Seit ich die Stadt Tequila während Spirits Selection 2025 besucht habe, sehe ich Tequila nochmal mit anderen Augen – es verändert viel, wenn man den ganzen Produktionsprozess von der Pflanze bis zur Flasche mal miterlebt hat, zumindest geht es mir so. Es entsteht ein viel direkteres Verständnis über die sonst so trockenen Fakten, und eine gewisse Bindung an die Spirituose bildet sich – nicht, dass ich die für Tequila zusätzlich gebraucht hätte, das ist immer schon eine Herzensangelegenheit für mich gewesen. Gerade in Deutschland, dem zweitgrößten Exportmarkt für Tequila weltweit, besteht aber immer noch sehr viel Informations- und Produktbedarf, wie ich immer wieder feststellen muss. Um so schöner, dass sich mutige Unternehmer finden, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, mehr Stoff nach Deutschland zu bringen, so wie Lilián und Bastian Weller von Tequila Nueve.
Es gibt diese Brände aus der Destiladora del Valle de Tequila (NOM 1438) schon länger (unter dem Namen Nueve B), vor sehr kurzem fand aber ein Rebranding statt, und passend dazu stelle ich heute die neu aufgelegten Tequila Nueve Blanco, Añejo und Añejo Cristalino vor. Die Herstellungsweise für Tequila sollte meinen Lesern inzwischen wohlbekannt sein – die Agaven werden kultiviert geerntet und von den stacheligen Blättern befreit (es war spektakulär, einen Jimador direkt vor Ort dabei zu beobachten, wie elegant das abläuft!), die piñas dann in Ziegelöfen 54 Stunden gekocht. Nach der Zerkleinerung mittels Walzenmühle folgt die offene Gärung, Edelstahltanks werden hier verwendet, über 60 Stunden. Anschließend wird doppelt in Kupferbrennblasen destiliert. Abgefüllt wird dann mit für Tequila durchaus üblichen 38% Alkoholgehalt. Die Brennerei ist neben dem Tequila Nueve auch für andere Tequilabrands verantwortlich, darunter auch für den von mir in seiner ganzen Verrücktheit und Seltsamheit sehr gemochten Sparkle Donkey. Ich hoffe hier auf ein anderes Erlebnis, etwas weniger abgefahren und dafür mehr seriös – mal schauen, was die Geschmacksprobe nun bringt!
Natürlich beginnen wir mit dem Tequila Nueve Blanco. Der optische Eindruck zuerst: Klar und ohne Einschlüsse, mit sehr erkennbarer Öligkeit, mit der der Tequila im Glas schwappt und dabei dicke Beine hinterlässt.
Der Duft ist direkt erfreulich, überraschend grün und vegetabil wird die Nase angesprochen, da merkt man viel frische Agave, die wirklich gut ausgeprägt und noch nicht gekocht oder karamellisiert wirkt, das finde ich an sich schon großartig und habe ich in dieser Konsequenz nicht übermäßig oft gerochen. Das hat fast schon was von Mezcal, leichte Nebentöne von Rote Beete, Artischocke und Olive zeigen weiterhin die klar pflanzliche Natur dieses Tequilas. Ein Hauch Plastik geht mit einem Touch Zitruszeste einher und erzeugt weitere Komplexität. Später kommen auch noch Thymian, Salbei und etwas Basilikum dazu, dieser herbale Aspekt komplettiert ein insgesamt extrem grünes Bouquet, das mir wirklich sehr gut gefällt und sich klar von vielen anderen Tequilas abgrenzt.


Die Textur repliziert am Gaumen den Eindruck, den man vom Auge her hatte, sehr rund und ölig, breit und dicht. Auf dieser Basis bauen sich direkt diese grünpflanzlichen Aromen auf, volle Agave, dazu sehr ausgeprägt Artischocke und grüne Olive, gewürzt mit etwas Rosmarin und Thymian. Dazu bildet sich schnell eine deutliche Salzigkeit heraus, die mit der schweren Süße wunderbar spielt. Gegen Ende dreht sich das Geschmacksbild etwas mehr zu dunkleren, herberen Noten, leicht holzig wirkt das dann, und ganz stark drängt sich Kakao und Kaffeebohne nach vorne, wirkt hier nun sehr dunkel. Der Abgang ist mittellang, pikant aber nicht scharf, weiterhin deutlich salzig und nun auch noch mit Umami versehen – dies alles sorgt für ein wirklich spannendes, erwachsenes und voll ausgebildetes, leicht gewürziges Mundgefühl, das den Tequila wuchtig ausklingen lässt.
Damit hätte ich ehrlich nicht gerechnet – ein wirklich starker Tequila, ungewöhnlich in seiner Kraft und Direktheit, aromatisch und sensorisch spannend und unterhaltsam. Von diesem Stil würde ich tatsächlich gerne mehr sehen, statt all der komplett abgeschliffenen, von jeder Kante befreiten und damit dem Massengeschmack angepassten Brände, die man sonst so oft findet.
Wenden wir uns dem Tequila Nueve Añejo zu. Die 2 Jahre im Ex-Bourbon-Fass haben ihre Spuren hinterlassen, ein leicht blasses Sonnenblumengelb zeugt davon. Man sieht beim Drehen des Glases eine leichte Viskosität, lebendig bewegt sich der Brand im Glas und hinterlässt dabei dünne Beinchen an der Glaswand.
Der Duft ist noch stärker durch das Ex-Bourbon-Fass beeinflusst als die optische Erscheinung, initial hat man einen starken, holzigen und karottigen Bourboneindruck, mit etwas Zimt dazu. Eine deutliche Vanillepuddingnote erscheint zusätzlich, cremig und süßlich, und etwas rotbackiger, überreifer Apfel. Die Agave ist deutlich unter Druck dieser kräftigen Reifungsaromen, das ist klar, man muss sie etwas suchen, wie bei fast allen Añejos; ein paar Töne von Erdnuss wirken dann aber wieder sehr typisch für diesen Stil. Insgesamt drängt sich der Geruch nicht wirklich aktiv auf, bleibt dafür klar und stilsicher.


Am Gaumen findet man erstmal eine zarte Cremigkeit vor, eine weiche und runde Textur dehnt sich schnell aus. Kühl und süß, das fühlt sich im Mund initial wirklich gut an. Im Verlauf dreht der Nueve Añejo dann aber deutlich, wird hitziger, würziger, und dabei auch trockener. Nussige Aromen erscheinen, Pekannuss und dahinter Erdnuss, mildfruchtige Eindrücke von getrockneter Aprikose und gedörrtem Apfel blitzen auf. Vanille ist beständig dabei. Der Abgang wird dann fast ein bisschen scharf, der nun erkennbar fehlende Körper kann die Weißpfeffrigkeit nicht auffangen, es brennt an Zunge und Gaumen, und dies definiert dann schließlich auch den Nachhall, an dem nun nochmal Erdnuss, leicht florale Töne und etwas Mais nachklingen.
Añejo ist für mich grundsätzlich eine schwierige Kategorie, da muss alles richtig gut zusammen klappen, um mich zu überzeugen. Hier spürt man ein paar Holprigkeiten, es fehlt an Balance und Integration, und insbesondere der zu leichte Körper, der einfach kein Volumen aufbauen kann, ist ein Stolperstein im Genuss für mich. Letztlich bleibt der Nueve Añejo ein sauber gemachter Tequila, der ein Qualitätsanstieg im Vergleich zu den Gold-Tequilas, die man hierzulande oft bekommt, ist, dabei aber keiner, der für Begeisterung sorgen würde.
Zu guter letzt schauen wir uns noch den Tequila Nueve Añejo Cristalino an. Cristalino als Herstellungsart nimmt deutlich an Fahrt auf, hat sich zu einem sehr beliebten Stil entwickelt, und man sieht bei den Herstellern in Mexiko, dass praktisch jeder einen macht, der auch einen Añejo im Lager hat. Denn das ist ein Cristalino – ein farbentzogener, gereifter Tequila, vielleicht mit dem einen oder anderen Zusatz, der für das cremige Mundgefühl, das man mit diesem Stil assoziiert, sorgt; hier ist das Agavendicksaft. Farblich ist dieser hier jedenfalls trotz 24 Monaten Bourbon-Eichenfassreifung kristallklar und mit ansprechender Viskosität versehen.
Die Nase ist gefällig, mit leichter Erdnussnote und etwas Holz, aber sehr viel weniger als sein noch farbig gehaltener Bruder zuvor. Die Agave ist sichtbarer, etwas, was ich sehr zu schätzen weiß, und für einen Cristalino sogar ausgeprägt, würde ich sagen. Weiterhin sind leichte Puddingeindrücke da, Vanille und Butterscotch, ein bisschen buttriges Croissant. Eine kleine Ethanolschicht stört da dann schon, insbesondere bei dem doch niedrigen Alkoholgehalt sollte das nicht sein. Der Körper fühlt sich in der Nase leicht an, trotz all der süßen Aromen.


Umso angenehmer ist dann das initiale Mundgefühl, sehr weich, sehr cremig, mit schwerer, aber immer noch recht natürlich wirkender Süße, und einem guten Schuss Vanille und Milchcreme versehen. Gleichzeitig spürt man aber eine gewisse vegetabile Herbheit, die die Süße gut abfedern, und dabei die Agave transportieren, die sich im Nueve Añejo Cristalino nicht versteckt. Im Verlauf kommt aus dieser schweren Basis eine pikante Würze, sowohl aromatisch als auch vom Effekt her an Jalapeño erinnernd, die eine mild kontrastierende Trockenheit mitführt. Hier kommen nun auch noch würzigere Geschmäcker dazu, etwas Salzkaramell vielleicht, und getoastetes Brot. Im Abgang verbinden sich alle Aspekte und lassen den Mundraum deutlich prickelnd, und minimalst astringierend betäubt zurück, während sich grüne Agave und feuchtes Holz breitmachen und lange erhalten bleiben.
Ein richtig schöner Cristalino ist der Nueve Añejo Cristalino, das muss ich sagen, sicher einer der besten dieses Stils, die ich bisher im Glas hatte. Die Reise hierher hat sich gelohnt, und wenn ich auch nie ein großer Freund des Stils an sich sein werde, hat man hier doch etwas vor sich, das Genuss zulässt und richtig viel Spaß macht beim Trinken.
Drei Tequilas, ein Cocktail – ich habe mich für den Añejo entschieden, einfach weil ich herausfinden wollte, ob ich ihn dann vielleicht wenigstens im Mixed Drink empfehlen kann, für die anderen zwei besteht das Problem nicht, die sind sowohl pur als auch gemixed sehr brauchbar. Im Passiflora kommen ein paar körperunterstützende Zutaten mit dazu, und da klappt das auch mit dem Añejo gut. Der Cocktail selbst ist eine Fruchtbombe mit herbem Unterbau, nicht so klebrig süß, wie man solche Cocktails sonst serviert bekommt – und der Tequila Nueve Añejo macht hier einen absolut guten Job.
Passiflora
1½oz / 45ml Tequila Añejo
½oz / 15ml Punt e Mes
½oz / 15ml Passionsfruchtsirup
½oz / 15ml Zimtsirup
½oz / 15ml Limettensaft
Auf Eis shaken. Auf Eis servieren.
[Rezept nach Sahil Mehta]
Mir gefällt die Halbliterflasche von den Details im Glas sehr, die Form ist wirklich hübsch dazu. Bei den Etiketten könnte man ein bisschen mehr Achtsamkeit beim Aufkleben walten lassen, die sind teilweise etwas schief und schrumpelig auf der Flasche, aber vom Design her durchaus gelungen und sauber gestaltet, und handeingetragene Batch- und Herstellungsdaten sind immer gern gesehen. Mir gefallen auch die kleinen Sinnsprüche auf dem Rücketikett, die durchaus poetisch etwas über den Inhalt auszusagen haben.
Das Fazit ist für mich: den Blanco sollte man wirklich mal probieren, wenn man die sensorische Spannbreite, die Tequila haben kann, ausloten will; der Cristalino ist handwerklich echt gut gemacht und ein im Vergleich dazu sehr weicher Drink, der aber immer noch die Eigenschaften des Blanco durchscheinen lässt. Den Añejo brauche ich dagegen persönlich nicht wirklich, er fällt etwas aus dem Rahmen, den die beiden anderen großartigen Produkte bilden. Zwei von drei ist aber eine hervorragende Quote, finde ich, und Tequila Nueve hat damit genug Lorbeeren geerntet, um eine Kaufempfehlung von mir zu bekommen – insbesondere für Tequilafreunde, die schon so ein bisschen Vorerfahrung haben und die Eigenheiten zu schätzen wissen können.
Offenlegung: Ich danke Tequila Nueve für die kosten- und bedingungslose Zusendung dieser drei Tequilas.

