Beipackzettel von Medikamenten sind verwirrend und schwer zu lesen. Da denkt man sich manchmal – geht das nicht einfacher? So wie eine Bierdeckelsteuererklärung oder ein Schnapsflaschenetikett? Auf so einem Flaschenetikett ist immer alles wichtige vorhanden, in klar lesbarer, verständlicher und eindeutiger Form. Denkt man.
Das Etikett dieses chilenischen Pisco, also eines Traubenmostbrands, sorgt für wildere Verwirrung, als es ein Beipackzettel je leisten könnte. Der spanische bestimmte Artikel „el“ steht leicht seitlich versetzt, und da sowohl „pisco“ als auch „gobernador“ maskulin sind, kann er für beide gelten. Das führt dazu, dass manche Shops und Rezensenten diesen Artikel unter Pisco ‚El Gobernador‘, und manche ihn unter El Pisco ‚Gobernador‘ führen. Das Rückseitenetikett bestärkt die zweite Lesart, doch dies ist vom deutschen Importeur hergestellt, und damit nicht aus erster Hand bezeugt.
Der Hersteller selbst scheint sich unsicher zu sein und hält sich manchmal an die erste Schreibweise und nennt ihn auf seinen Internetseiten und in einem Werbevideo Pisco El Gobernador, aber manchmal auch nur Pisco Gobernador, als dritte Variante.
Persönlich neige ich dazu, die Schreibweise Pisco ‚El Gobernador‘ zu bevorzugen und für die richtige zu halten; ich zweifle nur geringfügig, und zwar nur aus dem rein legalesischen Grund, den man auch bei einem Scotch beobachten kann. Der mengenmäßig größte Hersteller von Scotch nennt sein Produkt nämlich nicht einfach nur Glenlivet, sondern The Glenlivet (das geschieht, um den Namen schützen zu können). Vielleicht liegt hier etwas ähnliches vor? Gibt es mehrere Produkte, die sich „Pisco Gobernador“ nennen wollen, und aus markenrechtlichen Gründen ist der Pisco von Hersteller Miguel Torres eben „der“ Pisco Gobernador? Ich weiß es nicht. Schütten wir uns ein Glas davon ein, um zu überprüfen, ob sich all die Recherchemüh überhaupt lohnt.
Die Farbe ist, wie schon in der Flasche erkennbar, glasklar. Leichte Viskosität sorgt für Beine beim dezenten Schwenken. Der Geruch ist sehr hopfenfruchtig – das überrascht mich erstmal. Das geht schon extrem stark in Richtung eines IPA. Süßkirschen, Himbeeren und Bitterorangen liegen im Vordergrund. Ein malziger Unterton gibt dem ganzen etwas Tiefe. Präsent ist aber auch eine dezente Ethanolfahne, die mit der Zeit verfliegt.
Im Mund liegt der Pisco erstmal sehr seidig und weich. Aromahopfen und Malz, Honig und würziger Kandiszucker. Das muss ich einfach wiederholen, weil es so offensichtlich ist: Ein idealer Partner für ein Herrengedeck mit einem West Coast IPA. Kirschen und Marillen. Etwas Bitterorange. Viel voluminöser Körper, mit einem dichten Geschmacksbild. Warm und rund, erkennbar alkoholisch, dabei aber ohne jedes Beißen oder Zwicken.
Noch ein Hinweis auf das mit Fachbegriffen nicht sparende Etikett, wenn wir schon beim Alkoholfeuer sind: Reservado ist eine Kennzeichnung für chilenischen Pisco mit 38-40%. Hier haben wir mit 40% erfreulicherweise die obere Grenze touchiert. Die verwendete Traubensorte ist Moscatel.
Im Abgang entsteht ein leichtes Feuer, heißblütig rinnt der südamerikanische Schnaps die Kehle hinunter, und lässt dabei eine Spur der Glut zurück. Das ist ganz und gar nicht unangenehm, denn solange kein Kratzen dazukommt, ist Feuer in Spirituosen etwas zumindest für mich sehr erstrebenswertes. Das Feuer des El Gobernador ist tatsächlich fein und edel. Die Hopfennoten bleiben noch lange am Gaumen. Eine wirklich herausragende Spirituose, viel aromatischer, attraktiver und spannender als der von mir schon früher verkostete peruanische Konkurrent Barsol Quebranta.
Gerade die herausragend hopfenfruchtigen Eigenschaften dieses Pisco machen ihn zu einer idealen Zutat für Biercocktails. Alternativ passt er natürlich entsprechend fantastisch zu anderen Fruchtlikören, wie im Hiram Bingham – hier kombiniert der El Gobernador sich herrlichst mit Aprikosenlikör, und bietet damit eine perfekte Unterlage für die säuerlich-minzigen anderen Aromen.
Hiram Bingham
6 Blätter Minze
1½ oz Pisco (z.B. Pisco El Gobernador)
1 oz Aprikosenlikör
1 oz Limettensaft
¼ oz Zuckersirup
3 Spritzer Old Time Aromatic Bitters
Diese Zutaten auf Eis shaken. Dann toppen mit…
1 Schuss Sekt (z.B. Wolfberger Crémant)
[Rezept nach Jay Crabb]
Ich habe für die 700ml-Flasche in einem lokalen Weltladen 23€ bezahlt – ein sehr gutes Preisleistungsverhältnis, meine ich. Abgesehen von der Qualität in der Flasche gibt es aber auch von der Präsentationsseite her, bis auf das Artikelverwirrspiel, nichts zu meckern – eine hübsche, ungewöhnliche Flasche, schön designte Etiketten. Und über all diese positiven Punkte hinaus, ist dieser Pisco aus Chile auch noch ein Fair-Trade-Produkt, das versucht, allen am Herstellungsprozess beteiligten einen ehrlichen Anteil des Gewinns zuzuführen und sie nicht auszubeuten. Gerade Spirituosenproduzenten sind manchmal schlimme Finger, wie die grausame Behandlung von Zuckerrohrerntern beim nicaraguanischen Rumbrenner Flor de Caña zeigt, und wir sollten alle hin und wieder einen Blick hinter die Kulissen unseres liebsten Lasters werfen und darüber nachdenken, welche Art von Produktion wir durch Kauf unterstützen wollen.
Ich glaub ja die verschobene Position des Artikels hat direkt proportional mit dem Piscokonsum der Hersteller zu tun. Ich wollte irgendwann mal „Tod in den Anden“ von Vargas Llosa besprechen, weil da so ein göttliches Loblied auf den Pisco gesungen wird. Müsste mich eigentlich mal nach ner Pulle umsehen…
Der El Gobernador hat jedenfalls einiges an Gesangspotenzial zu bieten, das kann ich Dir garantieren. :)