Der Sommer 2017 war ein sehr aufregender für mich – ich wurde mit einer Einladung geehrt, als eines von 66 Jurymitgliedern aus aller Welt am renommierten Spirituosenwettbewerb Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles teilzunehmen. Wie man schon am Ceacheí im Titel erkennen kann, war das diesjährige Gastland das südamerikanische Chile.
2017 fand der global herumreisende Wettbewerb nun also mit mir als kleinem Seitenakteur in La Serena, der viertgrößten Stadtagglomeration Chiles, statt. Man mag sich ausmalen, dass bereits die Anreise ein Abenteuer für sich war: 8700 Kilometer nach Dallas/Texas, um dort umzusteigen, dann weitere 8300 Kilometer nach Santiago de Chile, und ein letzter Inlandsanschlussflug dann nach La Serena. Knapp 40 Stunden dauerte diese Reise, die mich von Europa, über das Überfliegen der Südspitze Grönlands bis tief in die Südhalbkugel unserer Erde führte. Eine Weltreise, die ich dank des freundlichen Personals von American Airlines gut überstand.
Nun will ich keinen Reisebericht über Chile schreiben, obwohl das Land mich vom ersten Moment an bezaubert hat. Wer die Chance hat, es zu besuchen, sollte es auf jeden Fall tun, insbesondere, wenn man sich für atemberaubende Natur begeistern kann – Chile hat ein Längen-Breitenverhältnis von 21:1, und entsprechend findet man hier von der trockensten Wüste der Welt im Norden bis zum gemäßigten Regenwald im Süden alles; darüber hinaus weist Chile die klarste Luft der Welt auf, was sich in vielen Sternenobservatorien äußert (leider erwischten wir bei unserem Besuch bei einem solchen den einzigen bewölkten Tag des Jahres). Die Menschen, nur 23 von ihnen pro Quadratkilometer, sind freundlich, zurückhaltend, gleichzeitig stolz auf ihr Land und seine Produkte.
Eines dieser Produkte ist Pisco. Entsprechend der Verortung in Chile hatte Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles natürlich auch ein besonderes Augenmerk auf diesen Weinbrand gelegt. Am ersten Abend des Wettbewerbs konnten eine Vielzahl der Hersteller an einer Soirée ihre Brände präsentieren, und die beeindruckende Spannbreite darlegen, die der chilenische Pisco aufzuweisen hat. Cocktails mit Pisco, chilenische Snacks (zum Beispiel herausragende chilenische Empanadas mit Meeresfruchtfüllung), viele Reden der lokalen Orts- und Verbandsvorsteher und der Versuch, ein paar der anderen Juroren kennenzulernen, sorgten dafür, dass kaum Jetlag bei mir entstehen konnte, bevor ich dann doch erschöpft im Hotel Club La Serena, nur wenige Schritte vom Strand des Pazifik entfernt, ins Bett fallen konnte. Der Pazifik sorgte dann für eine sehr angenehme Geräuschkulisse über Nacht, und der Ausblick morgens vom Balkon des Zimmers im siebten Stock für sofortige gute Laune.
Die Kommunikation begann am nächsten Morgen, beim Frühstück, der wichtigsten Mahlzeit eines Spirituosentesters, wenn man bereits um 09:00 morgens mit dem Verkosten beginnen soll. Eine gute Basis legen ist Pflicht, selbst wenn die Samples, die man vorgesetzt bekommt, natürlich nicht vollkonsumiert werden, sondern nach der ausführlichen Geschmacksprobe in einem Cuspidor landen – vulgo Spucknapf. Bei der durchschnittlichen Menge von 35 Spirituosen, die es pro Tag zu bewerten galt, ist das auch nicht anders möglich. Für mich ein kleiner Mangel, denn das Rachen- und Nachhallgefühl, das erst durch das Schlucken eines Getränks entsteht, entgeht einem dabei natürlich.
66 Juroren waren also angereist, aus 22 Ländern. Diese wurden dann in kleinere Gruppen von je 6 aufgeteilt, die sich jeweils gemeinsam über dieselben Proben hermachen sollten. Zu Beginn jedes Verkostungstags fand noch eine sogenannte Kalibrierung statt, in der eine einzelne Probe dazu dient, ein gemeinsames Gefühl über Qualität in der jeweiligen Gruppe zu erzeugen. Das Vorgehen des Verkostens selbst ist einfach – auf einer numerischen Skala galt es, jeder blind servierten Probe (selbst im Nachhinein erfährt der Verkoster nicht, was er da im Glas hatte) einen Wert bezüglich Farbe, Geruch, Geschmack und Gesamteindruck zu verpassen; die Einzelwerte werden summiert und ergeben somit einen Gesamtwert auf einer Skala von 1 bis 100. Die 6 Bewertungsbögen wurden dann eingesammelt, und die Wertungen nach dem Winsorizing-Verfahren von Extremwerten bereinigt – dies verhindert, dass einzelne Werter eine Spirituose übermäßig anheben oder extrem abwerten können. Der entstandene Durchschnittswert der 6 Juryteilnehmer wurde im Anschluss gemeinsam in der Gruppe besprochen.
Der letzte Schritt bestand darin, den besonders gut bewerteten Spirituosen dann Medaillen zu vergeben – Silber, Gold und Grand Gold standen dabei zur Verfügung. Nur wenn ein jeweils bestimmter Schwellwert überschritten wurde, konnten diese Medaillen zugewiesen werden, doch jeder Juror konnte natürlich in einem demokratischen Mehrheitsverfahren seine Meinung äußern. Nur einmal war die Diskussion etwas komplizierter, weil die Geschmäcker über ein Sample zwischen „keine Medaille“ und „Grand Gold“ schwankten. Da ist dann der Präsident des Tischs gefordert, einen Konsens herbeizuführen. Dieser Präsident ist immer ein erfahrener Veteran des Wettbewerbs, der sein Wissen und Können bereits mehrfach unter Beweis gestellt hat, und entsprechend eine gewisse Autorität darstellt.
Der Prozess liest sich insgesamt recht einfach, doch ich gebe gern zu, dass ich zu Beginn meine Schwierigkeiten damit hatte. 1140 Spirituosen sollten in toto bewertet werden, das bedeutet grob über 100 für unsere Gruppe, aufgeteilt auf 3 Tage. Dass dabei nicht wirklich viel Zeit bleibt, jede Nuance eines Brands auszuschnüffeln und herauszukitzeln, ist selbstredend – man hat als Taster kaum Muße, sich einem Produkt wirklich hinzugeben und es in Breite und Tiefe zu würdigen. Nein, man muss fokussiert bei der Sache sein, sich extrem auf den eigenen Gaumen konzentrieren, sich nicht ablenken lassen und streng mit sich selbst sein. Es geht schließlich nicht darum, detaillierte Tasting Notes zu verfassen, sondern um eine Einordnung. Gerade zu Beginn fiel mir das schwer, doch dank der großartigen Mitstreiter am Tisch lernt man schnell, sich in den entsprechenden Flow zu begeben und dort zu versinken. Vielen Dank für Eure Kollegialität, José Rafael Arango Ordóñez (Kolumbien), Jesús Bernad (Spanien), Bruno Sanfilippo (Frankreich), Bruno Pilzer (Italien) und Felipe Rojas Bruna (Chile)!
Zum ersten Mal beim Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles präsentierten die Organisatoren ein Buch, das Hinweise für alle Spirituosengattungen, die am Wettbewerb teilnahmen, klar verständlich darlegte. Was sind sortentypische Geschmäcker und Aromen, was sind Fehltöne, worauf muss man achten, was ist ein Zeichen von Qualität und was könnte auf einen Mangel hindeuten? Welche Varianten gibt es, und wie unterscheidet man sie? Eine sehr wertvolle Ressource, insbesondere, da es soviele verschiedene Gattungen zu bewerten galt. Auf meinem Zettel beispielsweise stand am Ende Tequila Blanco, Mezcal Añejo, Baijiu, Armagnac hors d‘âge, Cognac VS, Cognac XO, Contemporary Style Gin, Bitter, weißer Rhum Agricole, leicht gereifter Rhum Agricole, Cachaça Armazenada Jequitibá, gereifter Melasse-Rum, mit Banane und Passionsfrucht aromatisierter Rum, Anisette und Wermut. Damit kenne ich mich zwar größtenteils aus, doch in manchen dieser Kategorien war ich für entsprechende Hinweise aus dem Buch dennoch sehr dankbar.
Ein zweites Problem für mich, der ich in meinen Artikeln nie eine Note oder absolute Zahl als Bewertung vergebe, ist die Einordnung in eine Skala. Ich glaube nicht daran, den Wert oder die Bedeutung einer Spirituose in Zahlen messen zu können; ich beschied mich am Ende darin, und sah das Vorgehen als Mittel zum Zweck an, eine gemeinsame Basis für die Medaillenvergabe, die der eigentliche Sinn des Wettbewerbs ist, zu finden. Tatsächlich war es spannend zu beobachten, wie ähnlich sich viele Bewertungsbögen, in die ich ab und an kiebitzte, waren – in der Gruppe, in der ich mich befand, waren wir sehr oft auf einer Wellenlänge, was die Beurteilung anging, nur ab und zu gab es deutliche Abweichungen. Ein gutes Zeichen, würde ich sagen!
Nach der Verkostung am Vormittag (4 Stunden wirklich anstrengende Arbeit!), war der Nachmittag der Rekreation gewidmet. Die Organisatoren des Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles hatten sich alle Mühe gegeben, uns den Aufenthalt in Chile mit einem üppigen Rahmenprogramm zu versüßen. Ausflüge zu Destillerien (zum Beispiel zu Pisco Bauzá, oder in die Pisco-„Fabrik“ der Capel-Kooperative, über beide werde ich separate Artikel verfassen), oder naturnäher in das Valle de Elqui und in das dank einiger Monate üppigen Regens ungewohnt grüne und blühende Valle del Limarí, immer verbunden mit entsprechenden Empfängen der lokalen Politik und dazugehörigen Dinnern und Lunches, waren höchst beeindruckend. Besonders möchte ich hierbei unserem Tour Guide Marcelo Valenzuela danken, der mit viel Humor und noch mehr Wissen über Chile diese Touren für mich persönlich unglaublich wertvoll und unvergesslich machte.
Ich habe bei dieser Reise so viel gelernt, dass ich es kaum verarbeiten kann. Das wunderbare Chile spielte seine Rolle als Gastgeber mehr als perfekt, es empfing uns mit offenen Armen und viel Herz. Die Organisatoren des Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles haben es geschafft, die Abläufe des Spirituosenwettbewerbs flüssig und wie ein Uhrwerk zu timen, und uns Juroren dabei noch großartig zu unterhalten. Und schließlich habe ich eine Menge von außergewöhnlichen Menschen kennenlernen dürfen, deren Wissen und teilweise jahrzehntelange Erfahrung über Spirituosen mich doch etwas demütig gemacht hat, die aber gleichzeitig nie arrogant oder abgehoben waren, sondern aufgeschlossen, hilfsbereit und freundlich. Ich glaube, dass ich sogar ein paar davon als Freunde gewonnen habe.
Am Ende der Veranstaltung wurde dann der Austragungsort des nächsten Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles bekanntgegeben – Plovdiv, Bulgarien. Sollte ich auch 2018 eingeladen werden, an diesem spannenden Wettbewerb teilnehmen zu dürfen, werde ich ohne darüber nachdenken zu müssen zusagen. Sollte es nicht klappen, wünsche ich meinem Nachfolger, dass er oder sie mindestens so viel Spaß und Erkenntnisgewinn aus dieser Veranstaltung ziehen kann wie ich. Ich für meinen Teil danke den Organisatoren für die Einladung ganz herzlich und wünsche viel Glück und Erfolg für Plovdiv 2018.
Alles Gute geht zuende, und auch der Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles in Chile war nach 5 verrückten, spannenden, lehrreichen und anstrengenden Tagen vorbei. Die Rückreise, erneut um die 40 Stunden, erneut um die 17500 Kilometer, führte mich dann via Dallas über den Tropensturm „Harvey“, der Südtexas mit Überflutungen überzog, hinweg, wieder nach Saarbrücken, wo bereits das nächste Flugzeug auf mich wartete, um mich nach Kreta zu bringen. Doch das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll.
Ich gratuliere dir! Das ist wirklich eine besondere Ehre.
Liebe Grüsse Maren
Vielen Dank! Das war es in der Tat! :)