Wer heute noch Raucher ist, hat einen schweren Stand. Zwar wird man immer noch mit vielquadratmetergroßen Werbetafeln am Straßenrand unter Benutzung des Gourmetvokabulars dazu aufgefordert, im scheinbaren Dauerpartyleben den geschredderten Billigtabak in Papierrolle zu konsumieren, doch in immer mehr Bereichen des echten Lebens wird Suchtrauchen nicht mehr geduldet – zu Recht, wie ich meine. Tatsächlich bin ich selbst froh, meine paar Jahre des aktiven und dabei doch so gedankenlosen Zigarettenrauchens lang hinter mir gelassen zu haben, und statt dessen nur noch sehr selten, dafür aber exquisite Ganzblattware genießen zu können. Ich halte es da inzwischen mehr mit den Hobbits aus Mittelerde, die statt einem schnöden Glimmstengel, der ein paar Minuten kickt, lieber den gemächlichen, ausdauernden und dadurch viel befriedigenderen Rauchrausch suchen.
Die echtweltliche Parallele zu den im Auenland gepflanzten Qualitätstabaksorten Longbottom Leaf, Old Toby, Southern Star und Southlinch ist der Perique. Ein seltener, wertvoller und mit viel Mühe und Tradition aufgearbeiteter Tabak aus Louisiana, der aufgrund seiner Kräftigkeit heutzutage meist nur als Beigabe zu Rauchmischungen zugefügt wird, auch wenn ihn noch einige pur als Pfeifentabak rauchen. Nur noch wenige Fässer dieses Tabaks pro Jahr werden hergestellt, und ein paar hat sich Destillateur Ted Breaux unter den Nagel gerissen und stellt damit eine zunächst seltsam klingende und dabei doch nikotinfreie neue Spirituose her – den Perique Liqueur de Tabac.
Wie schmeckt nun ein Likör, hergestellt aus Tabak? Zunächst erinnert es an Absinthe: Anis, Fenchel und Kerbel, dazu eine leicht mentholige Note kommt einem aus dem Verkostungsglas entgegen – dazu kommt spannenderweise Dill. Vielleicht etwas Orange. Definitiv sehr pflanzlich im Geruch.
Wie von einem stark zuckerhaltigen Likör zu erwarten ist die Tabakinfusion erstmal sehr süß. Karamell und Zucker sind deutlich schmeckbar, stören aber gar nicht, im Gegenteil: Man meint fast, Kandiszucker-Kristalle zu lutschen, so angenehm würzig ist die Süße. Da ist allerdings ein ledriger, dunkler Unterton im Geschmack, den ich tatsächlich so nirgends anders her kenne – ich vermute dahinter den Perique als Ursache. Die bereits erschnupperte Mentholnote ist auch im Mund vorhanden, nur ein Hauch, der aber der Spirituose eine freche Frische gibt, die der Süße trotzt.
Im Abgang dominiert wiederum zunächst die Süße, doch auch hier gibt es etwas spannendes zu erleben: Während die Süße sich in Wärme wandelt, und mit einem minimalen, sehr angenehmen Alkoholbrennen den Rachen hinunterläuft, entsteht ein vielschichtiger, pflanzlich-aromatischer, sehr würziger Resteindruck am Gaumen.
Eine sehr komplexe Spirituose, die man gewiss zunächst pur explorieren muss, die aber auch in Cocktails ihre Vielschichtigkeit beweisen kann. Sie hat eine gewisse geschmackliche Verwandschaft zur gelben Chartreuse – daher empfehle ich hier ein Cocktailrezept, das im Original eigentlich mit Chartreuse gemacht wird, den Last of the Oaxacans, den ich zur Abgrenzung und in Bezug auf den Tabaklikör dann kurzerhand zu Last of the Oaxacan Smokers umgetauft habe. Sehr beeindruckend, wie darin der süße, pflanzliche Likör mit dem rauchigen Mezcal zusammenarbeitet.
Last of the Oaxacan Smokers
¾ oz Perique Liqueur de Tabac
¾ oz Mezcal (z.B. San Cosme)
¾ oz Limettensaft
¾ oz Maraschino-Likör
1 wirklich kleines Stück Habanero
Auf Eis shaken.
[Rezept nach Helmut Barro]
Unglaublich, dass es sowas heutzutage bei Spirituosen doch noch gibt: Eine Zutatenliste auf dem Etikett, bei der Zucker nicht ausgespart wird. Ted Breaux, der bereits so einige findige Ideen in flüssige Form umsetzen konnte, zeigt uns hier, wie man es in modernen Zeiten macht: Qualität, Kreativität und dabei gleichzeitig Transparenz. Schade, dass die Schnaps- und allgemein auch die Lebensmittelindustrie sich in diesen Belangen sonst meist so gegensätzlich verhalten – die alte Leier mit Massensprit und Langeweile, oder Heimlichkeit und Täuschung bei neuen Produkten.
Ich habe mich auf diesem Blog schon ausführlich über die mangelnde Transparenz bei der Rumherstellung und fehlende Ehrlichkeit beim Auszeichnen der Inhaltsstoffe bei Spirituosen beschwert. Ich hoffe dabei immer noch auf eine Besserung der Zustände; allerdings scheint es auch Kräfte zu geben, die an totaler Transparenz so überhaupt nicht interessiert sind. Neuestes Beispiel: Die von einem anonymen Denunzianten hervorgerufene Aufforderung der Scottish Whisky Association an John Glaser und seine Compass-Box-Whiskies, doch bitte nicht so viele Details auf dem Flaschenlabel anzugeben. Einerseits ist es schade, dass so etwas heutzutage passieren muss; andererseits setze ich da voll auf den Streisand-Effekt und hoffe, dass die SWA erkennt, was für einen Bock sie da geschossen haben.
Zum Glück gibt es heute diese Innovatoren, diese mutigen Brenner, die sich nicht mit den schummrigen Zuständen abfinden wollen, sondern ihre Produkte ohne Trickserei, ehrlich und dabei auch noch kreativ herstellen. Eins dieser Produkte ist der faszinierende Perique-Likör.
Klasse geschrieben! Ich hoffe wir können den Mal gemeinsam verkosten. Auch den Cocktail, dessen Rezept du hier veröffentlicht hast. San Cosme kommt ja auch aus unserem Hause.
Danke und vielleicht auf bald.
Peter Schütte BA Botucal Germany
Wenn Du mal in der Ecke hier bist, sag Bescheid! Würde mich sehr freuen.