Neulich hat mich meine Freundin Lala Noguera, die in Mexiko gleichzeitig für Frauenrechte und Agave-Spirituosen kämpft (beides hängt enger zusammen, als man auf den ersten Blick denken mag), mit einem Post bei Facebook überrascht. Unterschiedliche Typen von Agavenbränden, ja, dachte ich mir, auch wenn sie nicht so bekannt sind, so kenne ich doch Mezcal, Tequila, Sotol und Bacanora vom Geschmack her, und Raicilla steht auf der Liste der zu probierenden Unbekannten. Die sechste Spirituose war es, die mich verblüffte: La Charanda, ein GI-geschützter Zuckerrohrbrand aus Michoacán. Da musste ich gleich nochmal auf der Flasche des mexikanischen Rums, den ich zu Hause habe, nachschauen, ob das nicht zufällig ein La Charanda ist.
Doch nein, der Paranubes Rum Aguardiente de Caña gehört nicht zu dieser Kategorie, denn er kommt aus Oaxaca (noch genauer Huautapec, noch genauer Río Tuerto) und nicht aus Michoacán. Es ist also ein Rum, oder ein Aguardiente (so bezeichnet man in verschiedenen Ländern einen Proto-Rum oder aber ein generisches „Feuerwasser“, das man nicht unbedingt deutlicher kategorisieren will), das Etikett will sich diesbezüglich nicht festlegen. Das Produkt passt zumindest besser in die Rumkategorie als viele Spirituosen, die sich nicht drum kümmern, was einen Rum eigentlich ausmacht. Man macht also nicht nur Agavenbrände in Mexiko, das hätte mich auch irgendwie überrascht. Man sieht, immer wieder neue, spannende Themen – die Vernetzung lässt einem kaum Ruhe beim Entdecken, man muss nur offenen Auges durch die Welt gehen. Und mit interessiertem Gaumen, dem ich diesen Zuckerrohrbrand nun zuführen werde.
Der mexikanische Rum ist ungereift, völlig klar und ohne Einschlüsse oder Trübung. Im Glas ist eine leichte Viskosität erkennbar, mit dadurch dick und langsam ablaufenden Beinchen. In einer Blindverkostung hätte ich vermutet, dass es sich hier um eine Cachaça handelt – sehr fruchtig, schwersüß, grünaromatisch mit vielen Noten von frisch gemähtem Heu, Gewächshaus und vergorener Frucht. Etwas Kalk, und eine aufs zweite Riechen doch deutlich erkennbare und auch leicht zwickende Methanolkomponente.
Im Antrunk sehr süß, auch hier entsteht zunächst die Assoziation zu Cachaça. Die Süße ist natürlichen Ursprungs, eine Hydrometermessung meinerseits hat 0g/L Zusätze ergeben. Cremig und sehr schwer, mildbitter, im Verlauf entsteht dazu eine gewisse Säure. Viele Aromen von Zuckerrohr, Gras, Kandiszucker, Honig. Beeren und etwas Ananas, dazu ein Anflug von Dill und Kümmel. Die Blaubeerennote wird gegen Ende stärker, auch der Wandel hin zu einer fast schon staubigen, astringierenden Trockenheit. Trotz der bissigen Nase ist im Mund der Alkoholgehalt von 54% zwar spürbar, aber viel runder eingebettet. Eine fette Textur mit einiges an Salzigkeit ergibt ein tolles Mundgefühl mit viel Volumen.
Der Abgang ist sehr trocken, dennoch süß auf der Zunge. Heiß, eher kurz, mit einem nachhallenden Eisenton. Das Feuer bleibt vom Effekt her lange an Gaumen, Zunge und im Rachen. Ein hochinteressantes Produkt. Es passt sich in die kleine Lücke zwischen Rhum Agricole und Cachaça ein, ist für mich aromatisch näher an letzterem. Wäre der etwas enttäuschende Abgang etwas interessanter, könnte der Paranubes mich voll überzeugen. Dennoch einer der wenigen ungereiften Rums, die ich mir auch pur eingießen würde.
Letztlich wird dieser Mexikaner aber wohl hauptsächlich in Cocktails landen, die nach weißem Rum verlangen. Oder nach Cachaça. Gerade diese Spannbreite, die der Paranubes aufmacht, sorgt für interessante Twists in Drinks, die von etwas mehr Charakter profitieren können – ich denke hier hauptsächlich an Tiki-Drinks, die mit laschem Rum ansonsten verkümmern. Der Three Dots and a Dash ist ein Beispiel dafür.
Three Dots and a Dash
1½ oz ungereifter Rhum Agricole
½ oz gereifter Demerara-Rum
1 oz Orangensaft
1 oz Limettensaft
½ oz Honig
½ oz Falernum
¼ oz Allspice Dram
4 Spritzer Bitters
Auf Eis shaken. Auf Crushed Ice und mit 3 Cocktailkirschen am Spieß servieren.
[Rezept adaptiert nach Don the Beachcomber]
Ungewöhnlich ist neben dem Produkt selbst auch die Verpackung – eine Literflasche mit Plastikschraubverschluss sieht man nicht allzu häufig. Als besonders angenehm empfinde ich das dezente Etikett, das statt auf billige Protzigkeit auf Informationen setzt. Hier erfährt man beispielsweise den Namen des Master Distillers, dass der Rum aus Saft der Zuckerrohrarten Típica, Dura, Negra und Criollo hergestellt wird, indem er in einem Gefäß aus Pinienholz mit wilden Hefen fermentiert und dann in einer Column Still mit 6 Platten destilliert wird. Soviele Infos findet man höchst selten auf Etiketten, das finde ich extrem lobens- und nachahmenswert. Ich habe sogar noch weitere Informationen gefunden, nämlich dass vom Baum abgeschälte Mesquite-Rinde in einem Erdloch zu einem „Tee“ gekocht wird, was Enzyme freisetzt, die dann als Fermentationsstarter für die 2-tägige Fermentation, die nur alle 4 Monate neu gestartet wird und in der Zwischenzeit vor sich hin fermentiert und aus der immer nur die Hälfte für einen Destillationsbatch entnommen wird, dienen.
Die Erfahrung mit dem Paranubes Rum macht mich neugierig auf weitere typische Spirituosen aus Mexiko, die man hierzulande nichtmal vom Namen her kennt. Vielleicht gelingt es mir, irgendwie an einen La Charanda heranzukommen, um ihn dann mit dem Paranubes zu vergleichen. Wenn das gelingt, sind die Leser meines Blogs die ersten, die davon erfahren.
Nachtrag 08.04.2021: Ich habe das Glück gehabt, von tequila-kontor.de, meinem Tequiladealer der Wahl in Deutschland, ein Sample des extrem limitierten (220 Flaschen weltweit!) Paranubes Añejo bekommen zu können. Dem Rum wurden 18 Monate Ruhedauer in Fässern aus französischer Eiche spendiert, danach hat man ihn mit 54,8% abgefüllt. Alles, was ich über den ungereiften Paranubes gesagt habe, trifft auch hier zu – eine tolle Salzigkeit, viel Kümmel und Gewürze, eine attraktive Textur und, das ist das Spannende, die Trockenheit und Wildheit des Rums wurde durch die Fassreifung tatsächlich etwas eingebremst. Während man immer noch die Struktur des Originaldestillats erkennen kann, wird sie durch feine, würzige Vanille- und Zimtnoten etwas sanfter gemacht. Ich bin echt schwer beeindruckt, was aus diesem Brand durch die Reifung geworden ist. Ich hoffe auf mehr davon aus Mexiko!