Babylon in Sachsen – Wilthener Cask Grande Brandy XO

Wilthener Cask Grande Brandy XO Titel

Die Hardenberg-Wilthen Aktiengesellschaft ist der zweitgrößte Spirituosenhersteller in Deutschland. Die Unternehmensteile haben dabei eine entsprechend lange Tradition – im Jahr 1700 wurde die Kornbrennerei Hardenberg gegründet, die Wilthener Weinbrennerei geht auf 1842 zurück; diese beiden wurden nach der Wiedervereinigung zusammengeführt. Das Unternehmen war scheinbar schon früh daran interessiert, sich eigene Märkte zu finden; Matt Pietrek hatte neulich ein nettes Exzerpt aus dem The Louisiana Planter and Sugar Manufacturer gefunden, in dem eine Firma aus Wilthen, Sachsen, sich um das Jahr 1922 damit beschäftigt, Rum herzustellen, für den man kein Zuckerrohr braucht – um die Abhängigkeit für diese begehrte Spirituose zur Karibik aufzulösen: „Deutscher Rum“ sollte die Zukunft sein (nicht zu verwechseln mit Rumverschnitt).

The Louisiana Planter and Sugar Manufacturer, Volumes 68-69, 1922

Das Projekt setzte sich scheinbar nicht bis heute durch, die Wilthener stellen heute zumindest keinen Rum mehr her. Mehr zufällig hatte ich neulich in einem Supermarkt von dort ein Produkt aus einer anderen Kategorie gefunden, und mich trotz meines Schwurs, keine Spontankäufe mehr zu tätigen, dazu durchgerungen, den Wilthener Cask Grande Brandy XO mitzunehmen. Ich trinke in letzter Zeit überdurchschnittlich viel Weinbrand (also anteilig im Vergleich zu den anderen Spirituosengattungen, die meine Heimbar bevölkern), da dachte ich mir, schaden kann es nicht – insbesondere, da ich mit deutschem Weinbrand gemischte Erfahrungen gemacht hatte (hier und hier nachzulesen), und mein Bild diesbezüglich aufklären wollte. Der Cask Grande Brandy ist allerdings nur dahingehend ein deutsches Produkt, dass die Reifung und das Blending in der sächsischen Stadt Wilthen stattfindet; die Basisdestillate dafür sind in Frankreich in der Grande Champagne gebrannt worden – wir haben also einen Protocognac vor uns. Ich nehme die Abkürzung XO, also „extra old“, für bare Münze und gehe daher davon aus, dass der jüngste Brand in diesem Blend 10 Jahre alt ist. Der Hersteller spricht sogar von „decades old distillates“, das ist aber natürlich der älteste Teil.

Wilthener Cask Grande Brandy XO

Die Farbe im Endblend kann für mich jedenfalls schon 10 Jahre Mindestalter andeuten – das ist ein kräftiges, leuchtendes Terracotta-Orange mit attraktiver Strahlkraft sowohl in der Flasche als auch im Glas. Die Reifung fand in Fässern aus Limousin-Eiche statt, da hält man sich in Sachsen an das französische Vorbild. Die Viskosität ist auch ansprechend, da liegt ordentlich was im Glas, das man durchaus zur Bewegung drängen muss.

Die Nase ist sehr weinig, leichte Frucht in Richtung Aprikose und Zwetschge spielt mit, eine milde Nusskomponente, vielleicht Cashewkerne, gibt noch Struktur dazu. Ein Anflug von milder, süßlicher und blumiger Seifigkeit, gar nicht unangenehm. Etwas Schwefel, aber wirklich nur eine Idee, und leichte Buttrigkeit, erinnernd an Karamellbonbons und Shortbread, wechseln sich im Geruch ab. Ein insgesamt für mich sehr ansprechendes Bild, vielleicht etwas zwickend, wenn man zu tief schnuppern will, aber rein von der Aromatik her – ich bin sehr positiv überrascht.

Wilthener Cask Grande Brandy XO Glas

Eine extreme Flauschigkeit macht sich im Mund im Antrunk breit, das ist wirklich, als würde man geschmolzene Butter trinken. Schwere Fruchtsüße aus Aprikosen, Pflaumen und Datteln bildet sich darin ab, die Textur ist ölig und dicht, man kann praktisch auf dem Weinbrand herumkauen und -lutschen wie auf einem Marshmallow. Eine beeindruckende Breite, dazu eine etwas weniger präsente Tiefe, erzeugt ein sehr angenehmes Mundgefühl. Und das geht sehr lange so – erst ganz spät im Verlauf bildet sich etwas Würze heraus, die dann zum Schluss Tempo aufnimmt und in eine freche Pfeffrigkeit mündet, die Zunge und Gaumen kitzelt. Auf die 40% Alkoholgehalt würde ich persönlich, auch wenn ich sonst eher in der 45%-Mannschaft spiele, kein bisschen draufsetzen.

Der Abgang ist hauptsächlich von Effekten geprägt, die ölige Schicht auf der Zunge bleibt lange erhalten, und mit ihr auch der weiße Pfeffer, im Nachhall erblühen jedoch dazu recht unerwartet liebliche Rosenblätter und Jasmin, die sich aromatisch sehr attraktiv lange erhalten. Ein Anflug von Bittere und Säure lässt den Abgang dann auch etwas gegen die Dauersüße antreten und sorgt für einen rundum schönen Ausklang.

Ich gebe zu, ich bin sehr positiv überrascht von diesem fast schon likörhaften Weinbrand. Er trinkt sich ausgesprochen bequem, da ist nicht mal eine winzige Kante oder Ecke, von Anfang bis Ende genießt man hier ein ganz toll gestaltetes Lutschbonbon, das mir in seiner Wolldeckentextur und Schlussfloralität richtig viel Spaß macht.

Gerade dieser letzte Gedanke bringt mich dazu, einen einfachen Klassiker für den Cask Grande aus der Truhe zu holen. In meiner Cocktailliste finden sich zwei Drinks mit dem Namen French Connection; hier meine ich die bekannte Variante, die einfach nur aus Weinbrand und Amaretto besteht. Sicherlich eine süße Mischung – mit einem leichteren Amaretto wie zum Beispiel dem Adriatico Roasted Almonds wird das etwas abgemildert.

French Connection #1 Cocktail

French Connection #1
2 oz Cognac
1 oz Amaretto
Auf Eis rühren.

[Rezept nach unbekannt]


Eine nette Geschichte um das „große Fass“, das auf der Weltausstellung 1900 in Paris eine Goldmedaille erhalten hatte, wird als Namensinspiration für diesen Weinbrand erzählt. Sicherlich etwas, worauf man durchaus stolz sein darf, und wenn das Fass auch heute noch in Benutzung ist (in welcher Funktion auch immer, so detailliert ist die Story dann doch nicht), dann bin sogar ich geneigt, meine Skepsis gegenüber derartigen Marketinglegenden etwas zurückzuhalten.

Die Dekanterflasche mit Holzstopfen passt sehr gut zum Inhalt; das hübsch gestaltete Etikett wirkt irgendwie aber mit seinem blauweißen Schriftbild etwas griechisch auf mich, so rein von der Atmosphäre her. Auch die babylonische Sprachverwirrung des Etiketts missfällt mir etwas, diese doch sehr unnötige wilde Mischung aus englisch, französisch und deutsch hätte man sich sparen können. Mir ist klar, dass man gleichzeitig sowohl den internationalen Markt ansprechen (englisch), als auch den französischen Ursprung und eine qualitative Nähe zu Cognac implizieren will, das ganze untermauert mit deutscher Tradition – doch im Endeffekt erreicht man halt, dass der Konsument nicht so wirklich weiß, was er zu erwarten hat, wie es mir auch ging. Und das ist schade, denn der Cask Grande hat soviel zu bieten, dass er das alles nicht nötig hat.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

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