Jeder, der sich ein bisschen mit Rum auseinandersetzt, kennt den Begriff des „Navy Rums“. Im Allgemeinen verbindet man damit kommerziell erhältliche Nachbildungen des Rums, der den Matrosen der britischen königlichen Marine als tägliche Ration zustand, den sogenannten „tot“, der seit Mitte des 18. Jahrhunderts bis 1970 ausgeschenkt wurde. Jeder Produzent hat dafür sein eigenes Rezept, was in seinen Blend kommt – und auch das Original bestand nie aus immer denselben Zutaten. Man dachte lang, er bestehe eigentlich ausschließlich aus einer wechselnden Mischung aus Jamaica-, Guyana-, Trinidad- und Barbados-Rum. Eine zumindest für mich neue und interessante Information haben Steve Magarry, der Production Manager der australischen Brennerei Beenleigh, und Mitch Wilson von Black Tot Rum neulich in einem langen Interview geteilt: Zumindest seit den frühen 1900er Jahren und im Zweiten Weltkrieg war auch ein nicht unerheblicher Teil des Blends der Royal Navy australischer Rum – darunter auch Brände von Beenleigh.
Heute ist Beenleigh ein aufsteigender Stern am Rumhimmel, man findet so einige Abfüllungen aus ihrer Brennerei, und da ist es kein Wunder, dass auch Velier sich um die Aussies bemüht: Beenleigh 2015 Arid/Desert Maturation und Beenleigh 2006 Tropical Ageing sind zwei der relativ neuen Bottlings, die sich der italienische Edelabfüller gesichert hat. Im schön öfters auf meinem Blog erwähnten VSGB-Projekt wurden sie sogar als Miniatur mit 10cl verfügbar gemacht, und da ich innerhalb kürzester Zeit eine gewisse Zuneigung zu Beenleigh-Rum entwickelt habe, war das eine wahre Freude. Hier stelle ich Euch die zwei Australier nun vor.
Nehmen wir uns erstmal den jüngeren der beiden vor. Destilliert wurde der Beenleigh 2015 Arid/Desert Maturation natürlich im namensgebenden Jahr 2015, in einem ungewöhnlichen Setup – erst durchläuft die fermentierte Maische eine Column Still, danach wird der so entstandene Rohbrand in einer Pot Still feingebrannt. Dieses Doppeldestillat darf runde 5 Jahre in frischen Ex-Bourbon-Fässern ruhen, in südaustralischem Wüstenklima in der Region Riverland. Abgefüllt wurde dann 2021, nachdem die Engel sich über 23% des original eingelagerten Brands abgegriffen haben.
Ein ganz klassisches Kupfer findet sich nach der aufwändigen Prozedur schließlich in meinem Verkostungsglas, das sich beim langsamen Schwenken an die Glaswand schmiegt und dann in Beinen mit dicken Köpfen gemächlich abläuft. Die Nase lässt mich die hohe Typizität, die Beenleigh in allen ihren Produkten für mich hervorbringt, deutlich erkennen. Es hat etwas von Obstbrand, da ist viel Birne drin, reifer roter Apfel, das geht fast in Richtung Calvados bei diesem 2015er. Weitere milde Fruchtnoten unterfüttern diesen Eindruck, machen das Gesamtbild in der Nase sehr rund und wohlig. Da sind leichte Ethanolspitzen, ja, und dezente Klebstofftöne, doch diese binden sich ein, gehen in minimale Minzigkeit über mit Offenstehzeit.
In einer Blindverkostung hätte ich direkt nach dem Antrunk gesagt, das ist ein Calvados XO. Diese Apfeligkeit und die Birnen beherrschen ihn zusammen mit einer feinen, durchweg natürlich wirkenden Süße. Ein extrem rundes Mundgefühl mit einer wirklich grandios abgestimmten Textur füllt den ganzen Mundraum aus, superbreit und dabei tief, dieser Wüstenbrand hat enormes Volumen, sicherlich auch gestützt durch die Fasstärke mit 59% Alkoholgehalt. Im Verlauf entsteht eine ganze sanfte Trockenheit, die Süße bleibt dabei aber erhalten, und der Alkohol sorgt dann zusammen mit der sich ganz langsam aufbauenden, sehr effektiven Würze für eine rundum angenehme, aber durchaus charaktervolle und pikante Wärme. Im Nachhall kommen milde Holztöne, Vanille und Zimt, zum Vorschein, ergänzen aber mehr die Fruchtigkeit, statt sie zu verdrängen. Ganz am Ende erscheint noch eine leichte Blumigkeit, auch hier eingebunden in die Birne und den Apfel, die einfach nicht aufgeben wollen, bis zum sehr spät irgendwann folgenden Schluss.
Ich gebe ja gern zu, dass ich ab und zu ins Schwärmen gerate, wenn mir etwas sehr gut gefällt, aber beim Beenleigh 2015 Arid/Desert Maturation schäme ich mich auch in keiner Form dafür. Wie schon bei anderen Beenleigh-Rums frage ich mich ernsthaft, wie sich die Destillerie so lange vor der Öffentlichkeit in Europa verstecken konnte – kaum zu glauben, aber ich bin extrem froh, dass man heute diverse Abfüllungen von Beenleigh in Deutschland ohne große Mühe bekommen kann.
Darum ist die Vorfreude auf die nächste Probe um so größer: Der Beenleigh 2006 Tropical Ageing war glücklicherweise in derselben VSGB-Lieferung schon mit dabei. Die Kombination von Column- und Potstill wurde auch hier eingesetzt; interessant finde ich die Reifungsmethode: Man legte den Brand nicht einfach in ein Fass, sondern gab ihn erstmal in Ex-Brandy-Vats (also Großfässer mit sehr hohem Volumen), danach in Ex-Bourbon-Eichenfässer, um am Ende dem Blend in einem 120 Jahre alten Kaurifichten-Vat den letzten Schliff zu geben: Das ist die auf dem Etikett erwähnte „Triple Wood Maturation“. Im tropischen Klima von Queensland verdunstete dabei in dem 15-jährigen Prozess mehr als 43% des Destillats.
Zum Glück hat es der Rum danach trotzdem in mein Glas geschafft, klarer, leuchtender Bernstein, der sich im Neat-Glas mit lässiger Gemächlichkeit dreht, ein wunderbarer Anblick. Eine feine Linie bildet sich dabei an der Glaswand, aus der sich gemütlich einzelne Beine wie an einem Fransenteppich oder einer Stickerei bilden. Das Beenleigh-typische Obst ist hier schon deutlich getrocknet, Melasse, Pflaume, gedörrter Apfel, fast schon Bratapfel, matschige Birne und die Süße von Datteln, Honig und Rosinen finde ich ohne Mühe. Unterstützt wird diese fette, breite Nase durch viele, gut eingebundene Holznoten, mit Vanille und ganz milder Zedernholzigkeit, einem Anflug von Ledrigkeit und dem Duft eines dunklen Maduro-Deckblatts einer nicaraguanischen Zigarre. Etwas Lack sorgt dafür, dass man es sich nicht zu bequem macht beim Schnuppern.
Die Textur, die man schon sehen konnte, ist auch das erste, was einem beim Antrunk auffällt. Das ist fast schon sirupartig, schwer, dick, fett und breit, ein tolles, natürliches Süßegefühl ist mit dabei, das sich wie Zucker auf die Lippen legt. Honig, Gewürzkuchen, pflaumige Melasse, schwer und dunkel ist auch die Aromatik, mit Eindrücken von Traubenbrand wie ein alter Cognac, rund, voll und dramatisch, ohne grell zu sein. Dazu ist die herrliche, feine Wärme der 59%-Fassstärke, die zu keinem Moment zwackt oder auch nur kitzelt, sondern nur ein mildglühendes Gefühl über den gesamten Mundraum legt. Der Abgang ist ähnlich warm, eine sehr schöne, sehr edle Bittere kommt nun hinzu, die Süße schafft es weiterhin, präsent zu sein und sich der aufkommenden Trockenheit zu wiedersetzen. Hier findet man dann am Ende auch den Beenleigh-Typus, klar erkennbar, frisches Obst, mit sehr langem, wirksamen Nachhall, bei dem man Lippen und Gaumen mit der Zunge freiarbeiten muss, so fett liegt der Brand daran.
Uff. Grandios. Mehr fällt mir nicht dazu ein, ich könnte hier wirklich Superlative en masse aufzählen, um zu beschreiben, was ich schmecke, fühle und denke, aber das Gehabe würde gar nicht zur adligen Stilistik passen, die ich beim Beenleigh 2006 Tropical Ageing wahrnehme. Der braucht keine Werbung, jeder, der ihn probiert, wird genau wissen, dass man hier ein Weltklasseprodukt vor sich hat. Da muss ich jetzt erstmal durchatmen, bevor es weitergeht.
Die Typizität der Beenleigh-Rums ist, wie oben schon erwähnt, richtig hoch – man erkennt sie blind ohne Mühe. Die Ähnlichkeit zueinander und die durch die kleinen VSGB-Mengen entstehende Knappheit haben mich dazu gebracht, für den Mundo Perdido einen alternativen Beenleigh-Brand einzusetzen, denn die 2015er und 2006er-Fläschchen gingen schon für die Tasting Notes oben fast vollständig drauf. Rum Artesanal beispielsweise hat einen sehr finanzierbaren Beenleigh anonymisiert als „Australia Rum“ im Angebot – der durfte hier dann ran.
Mundo Perdido
1½oz / 45ml gereifter Rum
½oz / 15ml Apfelbrand
¾oz / 22ml Zitronensaft
¼oz / 7ml Zuckersirup
¼oz / 7ml Zimtsirup
Auf Eis shaken.
[Rezept nach Jeff Berry]
Ich habe schon zu meinen vorherigen Besprechungen zu den Produkten der VSGB-Reihe gesagt – es ist ein wirklich gelungenes Projekt, das Luca Gargano von Velier da auf die Beine gestellt hat. Die kleinen Fläschchen sind völlig identisch zu den natürlich ebenfalls erhältlichen Großversionen (wie so oft muss man da aber wirklich Glück haben, eine zum Veröffentlichungspreis zu erhaschen), mit so viel Liebe zum Detail gemacht. Die Nummerierung soll dafür sorgen, dass keiner auf die Idee kommt, die Kleinflaschen völlig im Gegensatz zum Sinn des VSGB-Projekts zum Eigengewinn zu verhökern; und, wie es scheint, ist Luca Gargano tatsächlich dahinter, Verstöße gegen diese Ehrenregel zu verfolgen.



Beenleigh hat sich durch die Rums, die ich von ihnen nun kenne, einen festen Platz in meiner Skala gesichert, was globalen guten Rum angeht. Auch dass der schon angesprochene Steve Magarry jederzeit ansprechbar und offen für Diskussionen auf den sozialen Medien ist (man suche einfach nach dem Hashtag #needmorebeenleigh), tut sein übriges dazu, mir die Australier sympathisch zu machen. Wer richtig guten Rum sucht, der mehr als ein Jahrhundert Tradition auf dem Buckel mitbringt, und handwerklich makellose Ware abliefert, die einen ganz eigenen Charakter und Stil hat, der kommt an Beenleigh nicht mehr vorbei.