Kennt eigentlich jemand meiner Leser hier eine Person, die einen Flachmann nutzt? Ich persönlich nicht. Wenn man aber schaut, was die Spirituosenindustrie so als Giveaways entweder direkt in einem Set mit einer Flasche Schnaps verschenkt, oder in einem Shop für wenig Geld als Accessoire anbietet, dann ist da in den allermeisten Fällen ein Flachmann dabei. Neulich habe ich sogar gesehen, dass ein Obstbrandhersteller eine offizielle Abfüllung in einer Design-Taschenflasche mit einem Etikett anbietet, ganz hübsch gemacht eigentlich. Dennoch frage ich mich – benutzt das tatsächlich jemand? Meine kleine Flachmannsammlung ist jedenfalls eher dekorativ als funktional. Da die jüngere Generation, glaubt man den Aussagen der Nachrichtenagenturen, dem Alkoholkonsum eh grundsätzlich schon skeptisch gegenübersteht, gibt es zumindest für die schonmal keinen Grund, Schnaps beständig und irgendwie heimlich mitzuführen – ist das dann das endgültige Ende für den Flachmann? Ich weiß es nicht.
Ein noch recht neuer Zugang in meiner angesprochenen Kollektion besonderer Taschenflaschen ist jedenfalls der Damoiseau Cuvée Millénaire 2000 Rhum Vieux Agricole. Warum ich ihn in einem Metallfläschchen habe, statt in einer Glasflasche? Dazu am Ende des Artikels mehr. Jedenfalls ist es ungewöhnlich, finde ich, und natürlich gieße ich mir den Rum, wenn ich einen Schluck davon haben will, in ein vernünftiges Glas und nuckle nicht am Flachmann. Während des Eingießens schaue ich mir aber gern den hochglanzpolierten Stahl an, mit der großflächigen Gravur, die den Inhalt beschreibt, und dazu die Mühle zeigt, die auf dem Gelände der Destillerie Damoiseau steht. Der Name ist beachtenswert – der frühere Name des Geländes war „Bellevue au Moule“, nicht zu verwechseln mit der Destillerie Bellevue auf der nahegelegenen Schwesterinsel Marie-Galante. „Schöner Ausblick“ ist aber auch ein naheliegender Name für viele Teile Guadeloupes, das muss ich sagen, der Name ist dort wirklich oft Programm. Den Zusatz „Anno 2000“ sieht man noch in der Gravur, daher gehe ich davon aus, dass es sich um den Jahrgangsrum von 2000 handelt, der 8 Jahre reifen durfte. Er musste nun viel zu lange im Edelstahlsarg liegen, holen wir ihn uns ins Glas zum Probieren.
Die Farbe erinnert mich an das leichte Grüngelb, das frisch gepresster Zuckerrohrsaft hat; irgendwo zwischen Weißwein und Senf vielleicht, aber definitiv mit einem Touch von grün. Die Flüssigkeit schwenkt sich lebendig und leicht, da sieht man kaum Viskosität, außer natürlich an der Glaswand, wo sich ein Film bildet, der sich in Beinchen aufteilt und dann schnell abläuft.
Hält man die Nase ins Glas, nimmt man sofort diesen Guadeloupe-typischen Duft wahr – da kommt direkt viel Zuckerrohrsaft nach vorne, diese süßlichen Fruchtnoten, die man sofort erkennt, wenn man ausgepresstes Rohr mal gerochen hat. Sehr viel Kirsche, Aprikose und Honigmelone gesellen sich als zusätzliche Frucht dazu. Das ganze wird mit ordentlich Vanille, richtig viel davon, unterfüttert, was den starksüßen Geruch noch weiter verstärkt. Da ist kaum Holz, kaum Herbe, kaum Würze in der Nase, das riecht sich wie ein Likör oder Sirup eher als ein klassischer Rum.
Im Mund geht das ansatzlos so weiter. Starksüß, dazu in einem flachen Register, kaum helle oder frische Töne, die die Süße auflockern würden, sogar die Textur ist superweich. Eine aktive Bittere erscheint, die sich gut daran anpasst, sich etwas grün anfühlend, weniger wie Gras, eher wie in Olivenöl eingelegte Weinblätter. Es ist faszinierend, ich habe selten eine so völlig klar zuckerrohraromatische Spirituose getrunken – das ist wirklich wie ein aufgespriteter Zuckerrohrsaft. Erst ganz spät erkennt man, dass hier überhaupt Alkohol enthalten ist (42% sind dann fast überraschend), und auch Würzigkeit oder Wärme entsteht erst im Abgang. Hier blühen dann plötzlich wunderbar ein paar tropische Früchte und auch Blumen auf, da entsteht erstmals etwas Spannung und Komplexität, die beide vorher fast völlig fehlten, und das bleibt eine ganze Weile am Gaumen, ein sehr angenehmes Mundgefühl und richtig schokoladige Nachklänge gefallen mir extrem.
Ein sehr interessantes Erlebnis. Wer einen klassischen Rhum Agricole sucht, ist hier nicht an der richtigen Adresse; wer wissen will, wie nahe man mit einem Destillat an die Sensorik des Basismaterials „Zuckerrohr“ herankommen kann, der sollte definitiv mal einen Blick riskieren. Darüberhinaus weist der Damoiseau Cuvée Millénaire 2000 auch eine hohe Guadeloupe-Typizität auf, man macht also sicher nichts falsch, wenn man die Charakteristiken der Agricoleinseln zueinander vergleichen will.
Das ist ein Rum, der gute, kräftige Gesellschaft in einem Mixed Drink gebrauchen kann, um ihn zu unterstützen. Nicht aromatisch, eher von der Struktur her – und da kommen ein kräftiger Apfelbrand und Chartreuse natürlich gerade recht im Nth Degree. Das alles kombiniert sich richtig gut, und während dieser Cocktail mit einem Martinique-Agricole knackig-würzig wird, entsteht durch den Damoiseau hier ein eher weicheres, süßeres Gesamtbild; ich finde es faszinierend, wie stark ein Drink sich verändern kann.
Nth Degree
1oz / 30ml gereifter Rhum Agricole
1oz / 30ml Calvados
½oz / 15ml Chartreuse Verte
1 Teelöffel Zuckersirup
2 Spritzer Aromatic Bitters
Auf Eis rühren. Auf frisches Eis abseihen.
[Rezept nach Nate Dumas]
Zurück zum Behältnis. Gewiss gibt es diesen Brand auch in einer normalen Glasflasche – ich habe diesen charmanten, gravierten Flachmann als Geschenk beim Besuch der Destillerie erhalten, als ich zusammen mit Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles auf der Insel war. Damoiseau war die erste der 9 Brennereien, die wir dort besichtigt haben, über Reimonenq hatte ich ja schon berichtet. Anbei ein paar Impressionen; wenn ich die Bilder selbst anschaue, bekomme ich direkt ein schlimmes Fernweh. Eines der Highlights dort war natürlich, wie Hervé Damoiseau persönlich uns mit karibischem Essen und Ti’Punches ohne Ende bewirtete, und uns sogar seinen Privatpool benutzen ließ; ich erinnere mich gern daran, wie Jürgen Schmücking sich da nicht zweimal bitten ließ und kurzerhand ins kühle Nass hineinsprang.









Ich kann gar nicht beschreiben, wie so eine Brennerei riecht und sich anfühlt – das muss man erlebt haben. Für Kenner, die mit europäischen Hygienestandards hierher kommen, ist das sicherlich ein dramatischer Schock, da landet schon mal die eine oder andere Zigarettenkippe oder Fliege im Sud, und das angelieferte Zuckerrohr liegt auf staubigem Beton und in uralten Transportcontainern. Doch das macht mit den Charme und den Geschmack des Endprodukts aus, finde ich. Ein großartiges Erlebnis, das ich nie missen möchte.


