Ich war etwas überfordert, als es eines Abends bei meinem Urlaub im Salzburger Land zu dem gereichten Kaiserschmarrn ein dunkelrotes, aus kleinen Früchten bestehendes Mus gab. Eine kurze Nachfrage ergab: Hollerkoch nennt sich das in Österreich, Holunderbeeren eingekocht zu einem Mus. Daraus folgte mir, gescheit wie ich bin, dass Holler das österreichische Wort für Holunder ist. Nicht, dass ich mit Holunder nicht schon viel Erfahrung hätte – meine Eltern hatten früher jedes Jahr die Holunderbeeren in der Gegend gesammelt und daraus Saft gekocht. Dieser Saft ist vollgepackt mit Vitaminen und das beste Erkältungsmittel, das ich kenne, es schmeckt superlecker und man schwitzt, wenn man eine Tasse davon abends erwärmt trinkt, über Nacht selbst die härteste Infektion aus.
Nun, meine Eltern sind inzwischen in einem Alter, wo man nicht mehr den ganzen Tag Saft kocht. Darum war der erste Kontakt mit dem Hollerkoch direkt eine sehr angenehme kleine geschmackliche Remineszenz an die alten Zeiten. Doch verrückterweise hört damit meine Holundergeschichte in Österreich nicht auf: ein paar Tage später wurde mir zum Abendessen der Guglhof Holler Brand 2011 Reserve empfohlen. Die älteste Brennerei Salzburgs (und Österreichs) hatte mich bereits vor einer Weile mit einem hübschen Rumsortiment überrascht, und als die Brennerei dann auf der Speisekarte regelmäßig auftauchte, war der Holler Brand der erste in einer langen Reihe von Obstbränden, die ich dort probierte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich im Hotel denselben Jahrgang bekommen hatte, den ich hier vorstelle – auf dem Guglhof werden Jahrgangsbrände hergestellt, die können von Jahr zu Jahr unterschiedliche Alkoholgehalte und Detailgeschmäcker haben, wie das bei einem echten Handwerksbetrieb halt durchaus üblich ist. 41% hat jedenfalls der Jahrgangsbrand 2011, den ich nach dem Urlaub direkt als Flasche erworben habe, und den ich nun mit meinen Lesern zusammen öffne.
Die Farbe ist klar und transparent, was hier aber nicht bedeutet, dass die Spirituose ungereift ist – sie wurde nur nicht in Holzfässern gelagert. Eine Ruhephase von mehreren Jahren in offenen Glasballons sorgt nach der Destillation für Reifung, auch ohne dass Fremdaromen dazukommen. Eins meiner Lieblingsparadoxa sieht man im Glas: Leichte Schwere. Ich meine damit, dass sich die Flüssigkeit viskos, aber nicht wirklich ölig beim Schwenken bewegt. Wenn man es sieht, weiß man, was ich meine. Das ganze Verkostungsglas ist mit dicken Schlieren belegt, die zwar zügig ablaufen, aber immer noch Reste hinterlassen.
Die Nase wird von einem herrlichen Duft bezaubert – bei meinem ersten Kontakt mit diesem Brand war ich fassungslos, wie wunderbar der Holler Brand riecht. Wunderbar blumige Eindrücke geben genau die duftende Pracht einer großen Staude Holunderblüten wieder, süßlich, mit Anflügen von Aprikosen- und Kirschfrucht, in einer Reihe gleichzeitig sowohl zart und parfümig als auch voll und rund, keinerlei Störfaktoren liegen vor. Hier hat der Brenner wirklich die Blüte 1:1 ins Glas gebracht, faszinierend. Ich schnuppere viele Minuten daran, bevor ich einen ersten Schluck nehme.
Jener beginnt mit einer hübschen Mischung aus Süße und Bittere. Sowohl Holunderfrucht als auch -blüte entwickelt sich sehr schnell, fügt sich mit der vollen Textur zu einer Eleganz zusammen, die ich bewundere. Im Verlauf kommen noch Steinobsttöne dazu, die die Komplexität erhöhen, ohne den klaren Holundercharakter zu beeinflussen. Schließlich baut sich langsam eine dezente Würzigkeit auf, ein leichtes pikantes Brummen, das eine attraktive Fülle und Rundheit am Gaumen erzeugt. Ideal ausbalanciert, jeder Aspekt ist da, übertrumpft aber den anderen nicht. Der Abgang ist extrem floral, Holunderblüten, Jasmin, Rosen, ein edler Blumenstrauß liegt da im Mund, klingt sehr lange nach. Milde Wärme und ein leichtes Kribbeln findet sich am ganzen Gaumen und auf der Zunge. Noch viele Minuten, wenn der Brand schon lange den Mund verlassen hat, hallt der Holunder noch nach.
Ich lehne mich mal aus dem Fenster und bestätige den Eindruck, den ich abends im Salzburger Hof hatte, als ich diesen Brand nach dem Essen als Absacker getrunken hatte – das ist für mich persönlich sicherlich mit eine der besten, gelungensten Spirituosen, die ich je in einem Verkostungsglas hatte. Ein Traum in jeder Hinsicht, klar und prägnant, vollaromatisch, dabei immer unaufdringlich und mit spielerischer Leichtigkeit.
Sowas passt natürlich perfekt auch in Cocktails, die auf wenige, aber aromatische Zutaten setzen. The Translucent wird normalerweise mit Kirschwasser hergestellt, doch der Holler Brand ist eine mehr als passende Abwechslung in diesem Rezept. Wirklich gut kalt gerührt, in einer vorgekühlten Coupe, da habe ich überhaupt keine Probleme, gleich zwei davon zu schlürfen. Ein Drink, der in seiner Eleganz dem Salzburger Obstbrand sehr angemessen ist.
The Translucent
1¼ oz / 40ml Gin
¾ oz / 25ml Kirschwasser
¼ oz / 10ml Crème de Cacao (weiß)
Auf Eis rühren.
[Rezept nach unbekannt]
Ich möchte hier zwei Personen danken – einmal Michael Mattersberger von True Spirits, der mich auf die Brennerei Guglhof erstmals aufmerksam gemacht hat, und dann dem netten Restaurantleiter im Salzburger Hof in Leogang, der mir das hübsche Verkostungsglas geschenkt hatte, nachdem ich mich jeden Abend nach dem Essen durch das Guglhof-Sortiment getrunken hatte. Den Weichselbrand aus der Sauerkirsche vom Guglhof habe ich seitdem immer noch ebenso auf der Einkaufsliste wie den Alten Apfel.
Für die Freunde des Food-Pairing möchte ich ausdrücklich die tolle Nachspeise ansprechen, die es an diesem denkwürdigen Abend gab – das Pfirsich-Holundermousse mit rosa Pfeffer und Zitronenganache, in Kombination mit dem Guglhof Holler Brand, ich weiß wirklich nicht, ob es überhaupt noch besser geht. Höchstens noch in Verbindung mit Kaiserschmarrn und Hollerkoch. Meine Begleitung war nur noch am Grinsen, weil ich mich vor Begeisterung gar nicht mehr einbekommen konnte. Ich hoffe, meine Leser lächeln auch ein bisschen und ziehen sofort los, sich eine Flasche dieses Spirituosentraums aus Österreich zu besorgen. Und ich mache mir bei der nächsten Erkältung einfach einen warmen Trunk aus dem Hollerbrand, vielleicht hilft er auch so gut wie einst der Holundersaft meiner Eltern.