Im Juni 2022 konnte ich einen langgehegten Traum wahr werden lassen – die Besichtigung von Destillerien für rhum agricole. Nicht eine, nein, 9 Brennereien wurden uns als Juroren des internationalen Spirituosenwettbewerbs Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles vorgeführt, der dieses Jahr auf der französischen Antilleninsel Guadeloupe stattfand. Wie üblich war an den 5 Tagen am Vormittag für die angereisten 120 Jurymitglieder die Arbeit angesetzt, mit der Verkostung, Bewertung und Prämierung von über 2000 eingesandten Produkten aus aller Welt, und am Nachmittag der Besuch bei den Brennern auf ganz Guadeloupe. Damoiseau, Bielle, Bellevue, Père Labat, Bologne, Montebello, Longueteau und Papa Rouyo waren die ersten Stationen, und am letzten Tag fuhren wir noch an die Nordspitze von Basse-Terre zur Distillerie Reimonenq.
Über den Ort selbst erzähle ich am Ende noch etwas, hier soll es zunächst einmal um den Rum gehen, den die Familie Reimonenq seit über 100 Jahren in Sainte-Rose herstellt. Das Zuckerrohr kommt frisch geerntet von den Feldern in der Umgebung, wird, im Gegensatz zu vielen anderen Brennereien auf der Insel, dann nicht schlicht auf den Hofboden, sondern direkt vom Traktoranhänger auf ein Förderband gekippt, das das Rohr sofort in die Mühlen schiebt. Vesou und Bagasse werden getrennt, und der Vesou landet in großen, offenen Gärbottichen (eine gute, schnelle Reaktion hat verhindert, dass mein Hut durch einen kurzen Windstoß im Tank gelandet ist und mit zu Rum verarbeitet wurde). Nach der Fermentation wird in einer kleinen Säule destilliert, und, je nach Produkt, noch eine Reifung im Fass gemacht. Das Grundsortiment der Brennerei habe ich mir im angeschlossenen Hoflädchen in knuffigen, kleinen 20cl-Flachmännern zugelegt, und es ist für mich ein wahres Vergnügen, meinen Lesern nun diese Rums von dieser besonderen Familie auf dieser besonderen Insel vorstellen zu können: den ungereiften Reimonenq Cœur de Chauffe, den leicht gereiften Rhum Ambré, den älteren Rhum Vieux und das „geliebte Baby“ des Inhabers Léopold Reimonenq (so seine Nichte, die uns herumführte), den JR Cuvée Spéciale.
Am Anfang soll natürlich der ungereifte Rum stehen, mit dem alles beginnt, das unverfälschte Produkt, der leicht auf Trinkstärke herabgesetzte Reimonenq Cœur de Chauffe Rhum Blanc Agricole. Kristallklar und deutlich ölig in der Konsistenz ist er, ein Filmteppich bildet sich an der Glaswand, der sich nur träge in Beine aufspaltet und dann langsam abläuft.
Die Nase ist pures, frisch ausgepresstes Zuckerrohr. Ich fühle mich direkt in die Destillerie nach Sainte-Rose versetzt, dort durchdringt dieser Geruch das gesamte Grundstück. Pur, rein, klar, und mit enorm viel Fruchtigkeit von Mango, Litschi, Guaven und etwas Banane; ein tropischer, reifer, duftender Obstkorb. Darunter Ideen von Vanille, Schwefel und ganz spät etwas Lack – so wird das ganze komplex und spannend.
Der Antrunk wirkt zunächst leicht und hell, aromatisch im Vergleich zur Nase etwas zurückgenommen. Süße und eine cremige, weiche Textur legen sich erst auf den Gaumen, bevor sich die Aromen dann auffächern; Zuckerrohrsaft, Mango, Guaven, Aprikosen, Vanille, Streuselkuchen und Blancmanger. Trotz der 50% Alkoholgehalt kommt kein Brennen auf, der Cœur de Chauffe bleibt lieblich und sanft, erst spät entwickelt sich Würze, die den Gaumen und die Zunge kitzelt, ohne ihnen weh zu tun. Der Abgang ist mittellang und voller Süßspeiseneindrücke, das Zuckerrohr selbst bleibt immer extrem präsent und klingt noch deutlich süß und geschmackvoll eine ganze Weile nach.
Ein sehr schmeichelnder ungereifter Agricole, süß, mild, dabei aromatisch und strukturell voll und sehr sauber ausgeführt – wer wissen will, wie die Destillerie riecht und das in der Umgebung dort geerntete Zuckerrohr schmeckt, findet hier ein nahezu perfektes Abbild.
Leicht ins Bernsteinfarbene geht das Gold des Reimonenq Rhum Ambré über, das im Glas steht und sich aus den 2 Jahren im Eichenfass im tropischen Klima gebildet hat, und beim Schwenken bildet sich eine Kante, aus der sich Beine formen und ablaufen. Die Nase bekommt direkt eine volle, fette Breitseite ab aus einer krassen Mischung aus Vanille und fruchtigen Kirsch- und Johannisbeerenaromen, dazu Vogelbeeren und etwas leicht Nussiges, leicht parfümiert wirkt das fast, ohne ins künstliche abzugleiten. Ein Anflug von Stein und trockenem Holz kommt dazu, schnuppert man tiefer, ist durchaus auch etwas Ethanol da.
Im Mund wirkt das ganze dann doch weniger aufregend, man spürt hier als erstes eine gewisse Wässrigkeit, wahrscheinlich durchaus aus den doch etwas mageren 40% Alkoholgehalt hervorgegangen. Das betrifft sowohl Körper als auch Aromatik, beide verlieren deutlich gegen die Nase und auch gegen den ungereiften Vorgänger. Stark zurückgenommen am Gaumen, nur noch Anflüge der erschnupperten Aromen (diese aber erkennbar wiederaufnehmend), dafür pikantes Feuer, das nicht so recht mit dem dünnlichen Körper und der schmalen Textur harmoniert. Der Abgang ist dafür dann überraschend lang, mentholisch kühl, mit den parfümierten Beerenaromen, die nun nochmal den Kopf nach oben strecken.
Das ist wenig begeisternd, muss ich sagen, die Nase ist toll, aber mit 45% oder 50% würden wir hier auch geschmacklich über ein ganz anderes Erlebnis sprechen. So bleibt der Reimonenq Ambré doch eher enttäuschend schwachbrüstig, schade. Ehrlicherweise wird er auch als „Spécial Cocktail“ untertitelt, doch selbst für den Einsatz in Mixed Drinks scheint er mir zu schmal.
Immerhin schonmal doppelt so lang ließ man das Destillat für den Reimonenq Rhum Vieux Première Cuvée im Eichenfass liegen. Rein optisch hat sich das nur minimal ausgewirkt, auch hier ist goldener Bernstein vorherrschend. Beim Schwenken sieht man leichte Viskosität, mit attraktivem Glaswandverhalten. Auch in der Nase ist die Ähnlichkeit zum Ambré durchaus naheliegend, die selbe ansprechende Kombination aus leichtem Holz, Vanille, Zimt und fruchtigen Tönen, die zwischen Kirsche und Vogelbeere alternieren. Etwas herber wirkt er im direkten Vergleich, die Eiche, die man kaum sieht, hat geruchlich jedenfalls deutlichere Spuren hinterlassen; das wirkt einen Ticken erwachsener, weniger jungfruchtig, etwas runder, was die Integration der verschiedenen Aromen angeht.
Auch dieser Rum ist mit 40% Alkoholgehalt abgefüllt, und auch er leidet etwas darunter, doch hier gibt es etwas mehr Körper, eine Idee mehr Würze, so dass das besser ausgeglichen wird. Eine seidige Textur mit ansprechender Süße gefällt mir, und auch, dass im Verlauf der Rum weiter zum Grünen, Grasigen hintendiert, bis er am Ende fast wie Blattwerk im Gewächshaus wirkt, mit Anflügen von Lakritze und einem schönen Eukalyptusnachhall, der zunächst wärmend, kurz darauf dann kühlend wirkt. Dabei kommen die Beeren und die Kirsche immer wieder vor, bei letzterer insbesondere der Kern.
Das macht im Geschmacksbogen Spaß, ein leichter, unterhaltsamer Rum, mit durchaus etwas an Komplexität und Spannung, ohne allerdings ein Niveau zu erreichen, bei dem ich in Begeisterung ausbrechen müsste. Easy-drinking, am Ende doch positiv zu sehen, ich würde den Reimonenq Rhum Vieux trotzdem wirklich lieber gern mit 50% probieren.
Wenn wir zum letzten Exemplar meiner Mitbringsel aus dieser Destillerie kommen, haben wir schon einen recht deutlichen Eindruck davon, dass diese leicht gereiften Rums alle eine gewisse Typizität teilen – etwas, was ich sehr schätze an Brennern. Es bedeutet, dass man ihre Produkte herausriechen und -schmecken kann, das gelingt bei weitem nicht allen Destillerien. Auch der Reimonenq JR Cuvée Spéciale, das wird beim ersten Verkosten direkt klar, hält sich an das Vogelbeer-Vanille-Basisschema. Ein Alter ist diesmal nicht angegeben, es handelt sich um einen Blend, der in, auch das anders zu den besprochenen Vorgängern, in Ex-Bourbon-Fässern gereift wurde. Das Kürzel „JR“ ist eine Homage an Joseph Reimonenq, den Gründer der Brennerei.
Auch wenn die Nase noch das Muster erkennen lässt, ist sie doch nun deutlicher gedeckt, das Destillat verschwindet fast, lässt etwas von der Fruchtigkeit noch da, aber sehr viel weniger als beim Vieux, beispielsweise. Frisch angeschnittenes Holz ist noch die präsenteste Note, dahinter hört es schon fast auf, schnuppert man tief, kommt das Ethanol zum Vorschein. Geruchlich ein klarer Rückschritt, so leid mir das tut.
Am Gaumen ist die Textur nun voll ausgebaut, im Antrunk macht das richtig Spaß, schöne, runde Süße mit klarer Struktur und echt angenehmen Mundgefühl breitet sich direkt aus. Wir haben hier allerdings auch dann den Höhepunkt erreicht, von hier schlagen die allgemeinen Kritikpunkte (insbesondere natürlich die schon mehrfach angesprochenen, viel zu mageren 40% Alkoholgehalt) voll zu. Das Bourbon-Fass ist weniger charaktervoll als die Fässer, die für die anderen Ausprägungen genutzt wird, sorgt zwar für mehr Weiche, lässt aber automatisch damit weniger Spannung im Endprodukt, und auch wenn sich das leicht und genehm schlürfen lässt, fehlt es schließlich doch an Aromen und Kraft. Tannisches Feuer am Ende mit deutlicher Trockenheit gibt noch etwas Eleganz, doch rettet den Brand nicht komplett. Ein sehr langer, nun doch wieder von Vogelbeere und Vanille getragener Nachhall, lässt mich dann zum Schluss aber doch irgendwie positiv gestimmt zurück.
Für mich ist der ungereifte Rum mit weitem Abstand der beste dieser kleinen Reihe, die natürlich die besonders hochwertigen, mit mehr Aufwand ausgebauten Produkte der Destillerie nicht enthält. Sie werden über kurz oder lang alle in Cocktails landen, wo ihre hohe Typizität und langer Nachhall für Aufsehen sorgen können – ein Beispiel dafür ist der Sargasso, ein Drink, der das Volumen aus Likör und Sherry zieht, und dem Rhum ermöglicht, seine Rolle als Aromengeber voll auszuspielen, ohne sich um diese anderen Themen auch noch kümmern zu müssen.
Sargasso
2oz / 60ml gereifter rhum agricole
¾oz / 23ml Oloroso-Sherry
½oz / 15ml Aperol
2 Spritzer Angostura
Auf Eis rühren.
[Rezept nach Don Lee]
Natürlich gibt es alle diese Rums auch in Vollflaschen, mir gefällt es aber grundsätzlich immer sehr, wenn ein Hersteller auch in kleineren Größen abfüllt. Eben durch die 20cl-Flachmänner war es mir möglich, von den 4 Basisprodukten der Brennerei (und, das muss man am Ende als Fazit klar festhalten, genau das sind sie – qualitativ zwar hochwertige Basisprodukte, aber ohne den Anspruch, dem Highend-Connoisseur freudiges Jauchzen zu entlocken) alle mitzunehmen; dort kostet so ein kleines Fläschchen zwischen 4€ und 6€, über das Preisleistungsverhältnis vor Ort braucht man also gar nicht zu diskutieren.
Wer sich fragt, wie so eine Rumbrennerei auf Guadeloupe aussieht und funktioniert, dem gebe ich nun noch ein paar Bilder an die Hand. Natürlich ersetzt das nicht das Erleben, denn insbesondere die Gerüche machen einen Großteil des Eindrucks aus, zumindest ging es mir so, diese Mischung aus Zuckerrohrsaft, Öl, Fermentationsdüften, dem Geruch der Bagasse und der verrottenden, herumliegenden Mangos, der allgegenwärtigen Blüten und gestauter, heißer Luft ist schon einmalig und man vergisst das nicht so schnell. Eine Brennerei in vollem Betrieb macht auch ordentlich Lärm, hauptsächlich durch die Pressung des Zuckerrohrs. In die Destillerie ist auch ein familienfreundliches Rummuseum integriert, in dem man die Geschichte der Herstellung verfolgen kann, und auch Ausstellungsstücke aus diversen Privatsammlungen bewundern kann – von einer riesigen Schmetterlings- und Insektensammlung über Sand aus aller Welt und grandiosen Schiffsmodellen bis hin zu riesigen Tierskulpturen.









Die Brennerei Reimonenq hat sich aber insbesondere durch den Kontakt mit dem Inhaber, Léopold Reimonenq, ein sehr angenehmes Bild in meinem Gedächtnis geschaffen; es war toll, als er, während ich die ganzen verrückten, ausgemusterten und von Pflanzen schon halb überwucherten Gerätschaften auf dem Brennereigelände fotografierte, sich plötzlich neben mich stellte und mir erklärte, wozu die Teile alle mal gut waren – ich habe bestimmt nicht alles hunderprozentig verstanden, doch die Freundlichkeit, der leicht schwarze Humor und die Begeisterung dieses noch so fitten 89-Jährigen haben mich mitgerissen und überzeugt, dass er noch alles voll im Griff hat und genau weiß, was er tut; und dass er den Rum und seine Insel liebt. Es war eine Freude und Ehre, ihm am Ende die Hand zu schütteln.



Ich danke sowohl Herrn Reimonenq als auch Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles, dass sie mir ermöglicht haben, diese besonderen Orte auf Guadeloupe zu besichtigen und diese unvergesslichen Eindrücke sammeln zu können. Ich wünsche allen Rumfreund*innen, dass sie vielleicht auch einmal in den Genuss kommen, das vor Ort zu sehen, zu riechen und zu fühlen. Denn ein Besuch bei einer solchen Destillerie ist ein synästhetisches Erlebnis, ein Fest für die Sinne, und die Freundlichkeit und Offenheit der Bevölkerung, egal ob nun Brennereibesitzer, Steeldrum-Spieler, Koch oder Busfahrer, ist sehr beeindruckend und hinterlässt darüber hinaus ein gutes Gefühl. Und wenn ich mir ein Glas des Rums der Reimonenqs eingieße, kommt sofort die Erinnerung zurück, und ich schließe genussvoll die Augen und schwelge für ein paar Minuten wieder in Guadeloupe.