Hierzulande ist, wenn man an ungarische Spirituosen denkt, aller Wahrscheinlichkeit nach der Kräuterlikör Unicum die erste Idee, die man hat. Tatsächlich sieht man in Ungarn sehr viele Werbungen dafür, der Likör ist insbesondere für Touristen ein beliebtes Mitbringsel (dabei, so meine Erfahrung, kostet er in Ungarn nur unwesentlich weniger als in Deutschland). Die tatsächliche Nationalspirituose Ungarns ist aber etwas ganz anderes – Obstbrand, oder auf ungarisch Pálinka.
Die Bandbreite an überregionalen Produkten ist unüberschaubar in Breite und Tiefe, und natürlich gibt es dazu regionale Abfüllungen, die man nur dort bekommt, und schließlich werden natürlich in jedem Hundertseelendorf auf dem Lande jeweils hundert Varianten hausgebrannt. Letztere muss man mit einer gewissen Vorsicht genießen, so meine Erfahrung aus weit mehr als einem Dutzend Aufenthalten in Ungarn – da wird mit den beschränkten Mitteln einer Haus- oder Gemeindedestille ein hochprozentiger, fusellastiger Stoff gebrannt, von dem mehr als ein Gläschchen schnell auf die Leber schlägt – und doch gilt Pálinka in Ungarn auch als Hausmittel gegen allerlei Zipperlein.
Im Mai 2017 war ich erneut in Ungarn unterwegs, in der Hauptstadt Budapest. Dort entkommt man dem Pálinka praktisch kaum, vor allem die kleinen, schnuckligen Abfüllungen, die sowohl in Supermärkten als auch (dann natürlich gleich sehr viel teurer) in Souvenirläden erhältlich sind, haben es mir dort angetan. Ich habe mir also ein kleines Sortiment an Obstbränden zusammengestellt, von mehreren Herstellern, um zu schauen, ob der Pálinka auch außerhalb Ungarns noch schmeckt. Palotás Vilmoskörte und Golden Alma, Pannonia Meggy, Bolyhos Birs und Kajszibarack, sowie Panyolai Elixír Feketeribizli haben die Erstauswahl in meinen Warenkorb geschafft.
Das erste Wort in der Kombination ist immer der Markenname, das letzte die Frucht, aus der der Brand hergestellt wird. Williamsbirne, Apfel, Sauerkirsche, Quitte, Aprikose und schwarze Johannisbeere sind also die Sorten, die ich vor mir habe; nur ein kleiner Ausschnitt aus dem sehr breiten ungarischen Markt.
Beginnen wir mit dem Palotás Vilmoskörte. Das ist ein Williams-Birnen-Brand mit 40% Alkoholgehalt. Die Flasche mit ihrem hübschen Design sprang mir spontan in einem kleinen 24h-Märkte, die man überall in Ungarn findet (wie nützlich sowas ist und wie schade, dass es das nicht in Deutschland gibt!), in einer Schauvitrine ins Auge. Die dunkle Flasche verbirgt einen vollkommen klaren Brand mit leicht öliger Konsistenz.
Die Birne ist natürlich der dominante Geruch, mit Anklängen von gelbem Apfel und Zimt. Eine leichte Plastiknote kenne ich bei dieser Art von Birnenbrand auch von anderen, deutschen Sorten. Im Mund liegt er wie Birnenkompott, süß, breit und rund, mit dieser seltsamen Art von würziger Fruchtnote, die ich schnell sehr lieben gelernt habe. Lavendel und Jasmin bringen eine blumige Komponente ins Spiel. Auch hier schwingt das Plastik etwas mit, aber nicht wirklich unangenehm. Der Abgang ist heiß, würzig und leicht alkoholisch, und mittellang. Ein attraktiver Tropfen, ganz gewiss sehr geeignet als Digestif oder Trou Normand, oder nahezu perfekt als Cocktailzutat (siehe dazu unten mehr).
Vom selben Hersteller und mit demselben Alkoholgehalt kommt der Apfelbrand Palotás Golden Alma. Der Plastikkorken der Palotás-Fläschchen gibt dem ganzen noch etwas Wertigkeit im Vergleich zum Schraubverschluss der meisten anderen Miniaturen.
Farblich klar und ohne Einschlüsse, recht viskos im Glas. Sehr langsam ablaufende Beine. Der Geruch ist wirklich ein Traum von Bratapfel, frisch aufgeschnittenem Golden Delicious und Apfelmus. Sehr süß und voller Gewürzaromen. Da könnte ich drin baden. Geschmacklich fällt er gegen diesen sensationellen Geruch dann leider etwas ab. Da tauchen direkt zu Beginn schon kleine Fehlnoten nach Plastik auf, die den Apfelgeschmack beeinflussen. Einiges an Vanille und Zimt, also doch mehr Bratapfel als Apfel. Sehr cremig, vollmundig und mild, kaum Säure. Der Abgang ist pfeffrig, hier meint man, die 40% erkennen zu können, und etwas unrund. Die Apfelaromen tauchen aber im Nachhall nochmal auf und klingen dann sehr lange nach. Ein schöner Brand, der für mich persönlich hauptsächlich über seine Nase glänzt, und dort richtig.
Wechseln wir nun den Hersteller. Der Pannonia Meggy ist ein Sauerkirschenbrand, der in einer Bügelflasche präsentiert wird, mit einem Umhänger an einer Kordel, die in den ungarischen Nationalfarben rot-weiß-grün geflochten ist.
Die klare Transparenz ist nun schon gewohnt, die leichte Öligkeit ebenso. In der Nase treffe ich auf unerwartete und ungewohnte Geruchsbilder – da ist zunächst erstmal Klebstoff, Ethanol und etwas Plastik. Die Sauerkirsche zeigt sich wenn, dann nur am Rande. Auch im Geschmack hätte ich nach der Verkostung nicht spontan ausgerufen – „ja, das ist ein Kirschbrand!“, nein, ich hätte mich über die wirklich wuchtige Bazooka-Kaugummi-Note im Abgang und über den starken Waldmeistergeschmack ausgelassen. Was ich hiermit tue. Tatsächlich ist der Abgang im Gegensatz zur etwas belanglosen Art des Mundgeschmacks wirklich sehr attraktiv und erinnert mich an meine Kindheit (die natürlich ohne Kirschschnaps und statt dessen mit viel Kaugummi verlief). Ein paar Noten tauchen im gescholtenen Geschmack dann doch noch auf, nach ein paar weiteren Versuchen – eine leichte Rauchigkeit und, wenn man weiß, wonach man suchen muss, auch die verschollene Kirsche. 46% weist der Pannonia Meggy auf, eine herrliche Süße-Säure-Balance, und er ist für mich einer „auf den zweiten Blick“, der nicht so forsch-oberflächlich wie die Birnen- und Apfelvorgänger daherkommt, sondern subtil und am Ende doch gefällig.
Eine Alternative zum klaren Pálinka findet sich beim nächsten Hersteller, den wir betrachten. Der Bolyhos Birs hat als Besonderheit nicht nur die strohige Farbe, die ihn abgrenzt, sondern man sieht auch direkt den Grund dafür – kleine Fruchtstücke liegen in der Flasche, hier dann eben ein Stück Quitte, die für eine zusätzliche Mazeration sorgen.
Der Geruch ist entsprechend intensiv – die Frucht ist hier klar dominant, nicht zu süß, leichter Würzkörper nach Zimt. Ein Anflug von Ethanol klingt mit, ist aber vergleichsweise gut eingebunden und wirkt nicht als Fremdkörper. Der Geschmack ist dann eine fette Breitseite, die 50% Alkohol merkt man deutlicher, als es einem lieb ist. Süßlich, ohne die Säure zu vernachlässigen, wilde Gewürze, getrocknete Quitte. Der Abgang ist dann nochmal eine Schippe draufgelegt, wirklich extrem trocken, fast schon kratzig, heiß, stark adstringierend, schon leicht salzig, sehr lang und fruchtig nach Dörrobst. Eine klare Abkehr zu den zuvor verkosteten Pálinkas, hier verlassen wir das Gebiet des süßlichen Schlürfers und sehen Männerschnaps vor uns. Sehr aromatisch, aber auch insgesamt etwas unreif und unelegant wirkend, vor allem im Vergleich zum sehr edlen direkten Vorgänger in dieser Verkostung.
Vom selben Hersteller gibt es verschiedene Fruchtvarianten, ich hatte mir noch den Aprikosenschnaps ausgesucht, also den Bolyhos Kajszibarack. In der Aufmachung ist er natürlich identisch zum Vorgänger, und auch hier finden wir 50% Alkoholgehalt vor. Die Farbe ist eine, die ich nicht zögern würde, als apricot zu bezeichnen, auch wenn das etwas oberflächlich banal ist bei einem Aprikosenbrand, der sogar noch ein Stück Aprikose in sich liegen hat.
Die Nase bietet ähnlich offensichtliche Eindrücke, mit Aprikose im Vordergrund. Dies wird begleitet von einer sahnigen Note, ja, es erinnert mich wirklich an Aprikosenjoghurt. Ein bisschen Offenstehenlassen ist angesagt, damit das zunächst vorhandene Stechen abflaut. Eine milde, dezente Würze gibt Spannung. Der Antrunk setzt dies alles fort – sehr cremig, weich, breit und süß beginnt es, mit klarer Frucht und ohne Fehltöne. Doch im späteren Verlauf, und ganz stark im Abgang, kippt die Aromatik komplett um hin zum Trockenen, sogar leicht Bitteren. Eine unrunde Alkoholhitze flackert auf, und insgesamt ensteht nun ein Eindruck von Pelzigkeit auf Zunge und Gaumen. Für mich wirkt dieser Brand ähnlich wuchtig, frech und unausgewogen wie die Quittenvariante kurz zuvor, auch wenn der Nachhall wirklich sehr stark und definiert aprikosig da steht.
Zu guter letzt wenden wir uns noch einer meiner persönlichen Lieblinge aus dem Obstreich zu – der schwarzen Johannisbeere. Ihre Seele wurde im Panyolai Elixír Feketeribizli eingefangen, der optisch kleinsten der Miniaturen.
Wir schließen den Kreis zurück zum Anfang, was die Farbe und auch was den Alkoholgehalt angeht. Ein klarer Brand mit 40% Alkohol, der recht flüssig im Glas schwingt und schnell ablaufende Beine aufweist. Geruchlich erinnert er mich an Kirschwasser, vielleicht sogar noch mehr aber an Tequila. Ja, allein von der Nase würde ich unter das Glas das Schild mit Tequila stellen, hätte ich diesen Pálinka in einer Blindverkostung vor mir. Entsprechend sehr floral und duftend wirkt der Panyolai Elixír auf mich. Im Mund ist er sehr süß, cremig und flauschig, im Antrunk noch mehr als im Verlauf, wo er langsam eine mildpfeffrige Schärfe und eine aromatische Salzigkeit entwickelt. Immer noch habe die starke Assoziation zu einem guten Tequila Blanco. Der Abgang bringt dann das, was ich die ganze Zeit schon erwartet hätte – hier taucht endlich die schwarze Johannisbeere auf, immer noch nicht überwältigend, aber sehr effektiv im Hintergrund, sehr natürlich, als hätte man eine kleine Beere mit im Mund. Dies hält dann auch lange an, wenn alle anderen Aromen wieder verklungen sind. Sehr fein und geschickt gelöst vom Brenner. Wieder ein Pálinka aus der eleganteren Kategorie.
Die ungarische Barkultur hat den Pálinka ins Herz geschlossen. In allen Bars, in denen ich mich aufhielt, gibt es neben dem puren Pálinka auch Cocktails, die ihn als Zutat einsetzen; ich habe einen amerikanischen Cocktail ausgewählt, um zu zeigen, dass man Pálinka auch ohne Probleme in Rezepturen einsetzen kann, die nach anderen Obstbränden verlangen – nein, ich empfinde den Apfelpálinka im Autumn Leaves beispielsweise sogar als Gewinn gegenüber Applejack oder Calvados. Dieser Cocktail funktioniert auch gut mit allen anderen Obstsorten – ideal zum experimentieren für Cocktailnerds.
Autumn Leaves
¾ oz Apfelbrand (z.B. Palotás Golden Alma Pálinka)
¾ oz Rye Whiskey (z.B. Jim Beam Rye)
¾ oz Süßer Wermut (z.B. Martini Riserva Speciale Ambrato)
¼ oz Strega
1 Spritzer Zimttinktur
Auf Eis rühren. Auf Eis servieren.
[Rezept nach Jeffrey Morgenthaler]
Das Pálinka-Gesetz seit 2008 legt fest, dass Pálinka zu 100% aus Frucht- oder Tresterdestillat bestehen muss und keine Zusätze (wie Zucker oder Honig, oder Farbstoffe) enthalten darf. Nur Früchte, die in Ungarn aufgezogen wurden, dürfen verwendet werden; der gesamte Produktionsprozess von Ernte über Destillierung und Reifung bis zur Abfüllung muss in Ungarn erfolgen. Der Alkoholgehalt muss zwischen 37,5% und 86% liegen. Man erkennt die Abfüllungen, die nach diesem Gesetz kontrolliert wurden, an einer über den Verschluss geklebten Banderole mit der Aufschrift „Pálinkazárjegy“ (was, fast etwas überraschend in seiner Banalität, tatsächlich übersetzt auch nur „Schnapsbanderole“ bedeutet) – wer keinen illegalen oder verschnittenen Sprit kaufen will, achtet darauf.
Preislich muss man, wie oben bereits erwähnt, darauf achten, wo man seinen Pálinka kauft – Preisunterschiede von 100% sind keine Seltenheit. Ich empfehle, wie ich das auch schon in Griechenland tue, lieber in kleinen Supermärkten derartige Mitbringsel zu kaufen, statt in den Souvenirläden, wo der in Urlaubsstimmung befindliche Tourist mit dem locker sitzenden Portemonnaie schnell über den Tisch gezogen wird. Zirka 1000 bis 1500 Forint, also aktuell in etwa 3€ bis 5€, sollte man für eines der oben verkosteten Miniaturfläschchen einplanen, nach oben ist die Preisliste, wie fast immer, offen, und selbstverständlich gibt es alle auch in großen 0,7l-Flaschen. Ich kann diese tollen Brände jedem Fruchtschnapsfreund jedenfalls wärmstens ans Herz legen. Zum Wohl, oder wie man auf Ungarisch sagt – egészségedre!
Sieh mal an. Ich dachte immer, die traditionelle Verpackung für Palinka sein die 1,5l-Plastik-Colaflasche und die Bezugsquelle immer das Gepäck von Reisenden in Überlandbussen.