„Définition du regard artistique: voir les fauves cachés derrière les paravents banals.“ Der künstlerische Blick ist also laut Sylvain Tesson in seinem Buch „La panthère neige“, die Raubtiere zu sehen, die sich hinter dem Wandschirm verstecken. Oder, um den Gedanken aus der Metapher zu holen, das Spannende hinter der Fassade des Gewöhnlichen zu erkennen. Das gilt nicht nur für bildende Kunst, wie Malerei oder Fotografie, sondern für viele Bereiche des Lebens, darunter auch für traditionelles Handwerk, das zwar selbst kein Kunstwerk in klassischer Definition erschafft, aber doch den Anspruch hat, nicht nur das Bekannte wiederzukäuen. Nein, die langweilige einfarbige Fläche des Wandschirms, das kann jeder, in Massenproduktion hergestellt findet man das in Baumärkten. Das, was dahinter liegt, zunächst erst einmal zu sehen, und es dann auch für andere sichtbar zu machen – dazu gehört künstlerisches Verständnis; auch, wenn man Brände herstellt.
Entsprechend finde ich die Kombination „Kunst und Spirituosen“, die dem Brennerei Guglhof Art & Spirits Rum Aged 8 Years als Prämisse gegeben wird, gar nicht so weit hergeholt. Heute ist Rum aus Mitteleuropa kein aufsehenerregendes Ereignis mehr, viele Brenner der Region haben aktuell selbsthergestellten Rum verschiedenster Couleur im Portfolio. Dabei ist diese Art von europäischem Zuckerrohrbrand, wenn gut gemacht, etwas Eigenes, aus der Erfahrung des jahrhundertelangen Brennens von Obst Geborenes, das nicht danach trachtet, dem Konsumenten lediglich einen Ersatz für ein billig erhältliches Überseeprodukt anzubieten. Wer also mit dem Blick des Künstlers gerade auf ein weltweit schon lange bekanntes Basismaterial wie Zuckerrohr schaut, kann als Brennerei gewiss etwas erschaffen, das andere nicht zu bieten haben. Gelingt das der Familie Vogl vom Guglhof, der ältesten Brennerei Salzburgs?
Gehämmertes Gold steht nach dem Eingießen im Glas, eine ehrliche Farbe für 8 Jahre Reifungszeit in Ex-Whisky-Fässern aus Limousin-Eiche. „Ohne Farbstoff“ findet man als Logo auf der Rückseite der Flasche, und auch im Werbe- und Pressematerial für die hochwertigen Obstbrände der Brennerei Guglhof ist der vollständige Verzicht auf Zusatzstoffe nach der Destillation ein durchgängiges Versprechen. Eine gewisse Öligkeit mit entsprechendem Beinchenablauf ist beim Schwenken spürbar.
Die Nase ist extrem fruchtig, da ist viel Steinobst, Aprikose, Süßkirsche, Nektarine, Zwetschge – insgesamt durchaus erstmal an einen gereiftern Obstler erinnernd. Die Reifungsnote ist Vanille und Zimt, begleitet von einer hübschen Gewürzaromatik, Nelken und Sternanis. Das schnuppert sich sehr angenehm, geht aber recht deutlich weg von dem, was der, der ausschließlich karibischen Rum kennt, in der Nase mit Rum assoziieren würde. Etwas Melasse (das Grundmaterial stammt aus Barbados) geht in einer Pflaumennote auf, das war es aber schon. Ein milder Alkoholhauch kitzelt, wenn man tief schnuppert.
Im Antrunk bin ich zunächst bass erstaunt, und reibe meine Augen, bevor ich nochmal das Rücketikett betrachte und die Aussage „ohne Zucker“ dort lese. Eine sehr kräftige, tiefe, schwere Süße belegt den Gaumen, und mit Tönen von Nougat, Marzipan und Datteln kommen auch dazu passende Aromen dazu. Kurz nach dem Antrunk entwickelt sich die Süße, bekommt eine würzige Beinote, hier schmeckt man dann auch, dass dies aus keiner künstlichen Zuckerung kommt. Pfirsiche und Aprikosen bleiben von der Nase erhalten, da ist etwas von gereiftem Pflaumenrakija, den ich in Bulgarien probiert hatte – natürlich sind die Brennanlagen und das Handwerk eines Obstbrenners in diesem Rum erkennbar, wie das oft spürbar ist bei Rum aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, von denen ich nun schon eine ganze Menge probiert habe. Habe ich einen Kritikpunkt? Auch wenn der volle Körper und die öligschwere Textur sich sehr angenehm präsentieren, so würde ein höherer Alkoholgehalt als die für moderne Verhältnisse mageren 40% sicherlich noch mehr Kraft und Fülle transportieren.
Der Abgang zeigt sich dann von der würzigeren Seite. Hier ist die Süße nur noch als Subtext vorhanden, eine milde Bittere gesellt sich zu einer pikanten, fast schon chilischarfen Würze, in der Kardamom und Menthol einen kühlenden Hauch miteinbringen. Ein leichter Blutton klingt mit der dezenten Anästhesie der Zunge und des oberen Gaumens nach, während im Rachen bis in den Magen Wärme verbleibt.
Die Verwendung von mehreren Säurequellen ist in modernen Cocktailzeiten nicht mal ungewöhnlich. Limette hat eine bitterere, Zitrone eine eher mildere, fruchtigere Säure. Will man ein bisschen von beidem, verwendet man eben einfach sowohl Limettensaft als auch Zitronensaft. Wie zu beobachten im Rust Belt – die Bedingung dafür ist allerdings schon ein aromatischer, voller Rum, wie der Guglhof ihn präsentiert, ansonsten geht das Ding nach hinten los.
Rust Belt
1½ oz / 45ml gereifter Rum
½ oz / 15ml Vanillelikör
½ oz / 15ml Zitronensaft
½ oz / 15ml Limettensaft
¼ oz / 10ml Orgeat
1 Eiweiß
Auf Eis shaken. Mit ein paar Spritzern Angostura dekorieren.
[Rezept nach John deBary]
Ich möchte hier noch weiter über Untertitel des Rums sprechen – Art & Spirits. Über letzteres in diesem Namen haben wir nun einiges gesagt, das erstere sollte aber auch in seiner optischen Form erwähnt werden. Das Etikett der Flasche zeigt ein Kunstwerk des Künstlers Peter Lochmann, der in Hallein, wo auch die Brennerei sitzt, lange gearbeitet hat. So ein expressives Werk wertet ein Etikett natürlich enorm auf, insbesondere, weil es sehr gelungen zusammen mit den textuellen Bestandteilen integriert wirkt. Da hat ein Designer richtig gute Arbeit geleistet. Da ich das ganze dann noch in einer hübschen Holzkassette mit Schloss erhalten habe, bringt noch kleine Extrapunkte, die ein Brand wie der Rum der Vogls aber im Endeffekt gar nicht nötig hat. Schön ist es trotzdem.
Worüber ich mich aber extrem gefreut habe, ist, dass in dem Set neben einem Single Malt Whisky auch noch die unverdünnte Variante des Rums enthalten war, in Fassstärke also, mit 56,8%, die in Limousineichenfässern lagerte. In modernen Rumzeiten sind 40% einfach zu dünn, um den verwöhnten Rumfreund überzeugen zu können – und hier, im direkten Vergleich, spürt man wirklich, dass das Destillat noch mehr kann als die Standardabfüllung rüberbringt. In Fassstärke explodiert der Rum geradezu im Mund, entwickelt eine ungeheure Strahlkraft und leuchtet so richtig. Alles, was ich über die Abfüllung in Trinkstärke gesagt habe, gilt für die unverdünnte Variante im Vielfachen – das ist das, was ich von einer Traditionsdestillerie erwarte, das ist nun wahrlich das Tesson’sche Raubtier hinter dem Wandschirm. Lieber Guglhof, lasst das mit der Herabsetzung auf 40%, oder gönnt dem Rum wenigstens 48%. Hier zeigt sich dann so richtig, dass Ihr in den vielen Jahren Eures Bestehens Euer Handwerk perfektioniert habt, selbst für so exotische Brände wie Rum. In dieser Form braucht sich Euer Rum dann hinter keinem Produkt aus der Karibik zu verstecken; das ist dann wirklich Kunst. Flüssige Kunst.
Offenlegung: Ich danke der Brennerei Guglhof für die Zusendung dieser Kassette mit ihren Produkten, die in keiner Form an Bedingungen geknüpft wurde.
Ein Kommentar zu “Flüssige Kunst – Brennerei Guglhof Art & Spirits Rum Aged 8 Years”