In Kapitel 21 des großen chinesischen Epos „Drei Königreiche“ spielen grüne Pflaumen eine wichtige Rolle. Der Heerführer Cao Cao, auf der Suche nach Verrätern, besucht Liu Bei in seinem privaten Garten, in dem gerade grüne Pflaumen wachsen – und die zwei unterhalten sich über Heldentum und genießen währenddessen frisch geerntete Pflaumen und gewärmten Pflaumenwein. Natürlich führt Cao Cao dabei etwas im Schilde, er will herausfinden, ob Liu Bei nicht vielleicht ein etwas zu ambitionierter Gegenspieler werden könnte, und hofft, dass die vorgespielte Freundlichkeit und der Wein die Zunge lockern. Ein zufälliger Donnerschlag während einer entscheidenden Frage und Liu Beis immer fast schon an Ängstlichkeit grenzende Vorsicht retten ihn hier vor dem hinterlistigen Versuch Cao Caos; andere, die nicht so viel schauspielerisches Talent haben wie Liu Bei, werden später ohne viel Aufhebens einen Kopf kürzer gemacht.
Ich empfehle mangels auch nur ansatzweiser Quellentreue der deutschen Bearbeitungen Moss Roberts‘ zweibändige englische Übersetzung des epochalen Werks von Luo Guanzhong, sie ist vollständig und verhältnismäßig lesbar, und quillt über vor derartigen Anekdoten. Meistens, wenn in so alten Texten von 酒 (jiu) die Rede ist, ist damit Pflaumenwein, Huangjiu oder anderer, niedrigprozentiger Alkohol gemeint, nicht das harte Zeug, das wir heute mit dem Wort verbinden – die Destillation auf hohe Grade wurde auch in China erst sehr viel später zur Gewohnheit. Das erklärt vielleicht auch die Mengen an Wein, die die alten chinesischen Helden in den „großen vier klassischen Büchern“ so konsumieren. Ich fühle mich darum fast irgendwie wie die wilden Trinker Li Kui oder Zhang Fei, wenn ich die Flasche des MeiJian Green Plum Wine (梅見青梅酒) öffne und mir ein Glas davon eingieße – eine moderne Interpretation einer extrem traditionsreichen Spirituose, wie man sieht. Die für Südchina sehr typischen grünen Pflaumen werden dabei mit Hirsebrand (vielleicht Baijiu) mazeriert und am Ende mit Pflaumensaft und Zucker versetzt.
Auf der Rückseite ist vermerkt, dass Farbstoff enthalten ist, bei einem likörähnlichen Produkt ist das auch gar nicht unerwartet, und ich finde hier auch keine verrückte Farbgebung, sondern etwas, was zum Design und zu den Basismaterialien passt: ein leicht blasses Sonnenblumengelb. Beim Schwenken ist kaum ein Haften an der Glaswand erkennbar, keine Beine oder ähnliches – bei 12% Alkoholgehalt ist auch dies natürlich kein Mangel, sondern genau daraus bedingt.
Ich halte das Gläschen, aus dem ich diesen Pflaumenwein trinke, an die Nase, und rieche direkt, worum es hier geht. Die Pflaume ist sehr präsent, sowohl von der süßen als auch der sauren Komponenten dieser Frucht her, mit Erinnerungen an Kirschen, Beeren und einem Tick von Nelken. Zimt könnte man erahnen, und etwas milder Weinbergpfirsich. Man sieht, es geht alles in die leicht gewürzte Fruchtrichtung, bleibt dabei mild und rund. Auch wenn Hirsebrand als Spirituose dafür eingesetzt wurde, ist dies geruchlich nicht erkennbar – auch wenn der Vergleich offensichtlich ist, erwähne ich es: mich erinnert das sehr deutlich an japanischen Umeshu. Die Herstellungsweise ist natürlich sehr ähnlich, Japan hat sich ja immer schon vom chinesischen Kulturvorbild inspirieren lassen (das meine ich überhaupt nicht despektierlich).
Im Mund ist der MeiJian leicht und frisch, mit einer gelungenen Süßsauerbalance. Die grüne Pflaume ist beherrschend, für den, der nicht weiß, wie die schmeckt: eine Mischung aus Pfirsich und unreifer Aprikose, würde ich als Beschreibung anbieten. Auch hier erkennt man den leichten Alkoholgehalt, das trinkt sich viel eher wie Wein als wie eine Spirituose. Nach dem initialen Fruchtantrunk verliert sich das Aroma schnell im Mund, wirkt hier etwas dünn, und ist dann auch in einem sehr kurzen Abgang schnell wieder verschwunden. Adstringierende Säureeffekte bleiben etwas länger am Gaumen und der Zunge, eine Idee von Pflaume und herber Bitterkeit klingt noch etwas nach.
Der MeiJian ist für mich ein sehr leichter Drink, vielleicht einen Ticken zu leicht sogar, pur schlürft man das wie nix weg, vielleicht auf Eis, aber auch gern auf Zimmertemperatur: ein schöner Gaumenreiniger nach dem Essen, oder zwischen Hauptgang und Nachspeise, oder einfach so. Unkompliziert, leicht und süffig. Ein Getränk, von dem die Helden aus alten Epen sicherlich mal ein Dutzend Schalen kippen können, ohne danach Amok laufen zu müssen wie Wu Song.
Das Negroni-Template ist ein guter Ansatzpunkt, wenn man einen neuen Drink erschaffen will. Gleiche Anteile von starker Spirituose, herbem Bitter und milden Ausgleichs dazwischen, das funktioniert mit vielen Einsetzwerten für diese Variablen. Gagliardo Bitter Radicale funktioniert etwas besser als beispielsweise Campari in diesem Drink für die Bitterkomponente, Wuliangchun oder Ming River wunderbar als Baijiu. Und, um der Tradition die Ehre zu erweisen, und an die Drei-Königreiche-Anekdote zu Beginn anzuschließen, nenne ich den Drink Xuande’s Plum Garden.
Xuande’s Plum Garden
1 oz / 30ml Starkaroma-Baijiu
1 oz / 30ml MeiJian Green Plum Wine
1 oz / 30ml italienischer Bitterlikör
Auf Eis shaken. Auf Eis servieren.
[Rezept nach Helmut Barro]
Zur Präsentation – da hält sich der Hersteller Jiangji aus der südwestchinesischen Megametropole Chongqing (die wahrscheinlich bevölkerungsreichste Stadt der Welt!) sehr zurück, für chinesische Verhältnisse. Eine schön geformte Flasche, unauffälliger Plastikschraubverschluss, und ein Etikett, das neben einer dezenten Pflaumenillustration noch eine schöne Kalligrafie aufweist. Das ganze ist in einem angenehmen, passenden Farbton gehalten, mir gefällt das insgesamt sehr. Dazu kommt das Ganze in einem geschenktauglichen Karton: persönlich halte ich das für ein tolles, exotisches Mitbringsel für einen Spirituosenfreund, oder auch die Eltern, die gern mal etwas Liebliches nippen wollen. Schön, dass solche Produkte nun auch in Deutschland leicht erhältlich sind.
Offenlegung: Ich danke der Jaxin Wein & Spirituosen GmbH für die kosten- und bedingungslose Zusendung einer Flasche dieser Spirituose.
Ein Kommentar zu “Geschichten aus dem Pflaumengarten – MeiJian Green Plum Wine (梅見青梅酒)”