La sangre de nuestra vida – Fortaleza Tequila Blanco (Los Abuelos)

Fortaleza Tequila Blanco Titel

Die Welt stürzt sich gern auf gereifte Spirituosen. Je dunkler, je älter, desto besser, so scheint das Credo zu sein. Bei Scotch geht es soweit, dass alles, was weniger als 10 Jahre gereift ist, von so manchem selbsternannten Kenner als minderwertig abgetan wird – und NAS-Abfüllungen ohne Altersangabe als der Untergang der Whiskykultur betrachtet werden. Bei Rum überschlagen sich die Hersteller mit Pseudoaltersangaben, die meist reine Augenwischerei sind – große zweistellige Zahlen, prominent auf dem Etikett, für ein Produkt, das rein technisch schon kaum so ein Alter erreichen kann (zumindest nicht zu dem ausgeschriebenen Preis). Die Ausnahme unter den braunen Spirituosen ist der Tequila, der sich nicht an dieser Hetzjagd nach möglichst großen Zahlen beteiligt. Selbst die längstgereifte Standardkategorie bei Tequila, der Añejo, wird meist unter 3 Jahren gereift. Tequila hat natürlich den Vorteil, dass die Pflanze, aus der er destilliert wird, nicht jährlich komplett neu heranwächst, wie das bei Gerste, Mais, Zuckerrohr oder Kartoffeln der Fall ist, sondern über mehrere Jahre hinweg Zucker und Aromen aufbauen kann – da wäre es ja eine Sünde, diese mühevolle Arbeit der Agave zunichte zu machen, indem man diese Aromen durch Fassholzgeschmäcker überdecken würde.

Für mich persönlich jedenfalls sind die weißen, ungereiften Varietäten von Spirituosen (ganz besonders bei Rum und Tequila) unabhängig davon eh immer die interessantesten. Sie zeigen den wahren Charakter des Destillats, unbeeinflusst von externen Effekten. Bei langgereiften Spirituosen schmeckt man oft nur noch das Fass – bei weißen dagegen die Essenz der Basismaterialien, oder wie Guillermo Sauza von Fortaleza Tequila in dem nachfolgenden Video etwas romantischer sagt, „the true blood of the destillery“. Selten genug sind mittelamerikanische Spirituosenhersteller so freigiebig mit Informationen über ihre Herstellungsmethoden und -lokalitäten wie Don Sauza, daher sollte man dies hoch schätzen.

Er hat aber auch nichts zu verbergen, im Gegenteil: der Fortaleza Tequila Blanco ist einer der wenigen Tequilas, die noch in kompletter Handarbeit hergestellt werden. Schon in der Flaschengestaltung weist der Hersteller darauf in Details hin: das handgeerntete Agavenherz, die piña, ziert als Stöpsel die Flasche. Gekocht wird die piña bei Fortaleza in klassischen hornos, also Steinöfen, nicht in modernen Autoklaven. Besonders herauszuheben ist die Zerkleinerung der geernteten und gekochten Agavenherzen in Vorbereitung für die Fermentation: industrieller Tequila nutzt Schredder-Maschinen, die traditionelle Methode allerdings ist die Verwendung eines Mühlsteins, der tahona. Die tahona ist heute deswegen zum Symbol für die Handarbeit beim Tequila geworden – und auch den Mühlstein findet man prominent auf der Flasche abgebildet.

Bei all dieser Tradition, bei all dieser Mühe muss letztlich die Frage gestellt werden – lohnt es sich, allein deswegen um die 60€ für eine Flasche dieses ungereiften Sprits zu investieren, oder bietet er auch einen geschmacklichen Gegenwert? Für den Preis bekommt man immerhin 5 Flaschen des Sierra-Mixtos!

Fortaleza Tequila Blanco

Das war natürlich nur ein Scherz (ein geschmackloser dazu!), kein Mensch sollte überhaupt den Sierra-Mixto kaufen, wenn ihm am Geschmack von Schnaps etwas liegt.

Wie von einem Blanco zu erwarten, ist die Farbe vollkommen klar; man könnte aber meinen, einen leichten Blaustich wahrzunehmen. Die Flüssigkeit ist viskos und schwer. Der Geruch setzt ein erstes Ausrufezeichen – süß und vegetal. Sehr aromatisch nach Agave, Apfel, Rosmarin, Lavendel.  Anklänge von Anis und Motoröl. Aber auch fruchtig, in Richtung Honigmelone. Nur unterschwellig alkoholisch.

Der Geschmack toppt den eh schon komplexen Geruch noch deutlich. Cremig, superweich und öligschwer im Mund, herrlich natursüß nach Kandiszucker. Die „Aquarium“-Note, die mir bei Sotol das erste Mal auffiel, ist hier auch vorhanden, aber reduzierter. Ein sehr deutlicher Agavencharakter wird ergänzt durch Fruchtigkeit (Pfirsich?). Später wird es kräuterig-würzig, Pfefferminze, Thymian, Nadelgewächs und eine hintergründige Tabakwürze. Sehr komplex. Der Körper, die Dichte und der gefühlte Reifegrad dieser weißen Spirituose übertrifft viele añejos, die ich kenne, und die meisten reposados: Ein Beweis dafür, dass Alter eben doch nicht alles ist, sondern nur ein Hilfsmittel.

Im Abgang gibt es keine negative Überraschung – warm und weich, dabei leicht pfeffrig. Leicht betäubend und kühlend an der Zungenspitze. Der Abgang ist zwar nur mittellang, dafür aber hocharomatisch. Sehr gefällig und unglaublich fein zu trinken, übertrifft der Fortaleza Tequila Blanco dabei viele Cognacs, ohne sich dabei aber anzubiedern. Kurz – eine edle Spitzenspirituose. Es ist nicht zu fassen, dass so etwas direkt aus der Pot Still, ohne Reifung, läuft; da fangen viele andere Brenner an zu heulen.

40% Alkohol sind ein üblicher Wert für Tequilas, man merkt aber nichts davon. Dennoch bin ich voller freudiger Erwartung auf den bald erscheinenden Still Strength Forty Six mit 46%, von dem ich neulich einen winzigen Schluck schon probieren konnte, und seitdem davon träume.

Fortaleza Tequila Blanco Glas

Passend zum handgefertigten Inhalt trinke ich diesen Tequila aus einem handgemachten Caballito, wie es auch Guillermo Sauza in seiner Destillerie tut. Alternativ sind natürlich langstielige, kaminförmige Verkostungsgläser, wie sie auch für Whisky und Rum bei Kennern üblich sind, bestens geeignet.

Für manche ist es ein Sakrileg, eine derart hochwertige Spirituose in einem Cocktail zu verwenden. Nicht für mich, im Gegenteil. Natürlich verzichte ich darauf, einen Tequila Sunrise, mit seinem großen Saftanteil, mit Fortaleza Tequila herzustellen, das wäre zugegebenermaßen schon leicht dekadent (wenn ich mir es durchgängig leisten könnte, wäre allerdings auch das kein moralischer Stolperstein für mich). Aber bei Cocktails, in denen die Spirituose eine große Rolle spielt, wie bei einer Margarita oder The Bermondsey Minute, zählt jedes Grad an Qualität. Da kann so ein Tequila dann noch das letzte Quäntchen an Genuss aus einer Mischung herausholen und diese von der Kategorie „lecker“ in die Kategorie „göttlich“ verschieben. Was hier definitiv passiert. Man beachte, dass das Originalrezept nach einem reposado verlangt. Der vorliegende blanco allerdings füllt Rezepte dieser Art ohne jede Mühe aus.

The Bermondsey Minute


The Bermondsey Minute
2 oz Tequila Reposado (oder hier: Fortaleza Tequila Blanco)
¾ oz Roter Wermut (z.B. Carpano Antica Formula)
1 Teelöffel Maraschino-Likör (z.B. Bols)
1 Teelöffel Lavendelsirup
2 Teelöffel Stilles Wasser
Auf Eis rühren. Mit Zitronen- und Orangenzesten dekorieren.
[Rezept nach Simon Difford]


Interessant ist die Abfüllungschargen-Nummer, die auf der Rückseite handschriftlich (da haben wir es wieder!) eingetragen ist. Im Gegensatz zu Jahreszahlen bei Jahrgängen bei Wein oder bei manchen Spirituosen, und auch im Gegensatz zu Single-Barrel-Fassnummern bei manchen Whiskeys oder Rums handelt es sich hier um die Nummer des Abfüllungsvorgangs in Flaschen. Jahrgänge sind bei Tequila schwer durchzuführen, da die Agavenernte das ganze Jahr über erfolgt und immer andere Teile eines Felds geerntet werden, und Single-Barrel-Produktionen sind auch (noch) eher selten und für ungereifte Spirituosen, die kein Fass zu Gesicht bekommen, wie beim vorliegenden Tequila, natürlich eh nicht relevant.

Fortaleza Tequila Blanco Rücketikett

Sehr rustikal kommt der bereits oben angesprochene, manufakturierte Stöpsel daher; die bei meiner Flasche etwas schiefe Anfertigung lässt keinen Zweifel daran, dass hier wirklich Handarbeit im Spiel war. Alles andere als ein Naturkorken wäre dem Rest nicht angemessen.

Die letzte Frage, die noch offen bleibt, ist die nach dem Namen. In Mexiko wird dieser Tequila unter dem Namen Los Abuelos („die Großeltern“) verkauft – und es geschieht öfter, als man denkt, dass solche Namen im globalisierten Markenrecht anderswo bereits geschützt sind. Der Rum Diplomatico musste so in Deutschland in Botucal umbenannt werden, um Verwechslungen mit dem Aldi-Billigweinbrand Diplomat zu vermeiden; ähnlich ging es Los Abuelos in den USA, als der panamanesische Rumhersteller Abuelo erfolgreich dagegen klagte, dass der zu ähnliche Name verwendet werden durfte. Man sieht an diesen zwei Fällen, meist gewinnt der Schnellere, nicht der Bessere. So wurde eben der Name der Destillerie La Fortaleza als Ersatz für das Produkt herangezogen.

La sangre de nuestra vida – das Blut unseres Lebens, so bezeichnete Francisco Javier Sauza die Erde, auf der die Agaven für den La Fortaleza Tequila wachsen, in einem sentimentalen Moment gegenüber seinem oben erwähnten Enkel Guillermo. Diesem abuelo und den anderen Vorfahren zu Ehren wurde der Tequila dieser Heimaterde wieder neu erschaffen, basierend auf den alten Methoden, nachdem die Produktion 30 Jahre lang eingeschlafen war. Wenn es eine Spirituose gibt, die die überstrapazierte Bezeichnung „craft“ verdient, dann ist es dieser Tequila, der gleichzeitig zeigt, dass sich die Mühe auch in Qualität auszahlt. Wer ihn probiert, wird mir zustimmen.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

8 Kommentare zu „La sangre de nuestra vida – Fortaleza Tequila Blanco (Los Abuelos)

  1. Ein schöner Artikel! Tequila ist in der Tat leider einfach eines jener Opfer von jahrzehntelangen Quasimonopolen. Und Mezcal kennt dann erst recht niemand. Vermutlich braucht diese Entwicklung dann doch eben das, was Tequila eben nicht so unendlich viel braucht: Zeit. ;)

  2. Ich hatte mir nach der Lektüre dieses Artikels den Reposado besorgt (der Blanco war ausverkauft), und meine Frau und ich waren restlos begeistert. Jetzt ist eine weitere Flasche für einen der Schwiegersöhne unterwegs, und ein Los Javis Mezcal für uns gleich noch dazu (natürlich nur, um die Versandkosten im Rahmen zu halten…) Das einzige, was mir Sorgen macht, ist die Frage, ob der etwas biegsam zusammengebaute Korken bis zum Schluss hält.

    Früher machte Bier den Durst erst schön, heute ist es Barro. Ein großes Kompliment für diesen schönen und inspirierenden Blog!

  3. Werden wir uns dann wohl zulegen müssen :) Einer derartigen Lobpreisung muss gefolgt werden.
    Der im Artikel kurz erwähnte panamaische Rum „Abuelo“ ist ein schlimmer Fusel. Trotz recht steilen Preises (für den 12jährigen) ist er nicht einmal bei „Engpässen“ zu verwenden. Wird wohl langsam in Desserts verkocht werden müssen. Sicherlich aber nicht mehr getrunken.

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