„Gereift in 200-Liter-Fässern aus amerikanischer Eiche.“ Sowas liest man auf Etiketten oder in Werbetexten hin und wieder. Was sagt uns das? Der interessierte, aber nicht wirklich informierte Leser dieser Aussage steht nachher genauso klug da wie vorher. Sind das vergleichsweise große oder kleine Fässer? Erst dann könnte man ja eine Feststellung treffen, ob wir das als Qualitätskriterium zu verstehen haben. Hier mal ein Vergleichsbild, welches Volumen die unterschiedlichen, für Spirituosen und fortifizierte Weine eingesetzten Fässer so normalerweise haben (Danke an Cognac Daily News für das Bild). Tatsächlich sind die 200-Liter-Barrels die Standardgröße für die meisten Spirituosen, die Information ist also von eher mäßigem Wert, könnte man meinen.
Doch wenn man darüberhinaus weiß, dass kurz gereifte Rums (sogenannte Ambrés) auf den französischen Antillen normalerweise in riesigen Holzfässern (foudres) gelagert werden, die mehrere tausend Liter fassen und die man eher als Tanks bezeichnen müsste, gewinnt die Information doch deutlich an Wert. Wichtig ist für mich persönlich auch der Teil über die Herkunft des Holzes für die Fässer, etwas, was es auch auf das Frontetikett des HSE Ragtime Rhum Agricole, für den obige Phrase in Onlineshops oft nachzulesen ist, geschafft hat: „American Barrel“. Rhum Agricole wird gern eher in französischer Eiche gereift, wahrscheinlich einfach aus kulturellen Gründen, doch hin und wieder findet ein Produkt auch den Weg ins amerikanische Fass, um dem Endprodukt einen ungewohnten Twist zu geben. Prüfen wir mal, ob der Ragtime genug Twist hat.
Man sieht es schon in der Flasche – der Farbton geht schon fast ins Rotbraun, ein sehr dunkler Ton für einen wahrscheinlich kaum 2 Jahre alten Rum. Es ist keine Altersangabe vorhanden. Im Glas schwappt er praktisch wie Wasser leichtgängig hin und her, hinterlässt auch dementsprechend kaum Artefakte an der Glaswand.
Ein sehr prägnanter Geruch entströmt dabei dem Glas: sehr grün, grasig, heuig einerseits, mit sehr deutlichem Zuckerrohrsaftcharakter. Malz, Honig, Rosinen, schokoladig andererseits, das zusammengesetzt wirkt insgesamt sehr attraktiv. Eine deutliche Süßholznote gibt dem Bild ein paar Ecken, Vanille rundet es. Ein frisches, junges Destillat, mit ein paar Holzeffekten angereichert.
Im Mund ist der HSE Ragtime dann von Anfang an sehr trocken, herb und grün. Ganz klar liegt Süßholz im Vordergrund, eine nur vorsichtig gebremste Zuckerrohrfrische macht sehr deutlich, dass der Brand nur kurz in Holzkontakt war; dieser Rum hat noch viel von der frechen Ungestümheit eines weißen Rhum Agricole – insbesondere das leichte, klare Mundgefühl. Vanille aus dem „American Barrel“ kommt trotzdem vor, und ein bisschen pfeffrige Würze, unterstützt von 40% Alkoholgehalt. Eine feine, natürliche Süße ist nur unterschwellig spürbar, sie gleicht etwas die fehlende Breite aus.
Der Abgang ist rund, lang und voller milder Lakritz, oder vielleicht auch hier eher Süßholz. Er geht schließlich über ins richtig herb Trockene, man könnte auch schon „bitter“ sagen. Leichte Adstringenz am Gaumen, und deutliche Betäubung auf der Zungenspitze. Mit einer leisen Blumigkeit klingt der Rum erst sehr spät aus.
Mir gefallen diese Ambrés einfach grundsätzlich. Sie haben eine gewisse Lernkurve, ich musste sie erst verstehen lernen, doch inzwischen trinke ich diese Art Rum extrem gerne, als eine ideale Mischung aus trockener Leichtheit und milden Reifungsaromen, besonders, wenn mir nicht nach etwas Schwerem ist.
Und in Cocktails finden sie auch ohne große Mühe ihren Platz. Ihre Ecken und Kanten lassen sich einerseits durch andere Zutaten abschleifen, andererseits sind es genau diese Eigenheiten, die dem Cocktail zusätzlichen Charakter verleihen. Zu begutachten ist diese wundersame Eigenschaft zum Beispiel im Pablo à Paris, wo es schon etwas an Stärke braucht, um sich gegen Enzianlikör durchzusetzen. Eine spannende, ungewöhnliche, tolle Kombination.
Pablo à Paris
⅔ oz gereifter Rhum Agricole
⅔ oz Suze
1 oz trockener Wermut
2 Spritzer Absinth
Auf Eis rühren. Auf Eis servieren.
[Rezept adaptiert nach Julian de Féral]
Die Flasche hält sich an die für HSE übliche runde, unauffällige Form, die wir von anderen Produkten der Firma bereits kennen. Die Etikettierung passt sich der Zielvermarktung an, man spart sich das Pseudoexotik-Gebrabbel, das Rum heutzutage so oft hinter sich her zieht, und präsentiert sich modern. Ein bisschen tatsächliche Information fände ich immer gut, ist aber bei einem Ambré, der sich hauptsächlich an den Standardkonsumenten und Cocktailmixer richtet, wahrscheinlich gar nicht gesucht. Preislich liegen wir in Deutschland bei um die 25€, wie bei vielen Agricoles bekommt man echt ein so richtig gutes Preisleistungsverhältnis, wie ich finde – darum landen derartige Rums auch leicht und gern in meinem Einkaufswagen, wenn ich in Frankreich einkaufe, wo diese Art Rum noch deutlich billiger ist. Der HSE Ragtime wird nicht der letzte gewesen sein.
P.S. Dieser Rum hat im Wettbewerb Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles 2019 eine Goldmedaille gewonnen. Ich bin selbst Mitglied der Jury bei diesem Wettbewerb und kann garantieren, dass so eine Medaille etwas bedeutet.
Ein Kommentar zu “Da ist Musik im Fass – HSE Ragtime Rhum Agricole”
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