Es ist ein kleines Sehnsuchtsziel für mich geworden. Nachdem ich in Luca Garganos Buch Nomade parmi les fûts viel über seine Sicht auf Haiti gelesen habe, und mich gut in die lokale Spirituosenwelt eingetrunken habe, will ich dort dringend hin. Wie bei vielen Zielen auf der Welt, die mich sehr ansprechen, ist das aber doch leicht problematisch; schließlich ist Haiti, auch wenn Gargano gegen das Image des scheinbar chaotischen, in Unruhen und Armut versinkenden Lands mit viel offensichtlicher Liebe und Energie anschreibt, doch nicht das ideale Ziel für den Alleinreisenden. Nun, vielleicht ergibt sich irgendwann die Gelegenheit – dann werde ich sie ohne Zögern ergreifen.
Bis dahin poliere ich langsam weiter mein Französisch auf, und untersuche, was Haiti neben dem aktuellen Trendsetter Clairin zu bieten hat. Der Rumbrenner Berling, ansässig in der Hauptstadt Port-au-Prince, bietet eine Reihe von ungewöhnlichen Produkten unter dem Markennamen Florita an, die vom klassischen Triple Sec über Cocktailbitter bis zu Likören reicht. Oben erwähnter Gargano importiert sie über seine Firma Velier nach Europa. Zwei davon habe ich mir mal zugelegt; das erste, Florita Amande-Pays Amer Traditionnel Haïtien, will ich hier nun vorstellen. Es handelt sich dabei um einen aromatischen Bitterlikör auf Basis von haitianischen Kräutern, Gewürzen und Pflanzen, zum Beispiel dem namensgebenden Amande-Pays, was scheinbar der haitianische Name für die Terminalia Catappa, deutsch Katappenbaum, ist. Klingt exotisch? Ist es auch, sage ich jetzt schon, während ich mir ein Gläschen davon eingieße.
Im Glas sieht man die kupferne Farbe, die die Schwarzglasflasche versteckt hatte. Beim Schwenken bewegt sich der Amande-Pays Amer ölig und schwerfällig, hinterlässt an der Glaswand einen fetten Film, der kaum in Beine aufgespalten lange stehen bleibt, bevor er heruntersickert.
Die Nase ist bezaubernd – eine blumig-fruchtig-nussige bunte Mischung, die mir wirklich sehr gefällt. Da ist Maracujasaft, ein bisschen Rhabarbersirup, reife Erdbeeren und Brombeeren, deren Süße durch eine kräftige Bittermandelnote noch hervorgehoben wird. Darüber schwebt ein Duft wie aus einem tropischen Gewächshaus, Frangipani und Orchideen aller Art. Schnuppert man länger und tiefer, kommt etwas Ethanol zum Vorschein, bei 30% Alkoholgehalt etwas überraschend, da flacht der zauberhafte Eindruck auch etwas ab.
Im Mund beginnt der Likör sehr süß, leise, mit nur vorsichtigen Anklängen von all dem, was die Nase schon errochen hatte. Hier dominieren die Mandeln, die Maracuja ist nur in Ansätzen da. Eine spannende Stelle entsteht nach einigen Sekunden, wenn die liebliche Süße in so richtig knackige, trockene, holzige Bittere umkippt. Artischocken und Süßholz übernehmen das Kommando, es fühlt sich an, als ob man in einen Radicchio beißt, oder in eine Topinambur-Knolle. Ein leichtes Feuer aus Zimt entsteht, das die Zungenspitze kitzelt. Eine aromatische Nähe zu Allspice oder Pimento Dram meine ich zu erkennen.
Der Abgang ist schließlich noch bitterer, sehr trocken (ohne allerdings kratzig zu werden, da ist noch genug Basissüße als Ausgleich da) und macht seinem Namen „Amer“ alle Ehre, erinnert hier an Underberg, Angostura oder einen kräftigen Amaro. Eine deutliche Adstringenz saugt Spucke aus den Mundschleimhäuten, die Bittereindrücke und -geschmäcker bleiben eine ganze Weile im Mund hängen, mit Anflügen von sehr holzigen, wurzeligen Aromen wie Baumrinde, Süßholz und Kardamom, aber auch eine die fruchtige Nase wieder aufnehmende Grapefruitkomponente klingt deutlich nach.
Sicherlich ist das zwar ein „Bitter“, aber für mich noch kein Cocktailbitter, sondern geht klar in die Richtung von Magenbitter oder trockenem Amaro. Was bedeutet, dass man das schon sehr schön pur genießen kann, in den üblichen Szenarien, in denen man was zur Verdauung trinken möchte. Und entsprechend setze ich den Pays-Amande Amer auch in einem Drink ein, als Ersatz für Cynar in einem Sin Cyn – das macht mit dem haitianischen Bitter und einem australischen Grain Whisky wirklich so richtig Spaß.
Sin Cyn
1 oz milder Scotch Whisky
1 oz Cynar
1 oz süßer Wermut
Auf Eis rühren. Auf Eis servieren.
[Rezept nach Paul Dellevigne]
Ich gebe gern zu, der erste Impuls, mir diesen Bitterlikör zuzulegen, war aus dem Eindruck der total hübschen Flasche entstanden, als ich sie zum ersten Mal in einem Post eines Rumclubmitglieds neulich sah – die ungewöhnliche Form, das ausgesprochen schön gestaltete Etikett. Ja, ich weiß, ich sage sonst immer, dass der Inhalt zählt und nicht die Verpackung, aber ich bin ja auch nur ein Mensch und habe meine Rückfälle in die optischhaptische Phase, auch wenn das meine Suche nach der erfrischenden Geisteskühle des Schnapsmoksha wieder zurückwirft, besonders, weil es sich hier auch noch ausgezahlt hat, mal auf den Bauch statt den Kopf zu hören. Also zurück ins Samsara.
Wer sich für Bitterliköre begeistern kann, Campari, Aperol, Suze und diverse italienische Amari (insbesondere hier Cynar) mag, der wird am Florita Amande-Pays Amer Traditionnel Haïtien sehr viel Freude haben, da bin ich mir sicher. Natürlich ist er viel teurer als die vorgenannten, mit 25€ für 35cl legt man schon einen ordentlichen Preis auf den Tisch, doch man bezahlt auch hier erstens die Exotik eines kleinen Brenners auf Haiti, und den Import durch einen Exklusivabfüller LMDW & Velier, der weiß, was seine Ware wert ist. Persönlich bereue ich es kein bisschen!