Der italienische Importeur Velier und die Rumbrennerei Saint James auf Martinique haben eine enge Beziehung, die schon seit über 40 Jahren besteht. Jean-Claude Benoit, General Manager bei Saint James, und Luca Gargano von Velier kennen sich seit 1975. Als das 25-jährige Jubiläum für die AOC-Einführung für Rum aus Martinique 2021 anstand, taten die beiden sich mit Production Manager Marc Sassier zusammen und füllten gemeinsam eine Reihe von 10 Rums ab, die repräsentativ für diese 25 Jahre bei der Saint-James-Destillerie stehen: die Verticale Velier Rhum Vieux A.O.C. Martinique Millésimes Saint-James, manchmal auch unter dem Titel Saint James AOC Anniversary Collection zu finden. Es wird betont, dass es sich hier um ein „co-bottling“ handelt, bei dem alle Partner gleichberechtigt handeln, und nicht um eine unabhängige Abfüllung von Velier. Das Design stammt daher von beiden Partnern, und die Flaschen wurden von Italien nach Martinique verfrachtet, um dort offiziell abgefüllt zu werden.
10 Jahrgangsrums („millésimes“) also, alle mit der klassischen Saint-James-Alkoholstärke von 47%, aus ausgewählten Jahren der letzten 25 Jahre – das bringt das Herz jedes Rumfreunds zum wilden Pochen. Und da das Set normalerweise sehr teuer wäre, denkt Gargano an genau jene Rumfreunde, und lässt sie über das grandiose VSGB-Projekt (ich habe mehrfach darüber geschrieben) daran teilhaben. Und ich nun meine geschätzten Leser hier!
Ich habe für diesen Artikel 4 der Abfüllungen ausgewählt – nicht unbedingt die, die mir am besten gefallen haben, sondern die, an denen man sowohl die Typizität der Brennerei als auch die Entwicklung über die Zeit schön erkennen können sollte. Deshalb beginnen wir mit Jüngsten im Set, also 2015, gehen dann fünf Jahre zurück zum 2010er, nochmal 6 Jahre zurück zum 2004er, und enden dann im Jahr 1998, dem ältesten Jahrgang (aber interessanterweise nicht ältesten Rum in Jahren gemessen) des Sets.
Der Saint James Rhum Très Vieux Millésime 2015 (25th AOC Anniversary) entstammt der zwanzigsten Ernte nach der Einführung der AOC-Regelung auf Martinique; sie war wohl anfänglich schwierig, doch mit sich ändernden Wetterbedingungen ein ertragreiches Jahr. Destilliert wurde er also 2015, abgefüllt im Oktober 2021 – ein Millésime muss rechtlich mindestens dieses Alter haben. Er hat in den 6 Jahren, die er damit tropisch reifen konnte, ein ordentliches Hennarot angenommen und zeigt sich angenehm viskos.
Die Nase ist leicht, mit der typischen Mischung aus ganz mildem Süßholz, Vanille und dezenter Grasigkeit. Etwas Karamell, etwas Orange, etwas Kirsche – frische Frucht ist noch sehr lebendig hier. Im Mund zeigen sich dann sehr starke, seifige Noten, das erinnert an Weichspüler und die Dufttücher, die man in den Trockner tut. Manche haben es als floral bezeichnet, das trifft es für mich nicht ganz, das wirkt auf mich fast schon fehlerhaft in der superstarken, parfümierten Lavendelnote. Bitterkeit und Säure sind ausgeprägt, der Abgang ist mittellang, und lange vom Parfüm geprägt. Mir gefällt das nicht wirklich, ich kenne solche Noten eher von Fehlern, wie gesagt, und diese Superblütigkeit wirkt künstlich und überwältigt das ganze Erlebnis. Da kann ich auch Lenor trinken – so hart es klingt, ich empfinde das als unangenehm. Erst sehr spät geht sie im Mund dann zurück und lässt ein angenehmes, kühles Gefühl zurück.
Gerade für die jüngeren Exemplare dieses Vertikalsets (mindestens zurück bis 2004) empfehle ich, sie doch wenigstens eine Viertelstunde vor dem Genuss ins Glas zu geben, um ihnen die Gelegenheit zu geben, die stark seifigen Noten etwas ausblühen zu lassen.
Zeitsprung um 5 Jahre in die Vergangenheit. Für den Saint James Rhum Très Vieux Millésime 2010 (25th AOC Anniversary) wurde das Zuckerrohr der fünfzehnten Ernte seit Einführung der AOC genutzt, destilliert wurde er 2010, abgefüllt im Oktober 2021, und ist damit 11 Jahre tropisch gereift. Einen Ticken dunkler als der 2015er wirkt er, und leuchtet in klarem Pariser Rot mit deutlicher Öligkeit im Glas.
Für die Nase findet sich viel Frische, deutliche Lacknoten, viel Holzeinfluss ist riechbar. Sehr klar wirkt das, die Fruchtigkeit ist noch spürbar, geht aber klar nun in die Richtung getrockneten Obsts, mit etwas Orangenzeste als Aufheller. Im Mund ist weiterhin deutliche Lavendelseifigkeit da, nicht mehr ganz so extrem wie beim 2015er, aber immer noch alles andere dominierend. Spannend, dass man es so stark schmecken, aber überhaupt nicht riechen kann. Lavendel, Flieder, Patchouli, Myrrhe und Thymian, inital habe ich eher ein Räucherstäbchen im Mund als Rum. Es braucht etwas, bis das verklingt, und den gewohnteren grasigen Aromen eines Agricole wenigstens etwas Raum gönnt und mit frischer Kühle aufwartet.
Nun, auch hier bin ich mir nicht hundertprozentig sicher, ob sich da bei der Abfüllung nicht ein Fehler eingeschlichen hat, manche Fettsäuren wandeln sich bei fehlerhafter Handhabung bei Wein zumindest in so ein Geschmacksbild. Im Nachklang entsteht echte, leicht grünschnittartige Floralität, die mir dann durchaus zu gefallen weiß.
Schon erkennbar rötlich ist der 17-jährige Saint James Rhum Très Vieux Millésime 2004: Die Ernte dieses Jahres musste aufgrund starker Regenfälle im Mai abgebrochen werden, das führte zu einem der schwächsten Erträge dieser Periode. Destilliert 2004, abgefüllt im Oktober 2021. Erneut sieht man sehr ansprechende Viskosität beim Schwenken.
Hier haben wir geruchlich den Übergang zu Armagnac fast geschafft, sozusagen – dunkle, getrocknete Früchte, Feigen, angenehm eingebundene Lack- und Holznoten, eine immer noch erkennbare Frische, die aber nur an Minze erinnert, und dann noch leicht getreidige Roggennoten. Sehr komplex und vielschichtig, dabei nicht überwältigend. Das riecht sich echt gut. Hier ist nun auch nichts mehr vom Weichspüler da, im Abgang klingt noch minimalst Lavendel mit, aber nur als dezenter Beiton – dagegen habe ich gar nichts, im Gegenteil. Das Mundgefühl ist nun sehr trocken und bitter, die Textur bleibt leicht und klar. Eine natürlich Süße ist im Antrunk da, im Verlauf entsteht feine Würze mit Eindrücken von Kerzenwachs, Harz, Kiefernzapfen und etwas Eukalyptus. Gerade im Nachklang entstehen dann grüngrasige Noten, die fast etwas ins Aquariumkies gehen, mit einer Idee von Jasmin als höchste Kopfnote. Das ist nun schon echt Gaumenkino, nicht ganz einfach wegen der ausgeprägten Trockenheit, sondern etwas, mit dem man sich lange auseinandersetzen kann, und viel zu entdecken und ruminieren hat.
Wie schon angesprochen, vom Jahrgang her ist der Saint James Rhum Très Vieux Millésime 1998 (25th AOC Anniversary) der frühste Rum des Sets, da er aber nach der Destillation 1998 schon 2018 in andere Fässer umgefüllt und dann 2021 auf Flaschen gezogen wurde, darf er „nur“ mit 20 Jahren ausgezeichnet werden; der 2000er-Jahrgang dieses Sets ist damit paradoxerweise 1 Jahr älter und der älteste dieses Tastingssets.
Das Jahr 1998 war eines der vier heißesten Jahre seit 1953, und lieferte damit eine sowohl was die Qualität als auch die Quantität angeht ideale Zuckerrohrernte. Die Farbe ist irgendwo zwischen Pariser Rot und Siena, geht aber schon leicht ins Rostrote über. Die Nase ist archetypisch für rhum agricole im Allgemeinen, leichte Klebernoten verbinden sich mit milder Grasigkeit, etwas Estragonfrische kommt dazu, Vanille und getrocknete Früchte machen das ganze weich und voll. Aprikose, ganz vorsichtige weiße Schokolade und ein Hauch von Orangenzeste komplettieren das Geruchsbild. Der Antrunk wirkt noch etwas zurückhaltend, leicht, luftig fast, doch im Verlauf entwickelt sich dieser Rum dramatisch hin zu würziger Mundfülle mit Eindrücken von Estragon, Süßholz, Heu und Kaffee. Die Bittere ist sehr effektiv und trotzdem nicht störend, eine herrliche Kühle legt sich auf den ganzen Gaumen. Trockenfrüchte und Holz spielen miteinander, und die Dauer, in der sich der Rum immer weiter aufbaut, ist immens, bis zum langen, aromatischen, hellklingenden und frischen Abgang. Da gibt es nichts zu deuteln, das ist ein großer Rum, und dazu einer, der seine Stärke nicht protzig vor sich herträgt, sondern bescheiden bleibt.
Bezüglich der Aufmachung lasse ich einfach die Bilder sprechen – das ist erneut ein Meisterwerk, das Gargano zusammen mit Saint James hervorgebracht hat. Es toppt alles zuvor dagewesene bei dieser eh schon wunderbach gestalteten VSGB-Reihe, mit dem Gesamtkarton, der die Einzelkartons hält. Und auch den Kundenservice bei Spirit Academy, die die logistische Abwicklung für die ganze Welt übernehmen, möchte ich loben – die zerbrochene Flasche des Saint James 2014 wurde mir innerhalb weniger Tage ohne jede Diskussion ersetzt.






Die Etiketten sind identisch zur Großflasche, dickes Papier, strukturiert und in schöner Form geschnitten, haptisch ist dieses Set ein absoluter Traum, der jede Heimbar aufs Äußerste ziert. Und nie im Leben hätte ich, ohne die VSGB-Gruppe, diese Rums in ihrer Vollständigkeit probieren können – Gargano macht wirklich etwas für die Rumfreunde, die diese Rums tatsächlich trinken wollen, statt mit ihnen zu spekulieren.
So eine Sammlung bietet sich natürlich perfekt an, sie gemeinsam mit Freunden zu verkosten. Für Leute wie mich, die keine Freunde haben, hat Luca Gargano ein Online-Tasting angeboten – am 22.10.2022 fanden sich rund 150 Teilnehmer bei Zoom zusammen, und konnten unter der Leitung von Gargano zusammen mit dem Production Manager bei Saint James, Marc Sassier, die einzelnen Proben zu Gemüte führen. Spannende Details erfuhr man da, ein unterhaltsamer Abend war es darüber hinaus natürlich – und vielleicht lässt Gargano sogar dieses Tasting als größtes Rumtasting der Geschichte ins Guinness Buch der Rekorde eintragen.



Ich halte es für schwierig, so eine Veröffentlichung noch zu toppen, aber Gargano hat schon im Tasting diverse Dinge angekündigt, die zumindest dafür sorgen, dass es in der VSGB-Gruppe nicht langweilig werden wird in Zukunft. Und da es sich um eine Herzensangelegenheit handelt, lässt er sich nicht lumpen. Ich würde mir wünschen, dass es mehr Abfüller wie ihn gibt, die die wirklich an Spirituosen Interessierten teilhaben lassen, statt einfach den Sammlern und Spekulanten immer mehr Material zukommen zu lassen, das niemals seinem ursprünglichen Zweck zukommen wird – getrunken und genossen zu werden.
Toller Beitrag, obwohl nicht unbedingt mein Metier. Chapeau!
Danke, das höre ich gern!