Die Strategie, wie man ein Bier an den Mann bringt, wird heutzutage immer wichtiger. Mit den langweiligen Mitteln, die die Biergroßindustrie seit Jahrzehnten sehr erfolgreich und höchstrepetitiv anwendet – man präsentiert lustige, fröhliche, coole und sympathische Leute, die das eisgekühlte Bier bewundernd anschauen, nachdem sie einen Schluck gezogen haben – braucht man dem wahren Bierkenner nicht zu kommen, im Gegenteil. Der Craftbierfreund wird durch übermäßige Werbung und ein künstlich von einer Agentur erzeugtes Image eher abgeschreckt. Klein aber fein ist das Motto der Stunde, spartanisch aufgemacht, ohne Siegeletiketten mit Blattgold, ohne Fernsehwerbespots, ohne aufdringliche Attitüde: Das Bier soll für sich sprechen.
Dann gibt es aber auch die kleineren Hersteller, die dann doch wollen, dass nicht nur das Bier was hermacht, sondern auch die Verpackung; etwas, das die Rügener Insel-Brauerei meiner Meinung nach sehr gut macht. Oft wird Marketing mit Trickserei und Rosstäuscherei gleichgesetzt, aber das liegt nur daran, dass viele das Marketing missbrauchen, um ihre minderwertigen Produkte in ein positives Licht zu rücken. Bei der Insel-Brauerei dient das Produktmarketing tatsächlich als Plattform, um zu erklären, was sie tun, wie sie es tun und warum – ein Beispiel dafür sind die vorbildlichen, großformatigen Aushänge, die der Brauer seinen Händlern zur Verfügung stellt.
Der Braumeister der Rügener Insel-Brauerei, Markus Berberich, war 16 Jahre Geschäftsführer von Störtebeker (siehe Meiningers Craft 02/2016, das einen spannenden Artikel über Beginne und Zukunft dieser Kleinbrauerei präsentiert); das Unternehmen, das sich zumindest in meiner Region so plötzlich von heute auf morgen stark plakativ in Supermärkten präsentierte, ist also kein Startup eines Spinners, sondern eines erfahrenen Branchenkenners. 12 Biere bietet die maritime Brauerei zur Zeit an, unterschiedlichste Bierstile, vom Dubbel über ein Stout bis zum Saison ist alles im Angebot, was das Bierfreundeherz erfreut.
Für die heutige Verkostung habe ich mir eines der ungewöhnlicheren Biere aus dem Sortiment gefischt. Das Rügener Insel-Brauerei Seepferd.
Farblich ist das Meeresross klar und glänzend, keinerlei Trübung. Darauf zu achten fällt aber erstmal schwer, denn die sehr extreme Schaumbildung beim Eingießen erfordert alles an Konzentration – Vorsicht ist geboten. Dieser Schaum ist großblasig und volatil, sobald die starke Perlage, die wahrscheinlich durch die Flaschengärung bedingt ist, etwas nachlässt, sinkt er gemächlich in sich zusammen.
Ist die Farbe noch kein Indikator für das folgende, so macht der Geruch bereits Appetit auf mehr: Erkennbar säuerlich, zitronig, Fruchtsäure wie bei einer Berliner Weissen mit einem Schuss Waldmeister. Wenn ich einen leichten Anklang von Reinigungsmitteln erwähne, hört sich das vielleicht unangenehmer an, als es ist.
Auf jeden Fall bekommt man Lust, vom Seepferd zu trinken. Und, so leid es mir tut, den Pessimisten in mir zu enttäuschen, das Warten während des Schaumabbaus hat sich gelohnt: Sehr zitronig und säuerlich. Schon beim Meerjungfrau desselben Brauers hatte ich Essignoten ausgemacht; diese finde ich auch im Seepferd wieder, aber im Gegensatz zu seinem fischweiblichen Gegenpart nicht ganz so extrem. Hier ist noch klarer Biercharakter vorhanden, den ich beim Meerjungfrau etwas vermisste. Ergänzt wird das Bild durch einen sehr würzigen Beigeschmack, der besonders im Abgang hervorkommt: Herrlich nach kräftigem Malz und vollwürziger Gerste. Trocken und leicht bitter – ein wirklich außergewöhnlich leckerer Abgang. Fantastisch erfrischend und süffig, das trinkt sich erstklassig.
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Die Bezeichnung „wildsauer“, die sich auf dem Etikett findet, ist durchaus passend. Als Bierstil wird „Sour Ale“ angegeben, was den Charakter gut wiedergibt, allerdings eher eine Stilfamilie als ein Stil ist. Wer ein vergleichbares Bier erwähnt haben möchte: Es erinnert deutlich an Berliner Weisse oder Gueuze. Mit 5,5% Alkohol muss man bei der guten Trinkbarkeit und dem Erfrischungspotenzial sehr aufpassen, dass man sich nicht beim Wegziehen übernimmt.
Pur getrunken erfreut mich das Seepferd sehr; auch als Cocktailzutat macht es was her. Die körpervolle Säure hat so einiges zu bieten. Ein wirklich sehr passender Cocktail für dieses Bier ist der (zugegebenermaßen etwas fantasielos benamte) The Unnamed. Er zeigt zwei Dinge: Wie lecker die Kombination von Whiskey und Bier ist, und wie schön eine Schichtung im Glas aussieht, besonders wenn man das Glas etwas bewegt und die Schichten dann gegeneinander wabern.
The Unnamed
1 oz Rye Whiskey (z.B. 1776 Rye)
1 oz Kirschlikör (z.B. Cherry Heering)
1 oz Holunderlikör (z.B. The Bitter Truth Elderflower Liqueur)
¾ oz Zitronensaft
mit hellem Bier (z.B. Rügener Insel-Brauerei Seepferd) aufgießen
2 Spritzer Grenadine
[Rezept nach unbekannt]
Eine schöne Sache ist, wenn man Bier in unterschiedlichen Dosierungsgrößen kaufen kann. Die Insel-Brauerei bietet für Ausprobierer die kleine Flasche mit 330ml an, und für Leute mit besonders schlimmem Durst die große Flasche mit 750ml. Da die große Flasche bei meinen Einkäufen immer genau doppelt so viel kostete wie die kleine, bekommt man mit der größeren Flasche also ca. 90ml obendrauf. Das Design ist aber identisch, auf der großen Flasche haben die schönen Etikettenillustrationen einfach ein wenig mehr Raum zur Entfaltung.
Die Biere der Insel-Brauerei Rügen sind sehr unterschiedlich von Stil und Geschmack. Nachdem ich nun eine größere Anzahl durchprobiert habe, kann ich sagen, dass mir das Seepferd (und, wenn man mutig ist, die Meerjungfrau) klar am besten gefällt – es ist unkonventionell, erfrischend und überraschend und sichert sich so einen Platz in den Top 5 meiner Lieblingsbiere. Solange es die Rügener Biere in meinem Supermarkt zu kaufen gibt, werde ich immer mindestens eine Flasche des Seepferds in meinem Bierregal vorhalten, denn gerade im schwülwarmen Sommer ist so ein wildsaures Bier eine Wohltat und ein Genuss.
Mensch das kommt ja unweit meiner Heimat her. Das sollte ich mir für meinen Blog in die Pipeline legen. Klasse geschrieben übrigens. Beste Grüße