Nein, es geht hier nicht um Sherry. „Sherry“ ist eine geschützte Herkunftsbezeichnung für Weine der Region Jerez-Xérés-Sherry in der Provinz Cádiz. Die Region Montilla-Moriles, ungefähr 150km nördlich davon, bei Córdoba, macht schon seit Jahrhunderten einen sehr ähnlichen Stil von fortifizierten Weinen, die man dort allgemeiner „vinos generosos“ nennt, um den geschützten Begriff „Sherry“ zu vermeiden; Weine und Moste aus Montilla werden dabei auch in Großmengen nach Jerez geliefert, um dort daraus dann Sherry zu machen. Der Hauptunterschied zwischen den Weinen dieser andalusischen Regionen ist die Rebsorte – während man in Jerez zu 90% Moscatel und Palomino Fino anbaut, ist Pedro Ximénez die Traube der Wahl für alle fortifizierten Weine der Region Montilla. Sie liebt die trockene, fast aride Umgebung, und dort entwickelt sie genug Zucker, um in einem Wein bis zu 15% Alkoholgehalt entstehen zu lassen – das heißt, man muss sie vor der Abfüllung der unterschiedlichen Ausbaustufen oft überhaupt nicht fortifizieren (mit Neutralalkohol, um den Alkoholgehalt zu erreichen), sondern rein mit dem natürlichen Alkohol belassen.
Ich hatte ein sehr unterhaltsames Gespräch mit Tracy Basset und María Rivero von Montesoro, einer Firma aus der Region Montilla, die mit fortifizierten Weinen und den Fässern, die dafür benutzt wurden, handelt. Sie haben mir freundlicherweise ein Set an Produktsamples zur Verfügung gestellt, die die Region repräsentieren: die Montesoro Tesoros de Montilla. Dazu gehören ein Fino, Amontillado und Oloroso, sowie ein Vino Joven und ein PX. Ich freue mich sehr, diese heute hier vorstellen zu dürfen!
Erstmal aber ein paar Verständnishilfen zu dem Thema. Bei den vinos generosos teilt man in „trockenen“ und „süßen“ Ausbau auf. Der trockene Ausbau entspricht den Stufen Vino de tinaja, Fino, Amontillado und Oloroso; der süße Ausbau endet im PX. Vino de tinaja ist praktisch der Wein, bevor er in den Ausbau geht, er gilt als einfacher Schoppenwein, für den täglichen Gebrauch. Für Fino werden einzelne Moste anhand ihrer Qualität ausgewählt, sie sollten gute Struktur, mit niedrigen Säuregehalten und Tanninen, aufweisen. Diese Moste werden dann unter Schutz vor Oxidation (dazu kommt die Florhefe zum Einsatz) im traditionellen „criadera y solera“-System über Zeit ausgebaut, über das ich hier auf dem Blog schon ein paar mal berichtet hatte. Amontillados sind letztlich Finos, die nach dem Absterben der Florhefe noch oxidativ weitergereift werden. Olorosos werden von Anfang an schon ohne die Decke der Florhefe rein oxidativ gereift. Für den süßen Ausbau des PX werden die Trauben in der Sonne getrocknet, und dann erst ausgepresst. Man kann diesen Wein nach der Fermentation direkt konsumieren, als vino joven der Saison, oder ihn dann noch in Fässern weiterreifen. Vor der Abfüllung wird, wenn nötig, etwas neutraler Branntwein zugegeben, um den Zielalkoholgehalt von 15% zu erreichen. Das war jetzt ein oberflächlicher Schweinsgalopp durch die rudimentärste Theorie – gehen wir zur Praxis über, mit der wir uns etwas mehr Zeit lassen werden. Fangen wir mit den trockenen Varietäten an, und gehen dann zum Süßen über.
Ein bisschen maisgoldene Farbe hat der Montesoro Fino 15 años. Er wirkt im Glas recht lebendig und beweglich, hat nur wenig Viskosität und beim Schwenken kaum Glaswandartefakte. Geruchlich ist der Fino schon deutlich nussig, würzig, mit klaren, aber milden Essigkomponenten und Anklängen von Apfelmost. Verbranntes Fleisch vom Grill, Estragon, Tabak – ein ungewöhnliches, aber spannendes Set an Aromen findet man beim ausgedehnteren Schnuppern. Am Gaumen zeigt sich der Fino initial überraschend umami, was später sogar in deutliche Salzigkeit übergeht. Die Textur bleibt dabei trotz ausgeprägter Säure weich und rund, hier wirkt er viel dunkler als in der Nase. Heu, feuchte Erde, nasses Holz, das sich im Verlauf in Walnuss wandelt, mit einem Anflug von pikantem, schwarzem Pfeffer und etwas Omelette. Der Nachklang ist lang, wieder weiniger, deutlich trocken und herb, mildbitter und astringierend. Ein sehr unterschiedliches Erlebnis zu anderen Finos, die ich bisher probiert hatte, ohne Frage!
Der Montesoro Amontillado 25 años hat im Vergleich zum Fino schon sehr viel mehr Farbe, klares, leuchtendes Kupfer, und auch eine gewisse Schwere beim Schwenken. Die Reste am Glas laufen recht schnell ab, es bleiben einzeln stehende Tropfen zurück wie die Flecken bei einem Leoparden. Die Nussigkeit, die man oft mit Sherry verbindet, ist hier das allererste, was der Nase auffällt, richtig viel Wal- und Macadamianuss, vielleicht sogar ein Ticken Erdnuss und Mandeln, ohne dass es ins Marzipanige übergeht. Dieses letztere wird durch die ausgeprägte Frucht verhindert, Datteln riecht man da, Feigen, überreife Pfirsiche, und diese Überreife geht fast in die Richtung von Banane, eine Esterigkeit, die man sonst eher von Rum und Baijiu kennt. Am Gaumen ist sie auch direkt stark ausgeprägt, so richtig deftig, während sich eine wilde Säure dazugesellt, die zwischen Essig und Apfelwein pendelt. Ein sehr breites Spektrum von leicht salzig über fruchtigsauer bis hin zu erdig und nussigsüß bildet sich da am Gaumen ab, hochkomplex und spannend zu trinken. Im Abgang verrundet sich das ganze noch mehr, die Nüsse blenden nochmal auf, die Säure piekst kurz, bevor ein sehr angenehmes, trockenes Mundgefühl lange nachhallt. Ein kräftiger Amontillado, stark und wild und frech, definitiv kein Altherrengetränk!
Und noch ein bisschen dunkler wird die Flüssigkeit beim Montesoro Oloroso 25 años, das ist klar erkennbar, das stufe ich als Terracotta ein. Dreht man das Glas, bilden sich hier nun echte Schlieren, die ausdauernd am Glas haften und nur extrem langsam ablaufen. In der Nase wird jedem verständlich, warum man diesen Stil Oloroso, also „duftend“, nennt – Milde Nuss und dunkle, schwere Trockenfrucht gehen hier eine wahrhaft duftende Kombination ein. Rosinen, Feigen, ein bisschen Toffee, ein bisschen pflaumige Melasse, und das ganze tief und rund verbunden, das schnuppert sich schon wirklich angenehm. Dennoch ist der Oloroso frisch am Gaumen, die Säure ist deutlich, aber nicht pieksend, die Frucht geschmacklich heller als gerochen. Walnuss und Erdnuss verdrängen die schokoladigen Noten schnell, bleiben dann bis zum Schluss bei uns. Die Textur ist weich, gut rund, ohne wirklich anschmiegsam zu werden, dazu ist er zu sauertrocken, ein Anflug von weißpfeffriger Würze bildet sich im Verlauf heraus, bevor im Abgang auch noch eine ganz elegante, feine Floralität aufbricht, die wunderbar in alles eingebettet ist und die Trockenheit kontert. Ein herrliches Getränk, edel, elegant, dabei voll genug, um noch Kraft durchscheinen zu lassen, ohne sie protzig werden zu lassen. Davon kann ich kaum genug bekommen.
Etwas Neues für mich ist vino joven. Hierbei handelt es sich um „frischen“ Wein, der noch nicht durch die Sherry-Verarbeitung gegangen ist, und man kann hier wunderbar den Weg verfolgen, wie ein PX entsteht – und bereits klar erkennen, dass seine Aromatik und Charakteristik schon früh im noch jungen Wein angelegt ist. Ich betrachte mal den Montesoro Vino Joven cosecha Pedro Ximénez zu diesem Zweck und sehe helles, aber nicht unbedingt blasses Pastellgold mit einer durchaus schweren Viskosität und dicken Schlieren an der Glaswand. Die Nase zieht ähnlich kräftig nach, mit schwerer Traubenfrucht, erdigen, fast schon pferdestalligen Noten, überreifem Pfirsich und Aprikosen; so ganz ohne Helltönigkeit oder Frische, ein tiefer, dunkler Wein, trotz der hellen Farbe. Im Mund kommt zu der Aromatik deutliche Säure, die das Geschmacksbild dann leichter macht, doch es bleibt ein eher schwerer Gesamteindruck, mit milder Trockenheit gegen Ende, wenn auch reife Früchte nochmal aufblenden. Durchaus würzig, lang und mit kräftigem Charakter. Unglaublich spannend und lehrreich!
Der Unterschied zu den vorigen vinos generosos könnte kaum drastischer sein – ich dachte zunächst, die Sampleflasche sei schwarz ausgekleidet, doch es ist wirklich nur der Montesoro PX cosecha Pedro Ximénez darin. Auch beim Schwenken im Glas bildet sich direkt ein dunkelbrauner Film, und selbst beim Gegenlicht bleibt der Körper blickdicht und zeigt nur rotbraune Reflexe am Rand. Der Duft passt dann dazu – das sind pure verflüssigte Rosinen, dazu kommen reife Pflaumen und Melasse, mit Anflügen von Bitterschokolade und Nougat. Bei all den schweren Noten findet sich dann aber auch gleichzeitig eine paradoxe Frische, die das ganze aufhellt. Die Textur ist unglaublich fett, vom Antrunk an legt sich das genauso an den Gaumen wie zuvor im Glas an die Glaswand, und bleibt dann auch eine Ewigkeit so. Der PX ist dann auch so süß, dass es fast unangenehm wird, zwar nicht klebrig, aber doch überwältigend – und trotzdem natürlich wirkend, da sieht man einfach, was die Rebsorte leisten kann, über 400g/L Zucker sind keine Seltenheit bei derartigen Weinen. Rosinen sind der bei weitem alles andere dominierende Geschmackseindruck bis zum Schluss. Das zirpt dann am Ende sogar auf der Zunge, es bleibt unklar, ob das aus der Zuckerwucht oder einer Würze kommt. Der Abgang ist lang, süß, rosinig, und bleibt auch auf den Lippen erhalten, die man aktiv sauberlecken muss.
PX Sherry ist in vielen Cocktailrezepten ein gern gesehener Süßer; sowohl Amontillado als auch Oloroso sind klassische Zutaten, seit es Cocktails gibt, und PX sowieso. Mit Fino ist man auf etwas dünnerem Eis unterwegs, was die Verbreitung in Rezepturen angeht; der Jungle profitiert jedenfalls ganz enorm von einem Fino, der Charakter hat – mit dem von Tesoros de Montilla Montesoro ist er sogar die dominierende Zutat, die Gin und Wermut klar in den Hintergrund schiebt!
Jungle
1oz / 30ml Fino Sherry
1oz / 30ml Dry Gin
1oz / 30ml süßer Wermut
Auf Eis rühren. Mit Orangenzeste und Thymianzweig servieren.
[Rezept nach Chantal Tseng]
Die Sherrys von Montesoro sind üblicherweise nicht in Flaschen erhältlich, sondern in größeren Gebinden von mindestens 20 Litern, oder ganze Fässer. Das kommt daher, dass Montesoro aktuell nur Großkunden beliefert, die weniger Wert auf eine Glasflasche mit Etikett legen, die man ins Backboard einer Bar oder ins Regal der Heimbar stellen kann – sie sind Zwischenhändler, die auf Anfrage hin auf viele Bedürfnisse maßgeschneidert ein Angebot erstellen können. Insgesamt exportieren nicht viele Weinbauern ihre Weine aus der Region Montilla, man muss also vielleicht etwas suchen, um entsprechende, zu meinen hier vorgestellten Tasting Notes passende Produkte hierzulande zu finden. Doch was nicht ist, kann noch werden – ich für meinen Teil würde mich freuen, diese Schätze von Montilla häufiger hierzulande zu sehen, als echte Alternative zu den Sherrys aus Jerez.
Offenlegung: Ich danke Montesoro für die kosten- und bedingungslose Zusendung dieser Sherry-Samples, und True Spirits für die Vermittlung.