Ich stelle in letzter Zeit, bei der Unterhaltung mit jüngeren Bekannten, fest, dass ich zum alten Eisen gehöre. Da macht man in einem Gespräch ein Rocky-Zitat, und es stellt sich heraus, dass derjenige keinen Rocky-Film gesehen hat (ich habe jeden Film der Reihe bestimmt 20 mal geschaut). Da erwähnt man, dass man auf der Suche nach einem Programmfehler „die Wüste durchkämmen“ muss, und erntet nur fragende Blicke – Spaceballs, ein definierender Film meiner Jugend, ist heute scheinbar unbekannt. Und wenn man dann noch kommt mit „Roger, Roger“, „Was ist unser Vektor, Victor?“ und „Wir haben Clearance, Clarence“, steht man endgültig als rückwärtsgewandter Nerdopa da, der schon wirr redet und den man vorsichtig und wohlwollend behandeln muss, wie einen Nervenklinik-Insassen.
Beim westfälischen Hersteller Propeller denke ich, wenn man die Namen der Marke, der Biere und den allgemeinen Sprachgebrauch betrachtet, direkt an diesen Filmausschnitt aus „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“. Flugzeugkatastrophenfilme gibt es ja zuhauf, oft enden sie im Absturz oder Fastabsturz der Maschine. Wie sieht es mit den Bieren dieses Herstellers aus? Top-Gun-Fliegerass oder Bruchpilot? Eher „Flug der Phönix“ oder mehr „Con Air“? Zwei unterschiedliche Sorten habe ich mir zum Verkosten aus dem Sortiment von Propeller ausgesucht.
Beginnen wir mit ein bisschen Luft unter den Flügeln: Das Aufwind Double India Pale (ohne „Ale“) soll ja laut Etikett „ein belebender Impuls“ sein. Farblich hebt das Bier auf jedenfall schonmal elegant ab. Schönes Gold, leuchtend, kristallklar. Dünner, feiner Schaum. Auch die Kabinenluft stimmt – sehr IPA-typischer Geruch nach Hopfenfrucht. Ananas kommt dabei sehr stark durch, etwas Orange, ein kleiner Schubs Banane.
Zunächst ist das Aufwind im initialen Mundgefühl weich und cremig, leicht süßlich. Dann gerät es etwas in Turbulenzen und kippt um zu kantig. Die Bittere ist aggressiv, ohne allerdings durch einen Körper aufgefangen zu werden – so ein Fallschirm rettet so manches unrunde Bier, hier bleibt er zu. Kaum etwas vom Fruchtaroma, das man gerochen hat, ist auch erschmeckbar; Hefe dagegen schon. Die Landung im Abgang ist dann trocken und kurz. Ein bisschen durchgerüttelt wird man durch den unangenehm süßen Nachhall.
Insgesamt empfinde ich das Propeller Aufwind Double India Pale als das genaue Gegenteil dessen, als was es auf dem Rücketikett angepriesen wird; „dicht und harmonisch“, „feine Restsüße“, „klingt ausufernd lang nach“ – persönlich empfinde ich es als flach und unrund, unangenehm süß im Abgang, der auch nur kurz ist. Druckfehler wie „aromartisch“ dürfen generell passieren, aber eigentlich nicht auf einem Etikett, das nur wenige Wörter überhaupt enthält; so ist es eigentlich eine Beleidigung für Kunden.
Mit 6,5% liegen wir im sortentypischen Rahmen, und mit 2,50€ pro 330ml sind wir bereits klar im gehobenen Preissegment. Dennoch fällt es für mich persönlich in der Vergleichsgruppe deutlich ab: Ein eckiges, sich unrund anfühlendes Bier ohne echten Charme. Es gibt heutzutage eine Flut an viel besseren IPAs aus Deutschland; da muss man nicht wirklich zum Propeller Aufwind greifen, wenn man Lust auf ein Bier dieses Stils hat.
Das war ja nun eher ein Rumpelflug. Vielleicht sollte man sich eher auf eine andere Flugzeit verlegen, zum Beispiel auf die späten Abendstunden? Das Nachtflug Imperial Stout bietet sich dafür an. Ist es wirklich eine „tiefdunkle Verführung“?
Nachtschwarz ist die Farbe schonmal, dazu völlig blickdicht wie eine Wolkendecke. Ein Hauch von hellbrauner Crema krönt das Bier. Der Geruch ist erwartungsgemäß malzig, nach Kakao und Kaffee, leicht metallisch, etwas rauchig. Ein Anklang von Orange frischt das eher dunkle Aroma auf.
Das Nachtflug ist voll und dicht im Mundgefühl. Wie man gerochen hat, schmeckt man auch den Kaffee und das Malz, und auch den leicht fruchtigen Unterton. Angenehm frisch und rezent. Insgesamt aber dennoch eher enttäuschend, was die Vielschichtigkeit und Komplexität angeht; ich vermisse wirklich dramatische Röstaromen. Auch die Bittere während der Zeit im Mund fehlt mir doch etwas. Positiv formuliert: Wer ein Imperial Stout probieren will, das einem nicht den Steuerknüppel des Flugzeugs aus den Händen reißt und überall im Cockpit rote Lämpchen aufblinken lässt, kann sich mit dem Nachtflug Imperial Stout während der Autopilot-Phase leicht und ohne Nachwirkungen vergnügen.
Auch im Abgang bleibt das Nachtflug unkompliziert, er ist kurz und leicht süßlich. Kaffeenoten bleiben noch einige Sekunden am Gaumen, dann sind die interessanten Aromen weg. Eine kräftige Bittere (jetzt ist sie dann doch da!) konkurriert schließlich noch längere Zeit mit der etwas pappigen Süße um das Recht, die Landeklappen auszufahren; das ist wohl das, was das Etikett mit „sehr langer Nachtrunk“ meint.
Eines der einfacheren Imperial Stouts, die ich kenne. Gerade der sehr kurze Abgang macht aus diesem Bier ein Stout für Zwischendurch oder als Begleiter zum Essen. Die enthaltenen 9,1% sind aber mit Vorsicht zu genießen; auch das Nachtflug ist wie das Aufwind kein Billigflieger, mit 2,50€ für einen kurzen 330ml-Flug.
Auch beim Nachtflug überschlägt sich das Etikett mit Geschmacksankündigungen, die das Bier nicht wirklich einhalten kann – passend zum gesamten Sprachgebrauch der Firma, nachzulesen auf deren Homepage, der schon sehr narzisstisch und herablassend gegenüber Microbrews daherkommt. Ein bisschen mehr bescheidenere Zurückhaltung und/oder Humor hätte dazu geführt, dass ich etwas wohlwollender verkostet hätte – wer aber mit soviel protzigem Eigenlob schon daherkommt wie diese zwei Biere, muss sich nicht wundern, wenn dann ausbleibende Leistung entsprechend strenger bewertet wird.
Mit dem Nachtflug Imperial Stout habe ich mir einen selbst für Profis ungewöhnlich komplexen Cocktail zusammengerührt. Einige Spezialzutaten und eine besondere Mischtechnik, das „Throwing“, bei dem man statt durch Schütteln oder Rühren durch elegantes Hin- und Hergießen die Zutaten miteinander vermengt, machen aus dem Rum-Kinator Flip nicht nur einen leckeren und gehaltvollen, sondern auch einen unterhaltsam herzustellenden Cocktail für Süßmäuler.
Rum-Kinator Flip
1½ oz Dunkler Rum (z.B. Zacapa 23)
½ oz Allspice Dram (z.B. The Bitter Truth Pimento Dram)
1 oz Sahne
1 ganzes Ei
2 Teelöffel Pumpkin Butter (alternativ Babynahrung)
1 Teelöffel Calciumlaktat
…alle diese Zutaten in einem Glas gut verrühren, dann…
3 oz Imperial Stout (z.B. Nachtflug Imperial Stout)
…leicht anwärmen und durch „Tossing/Throwing“ mit den anderen Zutaten vermengen.
Mit frisch geriebener Muskatnuss bestäubt servieren.
[Rezept nach Leslie Ross]
Eigentlich verlangt dieses Rezept nach Pumpkin Butter, eine Art Kürbiskonfitüre. In den USA und Großbritannien ist es scheinbar leicht, so etwas im Supermarkt zu bekommen; wer möglichst authentisch sein will, stellt es sich selbst her. Ich habe mir als Alternative ein kleines Glas Babynahrung mit Kürbispürree hergenommen und davon zwei Löffel ins Glas getan.
Calciumlaktat ist noch so eine Sonderzutat. Meist wird sie in der Molekularküche und -mixologie verwendet, um in Zusammenspiel mit Alginsäure Pseudokaviarkügelchen (bekannt aus den Eistees, die vor einiger Zeit so beliebt waren) oder größere Getränkesphären herzustellen. In diesem Cocktail dient das Calciumlaktat aber nur dazu, dem Drink eine gewisse, sehr milde und unterschwellige Säure zu verleihen, die sich etwas von Zitrone oder Limette unterscheidet. Spannend ist es allemal!
Letztlich zeigen mir diese zwei Biere, dass es nicht damit getan ist, wenn man als traditioneller Bierbrauer einfach mal einen alternativen Sud für Bierstile, die man nicht so richtig kennt, anlegt und diesen abfüllt. Es gehört halt doch etwas mehr dazu; ich persönlich würde mir von Propeller jedenfalls wünschen, dass sie nach diesen ersten etwas tapsigen Schritten in die neue Bierwelt in Zukunft weniger forsch reden und stattdessen rundere, ausgefeiltere Biere herstellen als das Nachtflug und das Aufwind.