samtig und edel, erinnernd an Cognac. Trotz Wasser bleibt der beschriebene Abgang erhalten. Kaum zu glauben, dass das dieselbe Spirituose ist. Ein echter Volltreffer, ganz besonders im Vergleich von mit und ohne Wasser. Eine echte Spitzenspirituose, die ein dermaßen breites Panorama auffächert, dass man gar nicht genug davon bekommen kann.
Der dritte im Bunde ist schließlich der Clairin Vaval. Auch dieser Clairin ist völlig transparent, ohne den Hauch einer Farbe. Süß, malzig, erinnernd an Genever. Grasig und grünholzig. Kardamom. Wie schon beim Sajous ist auch hier eine brotig-hefige Note da. Beim Schwenken taucht eine deftige Lösungsmittelkomponente auf, dazu esterige alte Bananenschale, vergorene Ananas. Sehr komplex im Geruchsbild. Zunächst weich und geschmeidig, durchaus süß, aber schon mit leichtem Salzcharakter, dann würzig und leicht kratzig, immer weniger süß, immer mehr umami (wer schon immer mal wissen wollte, wie sich umami anfühlt, sollte diesen Clairin probieren – das ist ein Paradebeispiel dafür, eine seltsame Mischung aus süß und salzig) voller Gewürz- und Frucht-Esteraromen, und schließlich explosiv feurig und heiß auf Zunge und im Rachen, dunkelschokoladig, süßholzig, trockenobstig, holzig. Eine sehr überraschende Entwicklung in kürzester Zeit. Hochkomplex. Am Ende noch ein langer, körpervoller Abgang voller Wärme und Estern, die sich ausdauernd am Gaumen festklammern. Eisen, als hätte man Zahnfleischbluten, und Malz hängen nach. Der Vaval muss trotz der 52,5%, womit er der schwächste des Trios ist, nicht verdünnt werden.
Soweit also die Purverkostung dieser drei Geschwister der großen Clairin-Familie. Weißer Rum im Allgemeinen hat ja nun dann aber doch den Ruf, eigentlich mehr als Mixer in Cocktails zu taugen denn als alleinstehender Genuss. Auch wenn das so einseitig für Clairins nicht zutrifft (und für viele hochqualitative weiße Rums übrigens auch nicht!), so sollte man doch auch die Mixability betrachten. Und was soll ich sagen – auch in einem Cocktail lässt ein Clairin seine Muskeln spielen. Mit ein bisschen Salz und Schokoladenbittern wird die würzige Komponente des Clairin noch etwas betont, während Orangenlikör und Wermut die Wucht etwas einbremsen. Ein tolles Team, zu begutachten im Alicante.
Alicante
1 oz Clairin
1½ oz Triple Sec
1 oz trockener Wermut (z.B. Ferdinand’s Saar White Vermouth)
2 Spritzer Orange Bitters
2 Spritzer Bittermens Xocolatl Mole Bitters
Auf Eis rühren, mit Orangenzeste und etwas Salz auf einem Eiswürfel servieren.
[Rezept nach Scott Holliday]
Ich bin sehr fasziniert von dieser Art Zuckerrohrbrand. Wenn man betrachtet, dass es sich hier um eine recht bäuerlich-robuste Spirituose handelt, nicht um eine hochglanzpolierte wie Cognac oder mancher Scotch, so ist die Komplexität, die man hier erhält, ganz ohne Reifung, um so erstaunlicher. Mein persönlicher Favorit unter den drei ist der Sajous, vor allem leicht verdünnt – ein Traum.
Die aromatische Nähe zu rhum agricole ist unverkennbar, und das kommt mir persönlich geschmacklich sehr entgegen. Leider, und das ist der kleine Wermutstropfen, ist Clairin dadurch vielleicht nicht so übermäßig massenkompatibel, im Gegenteil, er stößt den Rumlaien vor den Kopf, wenn er ihn das erste Mal probiert – schon weißer rhum agricole hat dieses Startproblem bei Anfängern, und Clairin legt diesbezüglich noch eine Schippe drauf. Wenn man ihm nicht die Zeit gibt, und sich ihm öffnet, bleibt er ein Rätsel. Und man würde was verpassen.
Nachtrag März 2021: Ich wurde von Kirsch Import zu einem kleinen Onlinetasting zur Feier der Aufnahme des neuesten Mitglieds in den „Spirits of Haiti“-Club eingeladen, wo ich die Unterschiede zu meinen 2016er-Produkten feststellen konnte. Gleichzeitig habe ich dort auch den Clairin Le Rocher probieren dürfen, und eben den ganz neuen Clairin Sonson. Auch der 4-Kommunen-Blend Clairin Communal war mit von der Partie. Spannende Produkte, eigenständig, mit klarem Brennereicharakter, die sich deutlich voneinander unterscheiden. Wer sich 2021 noch nicht mit Clairin auseinandergesetzt hat, muss dies nun nachholen – es ist inzwischen klar, dass Clairin keine Trendspirituose ist, die wieder verschwindet, sondern eine gewichtige Rolle spielt und weiterhin spielen wird.
12 Kommentare zu „Weiß und heiß – Clairin Casimir, Sajous und Vaval“