Das Hobby des semiprofessionellen Spirituosentrinkers ist ein anstrengendes. Es gilt, ein weites Feld zu beackern, das in seiner Breite von Horizont zu Horizont geht; gleichzeitig offenbart sich aber beim genaueren Hinschauen sehr schnell eine fast bodenlose Tiefe, die man kaum auszuloten vermag. Daher muss man sich entscheiden: Will man sich spezialisieren, und beginnen, die Tiefen auszuleuchten – oder lieber Generalist bleiben, um den Blick über die Weite schweifen lassen zu können? Will man eher der Deckstrich auf dem „T“ sein, oder der Stamm?
Mir ist es klar, was ich will – ich bin ein Generalist. Die Töchter der anderen Brennerväter dann immer doch zu hübsch, als dass ich mich auf eine Spirituosengattung festlegen könnte. Um zu verhindern, dass dabei aber das dann doch oft für das „T“ nötige Spezialwissen verloren geht, gilt es, sich fortzubilden. Einerseits klappt das natürlich ganz gut, in dem man sich ein paar Flaschen eines Schnapses langsam und genussvoll-mäßigend hinter die Binde gießt (wäre nur jede berufliche Fortbildung auch so unterhaltsam!), doch es schadet nie, sich auch mal die eine oder andere Lektüre in nüchternen Momenten zuzuführen. Über eines dieser Weiterbildungsbücher, Rum: The Manual des britischen Kenners Dave Broom, habe ich mich besonders gefreut.
Den meisten ist Dave Broom wahrscheinlich eher als Whiskyexperte bekannt, doch er schrieb schon 2003, als das Thema „Rum“ vielerorts noch ein recht stiefmütterlich behandeltes war, ein Buch über den karibischen Zuckerrohrbrand. Er weiß also, wovon er redet. Spätestens nach den ersten paar Seiten seines neuen Buchs zweifelt man daran nicht mehr. Er hat sich tief in die Untiefen des Rums begeben – ist er dabei, wie so viele Zuckerbarone und Plantagenbetreiber, untergegangen in den Gefahren dieses Geschäfts – „money, alcohol, sex, and death“?
Nein. Er hat seinen kühlen, schottischen Kopf bewahrt und ein kluges, spannendes und dabei noch unterhaltsames Buch geschrieben. Die grundsätzliche Herangehensweise gefällt mir – es ist kein „Bewertungslexikon“ geworden, in dem einfach nur subjektive, meist recht willkürliche Noten für einzelne Rums vergeben werden, nein, es gibt „nur“ Verkostungsnotizen. Ich fühle mich durch Brooms Meinung bestärkt, selbst auch weiterhin keine Bestmarken, Noten oder zählbare Bewertungen auf meinem Blog abzugeben. Nun, das mit den fehlenden Bewertungen stimmt nicht ganz. Er bewertet in diesem Buch die Mixability einer Spirituose, und das ist ein ganz neuer, frischer Ansatz.
„These scores are for the mixes and not for the rum, each of which was chosen for its inherent quality, so read the tasting note to glean how that manifests itself.“
Persönlich glaube ich zwar nicht, dass sich ausgerechnet Rum über andere Brände hinweg dafür besonders auszeichnet, vermischt zu werden, aber wahrscheinlich ist das im kulturellen Gedächtnis bei so vielen so hängengeblieben. Die Mixer, die er für die unterschiedlichen Rumsorten anbietet, bleiben stabil – Kokoswasser, Clementinensaft, Ingwerbier und Cola dienen als Leinwand für sehr einfache Longdrinks oder Highballs. Dazu kommt immer ein sortentypischer, aber einfach herzustellender Cocktail, der Daiquiri bei weißem Rum, der Old Fashioned für gereifte Rums; der Caipirinha für Cachaça, der Ti’Punch für Rhum agricole. Von 1 bis 5* Punkten wird die entsprechende Mixtur benotet.
Nun, diese Vorgabe konnte ich nicht auf mir sitzenlassen, der weder Clementinensaft noch Kokoswasser je als Filler für einen Longdrink kannte. Aber solchen Wissenslücken ist natürlich schnell und kostengünstig beigekommen. Zur aktuellen Jahreszeit sind Clementinen überall erhältlich, und überraschend ergiebig beim Ausdrücken. Von Kokosnüssen kann man das nicht wirklich sagen, daher habe ich mich da zugegebenermaßen auf ein fernöstliches Fertigprodukt eingelassen. Die beiden Rums, die ich mir ausgesucht hatte, haben in seiner Mixability-Bewertung für den jeweiligen Filler die Maximalanzahl von 5 Punkten erreicht: Wray & Nephew White Overproof Rum mit Clementinensaft, und Bacardí 8 Años mit Kokoswasser. Ja, das kann man trinken.
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Im letzten Drittel des Buchs werden dann noch ausgefallenere Rumrezepte aufgelistet, von Punches über Tiki über Prohibition-Era bis hin zu modernen Cocktails findet man für jeden Geschmack etwas; und Broom hat aus den Fehlern vieler Cocktailbücher gelernt und wirft dem Leser nicht einfach nur die Mengen- und Zubereitungsangaben hin, sondern hat immer noch eine kleine Story für den jeweiligen Cocktail parat.
Ein sehr schöner Vorteil dieses Buchs ist, dass es so aktuell ist: 2016 erschienen, bietet es auch einen kurzen Blick auf Gebiete, die erst vor kurzem auf unserer westlich-barkulturorientierten Schnapslandkarte auftauchten, wie der haitianische Clairin, und weitere Rumsorten, die erst vor kurzer Zeit das Licht der Welt erblickt hatten. Schön, dass auch rhum agricole endlich einen Platz bekommt, den er verdient – im Herzen des Buchs. Auch das Thema der Nachzuckerung wird bereits auf den ersten Seiten angesprochen und mit klaren Worten beurteilt – mir, dem dieses Thema sehr am Herzen liegt, geht dabei dasselbe auf. Dabei verfällt er nicht in meinen absoluten Dogmatismus, sondern gibt auch den nachgezuckerten Rums, die in seinem Buch auftauchen, eine Chance, ihr bestes zu geben. Hin und wieder hat er aber doch ein Aufblitzen des Einsehens, wie als er einen ungesüßten Rum beschreibt: „It’s rich, but not sweet. There’s a difference.“
Von allen Flaschen gibt es aktuelle Fotos, ebenso wie von dem einen oder anderen Cocktail, Barinnenansichten und Menschen hinter den Kulissen, dazu einige, meist historische Illustrationen von Brennanlagen. Ausgesprochen sensationell, und wahrscheinlich das wertvollste überhaupt an diesem Buch, ist die „Rum flavour map“, in der die besprochenen Rums in ein Koordinatensystem aus Geschmackseindrücken eingeordnet werden. Für jeden Rumfreund ein Muss.
Die „theoretischen“ Teile sind unterhaltsam geschrieben und klug aufbereitet; wer bereits Ian Williams‚ Buch über die Geschichte des Rum gelesen hat, wird vieles aus dem geschichtlichen Teil wiedererkennen, der technische Teil, in dem es um die Produktion geht, ist laiengerecht dargelegt, ohne an interessanten Details selbst für Kenner zu sparen. Besonders die Trennung zwischen „dunder“ und „muck“ bei jamaikanischem Rum, und deren eigentlich seltene Verwendung, sorgte bei mir für ein Aha-Erlebnis.
Ein rundum gelungenes Buch. Wer sich in nächster Zeit Lektüre über Rum zulegen möchte, kommt an Dave Brooms Buch nicht vorbei. Ebensowenig wie ich an einem Glas Calibogus, mit dem Broom mich hier am meisten überraschte – gleiche Teile Bier und Rum. Na, wenn das nicht ein Schlusswort unter die Thematik ist.
Cocoswasser am besten nur in der gewachsenen Verpackung im Asialaden kaufen. Die ist weiß, die grüne Haut wurde flächig abgeschält. Die braunen runden aus dem Supermarkt sind die Fleisch-Kokosnüsse, die haben nicht so viel Wasser was auch nicht so gut schmeckt.
Guter Tip, danke!