Manchmal braucht man einen Pionier, um mit einer kleinen Gruppe von Leuten einen Weg ins Inland zu schlagen, auf dem dann Siedler und ihre Familien mit weniger Mühe folgen können. Das galt historisch für die menschliche Besiedlung von neuen Regionen, viele Pflanzen und Tiere machen es ebenso. Und auch bei Spirituosen kann man ohne weiteres etwas ähnliches beobachten.
Ein einfaches Beispiel: Je mehr Tequilas es schaffen, sich in Deutschland zu platzieren, um so mehr Chancen haben auch dazugehörige Nischenprodukte oder Subkategorien, sich im Fahrwasser anzuhängen. Neulich hatte ich so etwas im Glas, einen Tequila, in dem Agavenfruchtfleisch mazeriert wurde – ein tolles Erlebnis. Heute stelle ich ein zweites derartiges abgeleitetes Spezialprodukt vor. Der Sierra Milenario Fumado Blanco Tequila weist als Besonderheit auf, dass er geräuchert wurde, und zwar über mexikanischem Mesquite-Holz. Da aktuell der rauchige Verwandte des Tequila, der Mezcal, sehr beliebt ist, fragt man sich: Wird hier vielleicht das beste aus zwei Welten miteinander vereint? Oder ist das Räuchern nur ein Gimmick?
Die Farbe eines Blancos steht selten zur Diskussion, auch hier besteht nicht die Gefahr, dass Trübungen oder Einfärbungen die namensgebende Farbe beeinträchtigen. Auch der Räucherprozess hat offensichtlich keinen Einfluss darauf. Die Konsistenz gefällt durch eine gewisse Schwere, Beine laufen langsam am Glas ab.
Der Geruch des Sierra Milenario Fumado ist sehr markant. Sehr „grün“, das mag ich an Tequilas grundsätzlich gern. Vegetal und pflanzlich, mit viel Agavenhintergrund. Eine milde Süße deutet sich an, da ist, auch ohne Holzreifungseffekte, etwas Vanille und Karamell. Ein Hauch von Rauch deutet sich an, ohne aber, wie bei Mezcal, direkt sehr dominant zu werden.
Im Geschmack kommt dann der Gedanke doch auf, dass wir hier einen Mezcal vor uns haben könnten, wüsste man es nicht besser. Der Räucherprozess sorgt für einen starken, aber nicht überwältigenden Rauchcharakter – wer einen „Mezcal Light“ probieren will, ist hier genau richtig. Eine cremige, feine Süße bildet die Unterlage für einen wuchtigen Agavenkörper. Ich danke dem Hersteller für die Einstellung auf 41,5% – weniger dürfte es nicht sein, der vorhandene Alkoholgehalt ist nahezu ideal für diese Spirituose. Da ist eine leichte Mineralität (oder, wie ich gern sage, „Aquariumkies“), und ein Anflug von Fenchel und Rosmarin. Mir gefällt diese Komplexität sehr gut; wie bei den meisten weißen Qualitätstequilas fehlt einem, im Gegensatz zu vielen anderen weißen Spirituosen, nie die Reife, selbst wenn er nicht gereift ist – der Sierra Milenario Fumado wirkt trotz seines jugendlichen Alters sehr erwachsen und rund, kann ohne jede Mühe als „Sipper“ durchgehen.
Der Abgang ist extrem weich, dabei aber vergleichsweise trocken, mit schöner, milder Wärme und herrlicher mildpfeffriger Würze. Die mineralische und pflanzliche Komponente bleibt, auch wenn der Abgang selbst eher kurz ist, noch eine Weile am Gaumen.
Oh, das ist ein Tequila, der mit dem von mir vielgescholtenen Sierra Mixto rein gar nichts mehr zu tun hat – im Gegenteil, das ist ein wunderbares Produkt mit viel Herz und Verstand. Gerade die deutlichst erkennbare Nähe zu Mezcal, ohne dabei seine Tequilawurzeln aufzugeben, machen den Sierra Milenario Fumado extrem spannend und zu einer meiner neuen Lieblingssorten. Man sollte ihn als Tequilafreund definitiv probieren.
Ich konnte es entsprechend kaum erwarten, diese Spirituose auch in einem Cocktail unterzubringen. Eine Paloma ist ein herrliches Sommergetränk, herb und frisch. Mit einem kleinen Schuss Lavendelsirup, dann eben als Lavendel-Paloma, wird sie noch aromatischer und sommerlicher; der Fumado gibt dem ganzen schließlich als Krönung eine hintergründige Rauchigkeit, die für Komplexität und Spannung sorgt.
Lavendel-Paloma
3 oz Grapefruit-Saft
2 oz Tequila Blanco
½ oz Lavendelsirup
Auf Eis shaken.
[Rezept nach unbekannt]
Die neuen Flaschen, die die Destilerías Sierra Unidas, S.A. de C.V. (NOM 1451) für ihre Milenario-Reihe benutzen, gefallen mir sehr. Sie liegen gut in der Hand, machen einen wuchtigen und wertigen Eindruck, insbesondere mit dem Holzdeckel des Kunststoffkorkens, der umgehängten Kordel in der grauen Sortenfarbe und dem kleinen Metallanhänger. Es ist chi-chi, ja, doch hin und wieder lasse ich mich davon einnehmen, auch wenn es eigentlich unnötig und ablenkend ist.
Kurz will ich noch die Etikettierung ansprechen. Am Hals steht in einer Banderole „Concrete Jungle Luxury“, das müsste mir mal erklärt werden – im Gegensatz zu obiger, offensichtlicher, harmloser Augenschmeichlerei ist das völliger Quatsch, der abgestellt werden sollte. Mir missfällt auch etwas die Gestaltung des Rücketiketts, die sich an handausgefüllten Vordrucken orientiert; hier ist aber nichts handausgefüllt, selbst die Flaschennummer ist (nachträglich) aufgedruckt. Ein Täuschungsmanöver, ebenso wie der Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass hier tonnenweise Informationen abgedruckt seien. Das übelste ist die Vermischung von wertvoller Information, wie die Erwähnung der Agavenherkunft (Los Altos, also Hochland), der Destillationsmethode (zweifach im Kupfer-Pot-Still) und des zur Reifung verwendeten Holzes (wobei „Mexican Wood“ auch nicht gerade wirklich sehr erleuchtend ist), mit Marktinggeblubber und nutzloser Pseudoinformation („Quality: The Crocodile, Imix“? „Mayan Sign“?). Bei einem ernstzunehmenden Produkt ist diese Art von schwalliger Übermütigkeit und schlechtem Storytelling unangebracht – und es lenkt vom wirklich herausragend guten Inhalt ab, was ich schade finde. Wenn diese Kritikpunkte noch aus der Welt geschafft werden könnten, hätten wir mit dem Sierra Milenario Fumado ein völlig uneingeschränkt empfehlenswertes Produkt; aber auch so lege ich ihn jedem Tequila- und auch Mezcalfreund definitiv ans Herz.
Ein Kommentar zu “Heimlicher Raucher – Sierra Milenario Fumado Blanco Tequila”