Es ist nun schon eine gewisse Weile her, dass ich einen Baijiu besprochen habe. Meine Artikelreihe Mit einem Krug Wein zwischen den Blumen, die als Miniserie gedacht war, weist zwar schon 11 Einträge auf, mit einem breiten Sortiment an Leicht-, Stark- und Saucearoma-Baijius, doch insgesamt krankte es wohl an einem Detail: Die meisten der von mir besprochenen Baijius sind exklusive Produkte, in China für den chinesischen Markt hergestellt, in Deutschland praktisch nicht erhältlich und werden es wohl auch in mittelfristiger Zukunft nicht sein. So kann der Leser zwar versuchen, mein Interesse für diese Spirituosenkategorie auf einer abstrakten Ebene nachzuvollziehen, doch so richtig begreifen tut man es halt erst, wenn man so einen Tropfen auch mal selbst im Glas hat.
Dies kann sich nun ändern. Der Ming River Sichuan Baijiu ist endlich ein hochqualitativer Baijiu, der offensiv auf dem europäischen Markt angeboten wird. Das spannende an dieser Herangehensweise ist, dass westliche Spirituosenexperten schon bei der Auswahl und Herstellung eines Produkts mit ins Boot geholt werden; das Ziel ist, die zwar nicht wirklich enge, aber doch eingegrenzte Perspektive des chinesischen Markts sprengen zu können. Zugegebenermaßen muss bei vielen Produkten eine nichtchinesische Zielgruppe bereits früh mitberücksichtigt werden, um die gröbsten Kanten, die Chinesen lieben, Westler aber abstoßen, auszugleichen. Ähnlich wie beim Red Star Nuwa, der von Christian Vergier mitgestaltet wurde, ist hier jemand gefunden worden, der sich in der Welt des chinesischen Klaren auskennt wie kaum ein zweiter außerhalb Chinas – Derek Sandhaus, Autor des aktuell einzigen vernünftigen Buchs über Baijiu. Der Nuwa war nun ein Leichtaroma-Baijiu, der Ming River ist dagegen der erste für deutsche Konsumenten gut verfügbare Starkaroma-Baijiu; die Kaufbarkeit ist aber nur ein Teil der Frage, viel wichtiger ist – taugt er was, kann man sich damit an die Kategorie herantasten?
Bei Baijiu gibt es nicht viel über die Farbe zu sagen – klar und ohne Einschlüsse. Er bewegt sich lebendig und flüssig im Glas, es ist kaum Öligkeit erkennbar. Das typische Starkaroma-Baijiu-Aroma ist geruchlich direkt präsent. Fermentierte Pfirsiche, weiße Gummibärchen, überreife Ananas, verrottete Bananen. Dazu kommt eine dezente Teernote, etwas Plastik, Apfelessig und ein Hauch von Lakritze. Insgesamt wirkt der Ming River hell und trotz der vielen Ester leicht, insbesondere im Vergleich zu vielen seiner Kategoriekollegen.
Kommen wir zum Geschmackseindruck: Sehr süß im Antrunk, mit Klängen von Kandiszucker, viel Frucht, Pfirsich und ganz besonders Ananas. Die Fruchtester übertreffen die von Hochesterrum bei weitem in Weiche und Anzahl. Sehr dicht und fett, dabei aber mild – 45% Alkohol sind gut gewählt und sehr rund eingebunden. Kleine Spitzen von Teer und Plastik tauchen im Verlauf auf, wirken aber nicht störend. Später kommen dunkle Schokoladenaromen und Karamell, Bananigkeit und Datteln zum Vorschein, ohne dabei übermäßig süß zu werden – ein sehr interessanter Geschmacksbogen, der ständig etwas Neues zu bieten hat.
Der mittellange Abgang ist sehr anislastig, lakritzig, süßholzig. Sehr warm und mit einem seidigen, schokoladigen Finish. Das Süßholz hängt noch eine Weile nach, ohne dabei zu sehr zu klammern; ein Baijiu, der einen auch wieder loslässt, das weiß man zu schätzen, wenn man welche probiert hat, die einen noch Stunden später beschäftigen.
Das ist eine hochkomplexe Fruchtbombe, die diesbezüglich jedem Hochesterrum die Show stiehlt, dabei aber nicht überwältigt oder zu kompliziert wird, nie kratzt oder beißt, und in ihrer Rundheit und Kantenlosigkeit begeistert.
Gerade die ausgeprägte Fruchtigkeit macht den Ming River zum interessanten Spieler in diesbezüglich eh schon orientierten Cocktails. Kaum ein zweiter hat sich um Baijiu in Drinks ähnlich verdient gemacht wie Ulric Nijs – aus seiner Feder stammt auch der Berry Baijiu Sour, der dies demonstriert.
Berry Baijiu Sour
1 oz Starkaroma-Baijiu
¾ oz Zitronensaft
¾ oz Himbeerlikör
¼ oz Galliano L’Authentico
1 Eiweiß
Dry shake, dann auf Eis shaken.
[Rezept nach Ulric Nijs]
Die Flasche ist in Anlehnung an eine chinesische Laterne gestaltet; extravagante Formen sind bei Baijiu-Flaschen eher die Regel denn die Ausnahme, das hatte ich bei einem anderen Artikel schonmal angesprochen. Das Etikett hält sich dagegen etwas zurück, ist mit der recht abstrakten Schwarzweißillustration zufrieden. Ich habe diese Flasche von Derek Sandhaus persönlich erhalten, während unseres gemeinsamen Aufenthalts in Plovdiv während des Concours Mondial de Bruxelles.
Ich bitte darum, sich auf einen Versuch einzulassen. Man braucht eine gewisse Lernphase, ohne Zweifel, hat man sie aber durchschritten, liegt eine komplett exotische, fremde Aromenwelt vor einem, die keine andere Spirituose der Welt in dieser Konsequenz bieten kann, die man erforschen und voller Sense of Wonder kennenlernen kann. Und ich garantiere, wenn man genug Energie investiert, wird man das, was man zu Beginn nie gedacht hat mögen zu können, lieben voller Inbrunst. Der Ming River Sichuan Baijiu ist dabei sowohl für Einsteiger als auch für Profis ein perfektes Beispiel dafür, was hochqualitatitver Baijiu kann.
3 Kommentare zu „Mit einem Krug Wein zwischen den Blumen, Teil 12 – Ming River Sichuan Baijiu“