Es war eine Riesenfreude für mich, gepaart mit sehr viel Stolz, als ich im Mai dieses Jahres die Einladung erhielt, am internationalen reisenden Spirituosenwettbewerb Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles – Edition 2018, stattfindend in Plovidv (Bulgarien), teilzunehmen. Bis heute erinnere mich äußerst gern an das Abenteuer, das die Teilnahme in Chile letztes Jahr für mich bedeutete – die Frage, ob ich die Einladung annehmen soll, stellte sich mir daher gar nicht. Die Vorfreude darauf, alte Bekannte wiederzutreffen, neue Gesichter kennenzulernen und neue Spirituosen verkosten zu dürfen, ließ mich bis Ende August fiebern. Endlich konnte es losgehen.
Die Anreise, innerhalb Europas und sogar der EU natürlich weit weniger kompliziert und aufregend als die ins südliche Südamerika, führte mich von Saarbrücken über Frankfurt/Main nach Sofia, der Hauptstadt Bulgariens, und von dort zum Austragungsort Plovdiv, der, je nach Aussage, zweit- bis drittgrößten Stadt Bulgariens. 2019 wird Plovdiv Kulturhauptstadt Europas sein; es versprach also nicht nur spiritistisch, sondern auch kulturell eine anregende Reise zu werden.
Der erste volle Tag in Plovdiv war reserviert für eine ganze Reihe von Masterclasses. Begonnen wurde mit einem wirklich spannenden Experiment, in dem 12 französische Weinbrände vorgeführt wurden, von denen jeder einen speziellen sensorischen Mangel aufwies. Olivier Chapt und Jean-Luc Braud erklärten, wodurch so ein Mangel entsteht und wie/ob er vom Brenner behoben werden kann. Alexandra Le Floch und Emmanuel Boudaric von der Independent Stave Company zeigten die aktuellen Entwicklungen auf, was Fassmanagement und -konstruktion angeht – die Gestaltungsfreiheit, die ein Fasskäufer heute hat, ist wirklich erstaunlich. Nikolay Bakalov und Nikolay Stoyanov führten in die Geschichte und Herstellungsprozesse der bulgarischen Nationalspirituose Rakiya ein. Danach zeigte Svetlin Mirchev von RakiaShop mittels einer Food-Pairing-Demonstration, dass Rakiya ein idealer Essensbegleiter ist. Darko Angeleski, Barmann der 5L Speakeasy Bar in Sofia, komplettierte diese Trilogie über Rakiya mit einem live gemixten Cocktail. Am Ende wechselten wir zu Whisky – Cyrille Mald, Autor des Buchs „Iconic Whiskies“, stellte neue, interessante Whiskyveröffentlichungen aus Schottland, Frankreich und Belgien vor. Ein langer Tag voll hochkonzentrierter Information, ich habe unglaublich viel gelernt.
Es ist Tradition bei Spirits Selection, dass einer der ersten Abende aus einem Zusammentreffen der Juroren mit diversen Herstellern lokaler Spirituosen besteht. So kann man sich ein Bild machen, welche Breite und Tiefe an Produkten in der Region vorhanden ist, und Kontakte knüpfen. Besonders auffällig waren an diesem Abend die Stände von Ракия Исперих / Rakia Isperih, wo Master Distiller Barash Musa persönlich seine erstaunliche Fruchtrakiyapalette vorstellte – die Highlights darunter für mich ein wirklich leckerer Quittenbrand, ein hochinteressanter Feigenbrand sowie ein Kürbisbrand; und von Черноморско Злато / Black Sea Gold, die mit dem feinduftenden Аламбик (Alambic) und ihren langjährig gereiften Weinbränden die andere Seite des breiten Spektrums der bulgarischen Spirituosentrinkkultur abbildeten. Ausführliches Probieren und Diskutieren in einer attraktiven Umgebung, bei angenehmen Temperaturen: Sehr schön organisiert vom Spirits-Selection-Team in Zusammenarbeit mit den lokalen Organisatoren und Produzenten.
Das Hotel Imperial Plovdiv Hotel & Spa, wo diese Veranstaltung abends im Hof stattfand, war dann auch der Ort, wo die tatsächliche Arbeitsstätte für uns Taster lag. Im neunten Stock wurde der Tagungsraum von den 12 Tischen, an denen die Jurymitglieder in Gruppen die 3 Tage des offiziellen Wettbewerbs aufgeteilt saßen, voll ausgefüllt. Mir ist dieses Szenario noch vom letzten Jahr bekannt gewesen, und tatsächlich ist das zweite Mal, wenn man an so etwas teilnimmt, deutlich einfacher als das erste Mal. Ich bin dennoch wieder fasziniert gewesen von der Fokussierung, die die Tester zeigen, sobald sie ihre Samplegläser vor sich auf dem Tisch haben – trotz insgesamt fast 100 Leuten im Raum herrscht dann eine konzentrierte Stille, die nur vom hin und wieder auftretenden Klimpern sich berührender Gläser und dem einen oder anderen Ausruf, wenn ein Glas aus Versehen umkippt, durchbrochen wird. Alles Profis, man spürt das direkt.
Das Vorgehen hatte ich bereits in meinem Artikel für Spirits Selection 2017 beschrieben – es hat sich nichts grundlegendes geändert. Pro Tag waren erneut zwischen 4 und 6 Flights vorgesehen, die jeweils zu einer Spirituosenkategorie gehören. Nur mit einer Reihenfolgennummer versehen werden die Samplegläser vor dem Taster auf dem Tisch aufgebaut, und es erfolgt eine Bewertung hinsichtlich Optik, Aroma und Geschmack, sowie einer Gesamtbetrachtung. Meine Flights dieses Jahr bestanden aus Vodka, jungem Tresterbrand, Rhum agricole VO und XO, sauce-aroma Baijiu, strong-aroma Baijiu, peruanischem Pisco, gereiftem Grappa, diversen Weinbränden, Bacanora, Rhum arrangé und Fruchtwein. Eine sehr schöne Zusammenstellung, die mir und meinen Interessen gut entgegen kam. Insbesondere der Bacanora-Flight war spannend, denn diese mexikanische Agavenspirituose aus der Sonora-Wüste kannte ich bisher noch gar nicht. Auch meine ich, nach 2 Jahren Einarbeitung nun endlich Baijiu wirklich verstehen zu können. Der Wermutstropfen insgesamt an diesem sehr diskreten Verfahren liegt für mich persönlich darin, dass ich nie erfahre, welche Spirituosenmarken genau ich auf dem Tisch hatte – die eine oder andere hätte sicher einen Weg in meine Heimbar gefunden. So muss ich mich gedulden, bis die Endergebnisse vorliegen, um dann anhand der Medaillen zu raten, welche es gewesen sein könnte.
Natürlich benutzt man einen Cuspidor (Spucknapf) für derartige Tastings, anders wäre das gar nicht möglich bei um die 100 Samples über 3 Tage. Der geneigte Spirituosenfreund ist damit natürlich nicht zufriedenzustellen, darum bestanden die Abende dann oft darin, dass man sich in kleinen Grüppchen auf der Terasse des Hotels oder in der angeschlossenen Whiskylibrary traf, um dort die Arbeit des Tastings hinter sich zu lassen und auf den Genuss umzuschwenken. Das Hotel Imperial in Plovdiv hat eine wirklich schön gestaltete und sehr gut ausgestatte Bar, mit Single Malt Scotch für jeden Geschmack. Wer mehr auf andere Spirituosengattungen steht, fand immer eine Gruppe, in der verschiedene Rakiyas, Mezcals, Cachaças, Bourbons oder Weinbrände, von den Teilnehmern selbst aus ihren Heimatländern mitgebracht, bereit standen. Man sieht daran, dass für alle Teilnehmer Spirituosen nicht nur ein Beruf oder Arbeit sind, sondern eine Leidenschaft – gute Laune und viel Lachen gehörte bei diesen Abendrunden immer dazu, dazu ein babylonisches Sprachgewirr, bei einem Wechsel des Tischs änderte sich oft auch die Sprache, von Englisch auf Französisch auf Spanisch auf Deutsch und wieder zurück. Völkerverständigung par excellence.
Etwas, was ich an der Teilnahme an Spirits Selection unglaublich schätze, ist, dass wir als Juroren sehr stark ins Gastland miteingebunden werden. Nach den Tastings gibt es immer ein ausgedehntes Besichtigungsprogramm, in dem einem Land und Leute nähergebracht werden. Natürlich dreht sich auch dabei ein Großteil um Spirituosen, passend für die Zielgruppe. Zwei Besuche bei Herstellern nahmen dabei den Löwenanteil ein – einerseits die Ethanolfabrik von VP Brands in Katunitsa, mit beigelagerter Visite der Abfüllanlage und dem Fasslager in Peshtera; andererseits das Weingut Via Vinera bei Karabunar, das neben Wein auch Rakiya produziert. Der Unterschied dieser beiden Hersteller könnte größer kaum sein. Man erkennt auf den untenstehenden Bildern die Säulendestillation von VP Brands, die neben Getreidespirituosen damit auch Ethanol für technische Zwecke mit einem Reinheitsgrad von 99,6% herstellen; eine bestimmt 30 Meter hohe Säule, aus der am Tag 120000 Liter fließen. Gegenüber steht der Alambik von Via Vinera, in dem im Batch-Verfahren vergleichsweise verschwindend geringe Mengen gewonnen werden. Auch die Rohstofflagerung ist unterschiedlich, links unten mag man anhand der Größenverhältnisse der behelmten Besucher in roten Warnwesten die Größe der Getreidesilos von VP Brands einschätzen, aus deren vieltausendtonnigem Inhalt der Sprit produziert wird. Rechts daneben die kleinen Edelstahltanks, in denen Via Vinera seinen Wein fermentiert.
Von der Besucheranlage bei VP Brands erspare ich dem geneigten Leser die Fotos, da gibt es nichts zu sehen. Das Weingut Via Vinera dagegen hat auch optisch so einiges zu bieten; sehr neu, erst 2007 eröffnet, in einer herrlichen Lage inmitten von Weinbergen gelegen. Vor allem die typisch bulgarischen Rebsorten Dimyat und Misket werden hier angebaut, Weiß- und Rotwein daraus gewonnen und auch die Rakiyas, die unter dem Label Културна (Kulturna) vertrieben werden. Ich schätze die totale Transparenz, mit der wir durch die Produktionsanlagen geführt wurden, und uns alles bis ins kleinste Detail erläutert wurde – erneut eine frappierende Diskrepanz zum Besuch bei VP Brands, in dem Fotos eigentlich verboten wurden, und wir zu Beginn eine DIN-A4-Seite voll Regeln vorgelesen bekamen, unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass bei vermuteten Spionageaktivitäten (!) die Besichtigung sofort abgebrochen und rechtliche Schritte eingeleitet werden. Nun, vielleicht ist das notwendig bei einem derart großen Hersteller mit viel technischen Betriebsgeheimnissen, es wirkte nur seltsam sowjetisch absurd. Nicht, dass die Besichtigungsführer unfreundlich gewesen wären, keineswegs – dennoch lobe ich mir dagegen die Offenheit, Ruhe und Gelassenheit des Weinguts.
Für Laien immer besonders beeindruckend sind die Fasslager. Ich gebe zu, für mich persönlich reicht es aus, kurz durchzulaufen – ein paar interessante Details, der Rest ist halt ein Lagerhaus, das in den meisten Betrieben doch sehr ähnlich ist. Sowohl bei Via Vinera als auch bei VP Brands besichtigten wir deren jeweilige Fasslager. VP Brands wartet mit 6fach gestapelten Fässern auf, tief in den Raum hinein: 12000 Fässer, hauptsächlich aus bulgarischer Eiche in unterschiedlicher Größe. Bei Via Vinera ist der Keller des Haupthauses voll mit Holzfässern, ein Großteil davon enthält allerdings Wein.
Neben den Besuchen bei lokalen Herstellern gehört auch ein eher touristisches Besichtigungsprogramm zu den Annehmlichkeiten, die Spirits Selection dem Juror bietet. Eine Führung durch den alten Stadtkern Plovdivs war hierbei besonders hervorzuheben – es ist gut zu sehen, dass die Stadt versucht, diese alten, traditionellen Gebäude und ihre Inneneinrichtung zu schützen. Beeindruckend war gegen Ende der Führung der Ausblick von der alten Festung, die in Ruinen liegt und von der man nur noch die Grundmauern erkennen kann, über den modernen Rest Plovdivs: Alt und neu einträchtig vereint. Ich mag derartige Spannungsfelder sehr, auch wenn, ehrlich gesagt, die etwas in die Jahre gekommene Architektur des modernen Plovdiv schon deutlichen Renovierungsbedarf aufweist.
Das absolute Highlight des kulturellen Teils des Programms war die Vorstellung, die die Folkloregruppe Plovdivs für uns bereit hielt. Organisiert speziell für die Teilnehmer von Spirits Selection, war die Tanz- und Gesangsdarbietung offen für jeden Bürger Plovdivs, und entsprechend brechend voll war das antike Amphitheater. Ein grandioser Anblick, und ein atemberaubendes Spektakel. Eine gute Stunde dauerte die Darbietung aus traditionellen bulgarischen Gesängen und den Choreographien, die mich in ihrer verblüffenden Komplexität und technischen Ausführung sprachlos mit offenem Mund dasitzen ließen. Das war keine pseudofolkloristische Touristenpräsentation, sondern höchstwertige Unterhaltung. Allein diese Vorstellung war die Reise vielfach wert – sollte ein Leser jemals die Chance haben, bei einem Besuch in Bulgarien so etwas zu besuchen, ich rate dazu, alles andere dafür zurückzustellen. Es war ein berauschendes Erlebnis und hohe Kunst.
Ein weiterer fester Agendapunkt ist die Übergabe der Verantwortung vom aktuellen Gastgeber des Concours an den des nächsten Jahres. Es wird auch vor den Teilnehmern zunächst geheim gehalten, wohin die Reise des Folgejahres gehen wird – 2019 reist Spirits Selection nach China. Die Stadt Lüliang in der nordchinesischen Provinz Shanxi übernimmt den Staffelstab von Plovdiv. Ein Galadiner, organisiert von der chinesischen Delegation im Hotel St. Petersburg, sollte uns darauf schon einmal etwas einstellen – die Tische waren voll mit Baijiu-Flaschen, ein Geschenkset mit chinesischem Porzellan wurde jedem Anwesenden überreicht, und Ulric Njis präsentierte Cocktails, deren Hauptzutat der chinesische klare Hirseschnaps Baijiu war (ich versuche, die Rezepte zu ergattern, denn es waren wahre Köstlichkeiten, die ich gern an die Leser meines Blogs weitergeben würde). Von Tisch zu Tisch schallten die Ganbei!-Rufe, mit denen jedes Zuprosten eingeleitet wurde. Nachdem jeder Teilnehmer sich noch auf der großen Leinwand per Unterschrift verewigt hatte, ging das Dinner mit 5 Gängen bulgarischer Spezialitäten langsam zu Ende; und damit auch die gesamte Woche des Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles 2018 in Bulgarien.
Natürlich konnte ich nicht widerstehen, neben den Präsenten der Hersteller noch ein paar zusätzliche Schmankerl für die heimische Hausbar mit einzupacken (wohl dem, der daran denkt, genug Luftpolsterfolie auf so eine Reise mitzunehmen!). Black Ram ist ein beliebter Whisky in Bulgarien, Пещерска Отлежала ein Rakiya, wie der Whisky aus dem Hause VP Brands. Der Rakiya Културна Отлежала stammt vom Weingut Via Vinera, wie oben gesehen. Troyanska Slivovitz Special Reserve ist ein 25 Jahre gereifter bulgarischer Pflaumenrakiya; Destilerija Zarič Rakija od Malina Opsesija ein herrlicher Himbeerrakiya aus Serbien. Da Spirits Selection immer ein besonderes Augenmerk auf Baijiu legt, kamen natürlich auch Exemplare des chinesischen Klaren mit ins Gepäck – Xinghuacun Fenjiu Qinghua 20, ein Präsent des nächstjährigen Gastgebers, sowie Ming River Sichuan Baijiu, den ich großartigerweise von Derek Sandhaus, dem Autor von Baijiu: The Essential Guide to Chinese Spirits, der auch als Juror anwesend war, persönlich bekommen habe. Ein Koffer voll gutem Stoff also, an dem ich viel Freude haben werde. Natürlich folgt für die meisten dieser Brände auch irgendwann ein entsprechender Verkostungsartikel hier auf meinem Blog.
5 Tage mit sehr wenig Schlaf und einem riesigen Informationsoverload vergingen praktisch im Flug – wie schon letztes Jahr war es ein fantastisches Erlebnis, mit sovielen Experten auf so engem Raum soviel Zeit zu verbringen. Nach nur zwei Teilnahmen an Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles fühle ich mich bereits in eine Familie eingebunden, die unendlich lehrreich und gleichzeitig voller Spaß ist; besonders großartig war das Wiedertreffen mit den Leuten, die ich im letzten Jahr gut kennengelernt hatte – inzwischen sind es Freunde. Bulgarien, insbesondere Plovdiv, sorgte für die lebhafte Kulisse. Es wird noch eine Weile dauern, bis ich all die Erfahrungen verarbeitet habe. Ich danke den Organisatoren für die diesjährige Einladung ganz herzlich und wünsche viel Glück und Erfolg für Lüliang 2019. Bis dahin trinke ich den einen oder anderen Rakiya und stoße an: Наздраве!
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