Die Wetterlage Anfang Juni sorgte bei so einigen dafür, dass man sich wieder etwas mehr mit Meteorologie auseinandersetzte. Das Besondere am Wetter gerade in dieser Zeit waren Mikrogewitter, die sich in einem sehr begrenzten geografischen Raum voller Wut abspielten; neulich, auf der Ostalb, so erzählten mir meine Eltern, hatte es in einem Dorf 10km entfernt 5cm große Hagelkörner und schlimmste Überschwemmungen gegeben. Nur ein paar Autominuten weg davon hat es dagegen nur leicht geregnet.
Im Deutschlandfunk wurde ein Experte befragt, warum keine präzisere Vorhersage möglich war, der im aktuellen Fall Leben hätte retten können. Doch bei dieser Art von Unwetter spielt sich, so der Experte, alles so schnell ab, dass die Vorhersage laut ebenda interviewtem Landrat Klaus Pavel erst kam, als das Gewitter schon in vollem Gange war. Wenn nun schon keine Vorhersage möglich ist, gibt es wenigstens Verhaltensregeln für so einen Fall? Was tut man, wenn es blitzt und donnert? Die Volksweisheit hat einen Spruch parat, deren Wahrheitsgehalt leider gegen Null strebt, aber für den hier vorgestellten Whiskey eine ideale Überleitung bildet.
Eichen sollst Du weichen, Buchen sollst Du suchen. Wahrscheinlich entstand dieser Spruch einfach deshalb, weil es sich so schön reimt; eventuell ist eine Buche, mit ihrer glatten Haut, einfach nach einem Blitzeinschlag nicht ganz so geschädigt wie eine zerfurchte, bemooste alte Eiche, und man nahm diesen optischen Eindruck als Beweis für den Spruch heran. Benjamin Prichard’s Lincoln County Lightning Tennessee Corn Whiskey hat, neben einem superlangen Namen, auch den Blitz im Titel; und er hat sich vielleicht deswegen an die alte Adage gehalten und Eichen gemieden – er kam nicht in Kontakt mit Fassholz, das in den USA zumeist aus amerikanischer Weißeiche produziert wird. Hat es ihm was gebracht?
Ich bewundere zunächst die schönen langen Beine, die der Lincoln County Lightning im Glas beim Schwenken hinterlässt. Dass er völlig transparent ist, hat man ja schon in der eckigen, sich etwas an Feldflaschen orientierenden, nur mit wenig Etikett beklebten Flasche erkennen können. Das schwarz-silberne Dekor lässt einen auf einen edlen Geist hoffen.
Den Whiskeyfreund, der denkt, hier einen bourbonähnlichen Geruch zu bekommen, wird überrascht sein: Frischgebackenes Brot, Mehl, ein Hauch Lakritze, eine Ahnung von Pfirsich, ein Anflug von Klebstoff. Ich habe noch nie einen derartigen Geruch bei Spirituosen gerochen.
Auch im Mund ist dieser brotig-mehlige Geschmack vorhanden. Sehr trocken, zwar süß, aber fast staubig. Erinnert mich etwas an polnischen Vodka; mehr an Vodka als an Bourbon aber auf jeden Fall. Eine kräftige, brennende Schärfe zeugt vom ungebändigten, frischen, jungen Geist dieses Maiswhiskeys.
Im Abgang wird dies durch eine pfiffige Schärfe an der Zungenspitze weiter fortgeführt. Am Gaumen verbleibt eine seltsam trockenes Gefühl. Insgesamt ein eher kurzer Abgang – die alkoholische Schärfe bleibt länger als ein Geschmack.
Würde ich dem Whiskeyfreund solch einen Brand zum Purgenuss empfehlen? Auf jeden Fall, aber eigentlich nur aus einem Grund: Als Studienobjekt. Man sieht an solcherlei Whiskey sehr eindrücklich, wie sehr das, was wir als Whiskey kennen, von der Fassreifung beeinflusst wird. Zieht man einen gereiften Maiswhiskey wie den Mellow Corn zum Vergleich heran, glaubt man kaum, dass es sich um dieselbe Spirituose handelt.
Man kann das Spirituosenstudium noch weiterführen, indem man einen ungereiften Maiswhiskey wie den Lincoln County Lightning mit einem ungereiften Bourbon vergleicht, zum Beispiel dem Buffalo Trace White Dog Mash #1. Obwohl in beiden Mais als Hauptbestandteil enthalten ist, erkennt man hier schon die feinen Unterschiede.
Nun, außerhalb der Schnapsforschung für interessierte Connoisseure hat der Lincoln County Lightning aber nicht wirklich viel zu bieten. Er ist zu scharf, zu eindimensional, um wirklich für den feinen Gaumen als Schlürfobjekt zu taugen. Der übliche Gebrauch für derartige, mit Moonshine (also illegal gebrannten Hochprozentigem) verwandte Produkte ist das Effekttrinken; da mag die hochwertige Aufmachung zwar auf anderes hindeuten, doch letztlich sind die Alternativen dazu stark eingeschränkt.
In einem Cocktail ist ein ungereifter Maiswhiskey kein Ersatz für Bourbon, da sich die Aromatik völlig unterscheidet. Ich würde ihn eher mit weißem Rum im Einsatzgebiet vergleichen, oder mit Vodka. Hin und wieder findet man aber dann doch einen mutigen Mixologen, der ein Rezept speziell für White Dogs und Co. entwickelt, wie den White Whiskey Punch.
White Whiskey Punch
2 oz Benjamin Prichard’s Lincoln County Lightning Tennessee Corn Whiskey
2 oz Ananassaft
1 oz Limettensaft
1 oz Zuckersirup
[Rezept nach saveur.com]
Ich hatte 30€ für die 700ml-Flasche bezahlt; dieser vergleichsweise hohe Preis ist wahrscheinlich der Seltenheit dieser Abfüllung in Deutschland zu verdanken. In den USA latzt man rund 20$ dafür, das wäre meines Erachtens ein vernünftiger Preis. Aktuell ist die Preisstruktur generell für ungereiften Whiskey (Ole Smokey, Firefly, Georgia Moon und ähnliche) in Deutschland nicht dazu angetan, viele Freunde für diese Spirituosengattung zu generieren – ob sich das groß ändert, wage ich nicht zu prognostizieren bei der Volatilität des Spirituosenmarkts.
So manche in Übersee beliebte Spirituose gelangt einfach nicht hierher, oder wenn, dann eben zu absurden Preisen; der Tequila- und Mezcal-Freund weiß ein Lied davon zu singen. Daher bin ich dem Importeur zunächst mal dankbar, dass er überhaupt die Mühe auf sich nimmt, solche Nischenspirituosen hier anzubieten. Denn die Alternative, eine Reise in die USA, wäre dann halt doch noch ein bisschen teurer und aufwändiger, und Verzicht ist für den wahren Whiskeygenießer halt keine Option, oder?