An anderer Stelle hatte ich schon erwähnt, dass Amerika andere Größenverhältnisse kennt als wir. Die Weite des Landes, die stellenweise hauchdünne Besiedlung und der gleichzeitig riesige Bedarf sorgen manchmal für für uns im engen, kleinen Deutschland unglaubliche Ausmaße in vielen Bereichen. Ein Beispiel dafür ist die für mich als Freund amerikanischer Spirituosen sehr relevante Maisproduktion. Was die Amerikaner unter Maisanbau verstehen, sieht man an diesem Video über die Maisernte in Carrington, North Dakota.
Warum interessiert mich die Maisernte? Bourbon muss zu mindestens 51% aus Mais bestehen. Wenn einem das nicht genug ist, greift der geneigte Whiskey-Trinker dann zu Corn Whiskey, der dann zu mindestens 80% aus dem gelben Gold destilliert wird. Man beachte diesen false friend, der in der deutsch-amerikanischen Kommunikation hin und wieder zu Missverständnissen führt: „Corn“ bedeutet übersetzt „Mais“, nicht „Korn“.
Der Mellow Corn Kentucky Straight Corn Whiskey aus dem Hause Heaven Hill geht noch einige Schritte weiter. Erstens setzt er sogar 90% Mais in der Mashbill ein (die restlichen 10% sind Roggen und Gerste), und zweitens handelt es sich beim Mellow Corn um einen Bottled in Bond Straight Corn Whiskey, der neben den Grundanforderungen weitere Qualitätskriterien erfüllen muss: Er muss beispielsweise unter Regierungsaufsicht mindestens 4 Jahre reifen, und mit mindestens 50% Alkoholgehalt abgefüllt werden. Wir haben hier also einen gereiften Maiswhiskey vor uns, der mit rohem Moonshine, wie man ungereiften, unkontrolliert hergestellten Maiswhiskey auch gern umgangssprachlich nennt, nicht mehr viel zu tun hat.
Entsprechend bezaubert uns schon in der Flasche die Farbe: Es sind keine Farbstoffe erlaubt, also kann man sicher sein, dass diese strahlende Goldfarbe aus dem Reifungsprozess in neuen oder bereits benutzten Fässern (letzteres wäre für Bourbon nicht gestattet) entstammt. Ungereifte Corn Whiskeys wären völlig weißtransparent.
Man erkennt hier ganz klar einen typischen Bourbon-Geruch, allerdings mit deutlich weniger Würze. Der Mellow Corn riecht nach Vanille und Marshmallows, und tatsächlich, für diesen Hinweis muss ich einem amerikanischen Rezensentenkollegen danken, extrem nach dem auch in Deutschland beliebten Juicy-Fruit-Kaugummi.
Zunächst sehr süß und weich im Mund, dann platzt die Bombe und setzt eine brennende Flamme frei. Das beißt und zwickt auf der Zunge, und kratzt etwas im Rachen beim Schlucken. Einerseits mag das an den 50% Alkohol liegen, denn auch die vergleichsweise kurze Reifungsdauer konnte dieses Feuer halt nicht löschen, was bei einem Bourbon durch die Kohleschicht der ausgebrannten Fässer optimiert wird. Trotzdem erzeugt dieser Maiswhiskey ein dichtes, cremiges Mundgefühl. Dabei erkennt man im Hintergrund eine medizinische Note, die mich an Küstenscotch erinnert. Spannenderweise schmecke ich keinen Mais heraus – aber oft erkennt man die Quelle nicht in einem Destillat.
Der Abgang ist sehr kurz, es bleibt einiges an Süße auf der Zunge und am Gaumen zurück. Die Karottennote, die scheinbar nur ich bei Bourbons regelmäßig erschmecke, ist auch hier vorhanden.
In einem zweiten Versuch, einige Zeit später, mit etwas Wasser auf schätzungsweise 30% verdünnt, rieche ich fruchtige Aromen und deutlich weniger Vanille; nicht so spektakulär wie unverdünnt. Dafür kann man nun die medizinische Note klarer wahrnehmen. Interessant: das Brennen ist trotz Verdünnung noch fast genauso stark.
Die Aromen eines Corn Whiskeys sind im Vergleich zu einem Bourbon oder Rye Whiskey doch zurückgenommen, und dadurch wird es schwieriger, sie in Cocktails unterzubringen. Den Mellow Corn kann man sicherlich nicht in jedem Cocktail verwenden, der nach Bourbon verlangt; doch einem Francis the Mule beispielsweise, benannt nach einer beliebten amerikanischen Fernsehfigur, gibt der Maiswhiskey einen originellen, ungewöhnlichen Touch.
Francis the Mule
2 oz Mellow Corn Kentucky Straight Corn Whiskey
½ oz Orgeat (oder Mandelsirup mit zusätzlich etwas Orangenblütenwasser)
½ oz Zitronensaft
½ oz starker, gekühlter Kaffee
2 Spritzer Angostura
Maiswhiskey gilt grundsätzlich als eher unraffinierter, oberflächlicher Schnaps – ein Kommentator auf Amazon bezeichnete den Mellow Corn sogar als schlimmen Fusel: „Absoluter amerikanischer Bauern-Schnaps für Hartgesottene, die einen Blindenhund zuhause haben!“ Nun, ich kann mir nicht vorstellen, dass derjenige den Mellow Corn tatsächlich mal im Mund hatte, sondern nur Vorurteile wiederkäut, wie wir das oft tun, wenn wir etwas nicht kennen oder mögen. Gewiss ist der Mellow Corn Kentucky Straight Corn Whiskey kein Spirituosenkunstwerk; einen Versuch ist er aber für jeden Whiskey-Freund wert, der seinen Gaumen weiterbilden und nicht ein Hinterwäldler bleiben will.
Ein Kommentar zu “Gelbes Gold und falscher Freund – Mellow Corn Kentucky Straight Corn Whiskey”