Mexiko hat sich ein wahres Wundergeflecht aus geschützten geografischen Angaben für Brände geschaffen. Der erste war der Tequila, dann kam Mezcal, inzwischen sind auch Raicilla, Bacanora, Charanda und Sotol entsprechend mehr oder weniger klar definiert und geschützt, und bestimmt noch viele weitere, von denen ich aktuell nur nichts weiß. Unterschiedliche Herkunftsregionen, für die Agavenbrände in der Liste oben unterschiedliche erlaubte Agavensorten, es ist nicht ganz einfach, da noch klar durchzublicken. Insbesondere, wenn das Aromaprofil zweier Produkte ziemlich ähnlich ist und sie sogar ihn regionaler Nähe zueinander hergestellt werden, sie aber aufgrund einer Grenzziehung in unterschiedlichen mexikanischen Bundesstaaten beheimatet sind, und allein darum nicht mit demselben Kategorienlabel versehen werden dürfen.
Ein gutes Beispiel dafür ist Mezonte Tepe. Es wird zu 100% aus wilder Maguey Masparillo (das ist in der Herstellungsregion scheinbar ein Überbegriff für die botanischen Sorten Agave bovicornuta und Agave maximiliana) hergestellt. Jetzt die 64000-Euro-Frage – ist das ein Mezcal? Ist es ein Raicilla? Schwierig, denn auch wenn die Agavenart hier passt, so kümmern sich die Tepehuán, das Volk, bei dem der Mezonte Tepe von Maestro Mezcalero Antonio Flores gebrannt wird, frecherweise nicht um die moderne Verbundesstaatung Mexikos, sie leben isoliert und zurückgezogen auf dem Gebiet mehrerer Bundesstaaten, hauptsächlich in Durango. Jedoch darf legal nur ein Produkt aus den Bundesstaaten Jalisco und Nayarit sich Raicilla nennen, und auch für Mezcal gibt es Staatenvorschriften – und auch wenn die Tepehuán teilweise in diesen Staaten ihre Gemeinschaften haben, ist nicht gesagt, dass dieser Brand auch immer dort gemacht wird, sie halten nicht viel von der modernen Zivilisation und ihren Segnungen (wie Grenzen und gesetzliche Regelungen zu ihrem auch heute noch oft für religiöse Zwecke genutzten Agavenbrand). Wir haben also wahrscheinlich einen Grenzgänger im wahrsten Wortsinne vor uns; das Produkt selbst versucht auch nicht, sich einzupassen, nirgends auf dem Etikett finden sich die Begriffe „Mezcal“ oder „Raicilla“, man hält sich mit einer Kategorisierung bedeckt und entgeht damit der rechtlichen Einordnung.
Vielleicht ist es unabhängig von den Tepehuán aber auch ein Anschließen an die Bewegung, sich von diesem einengenden, stellenweise absurd gewordenen und eigentlich doch nur den von großen, internationalen Konzernen protegierten Marken dienenden Netz aus Rechtsspinnennetzen des CRM und CRT zu lösen, wie das einige traditionell arbeitende Hersteller bereits tun… beides ist möglich und eine relevante Bewegung innerhalb der mexikanischen Agavenbrände. Und so gehe ich also ohne eine Erwartung an irgendeine Konformität mit künstlichen Regelungen in die Verkostung.
Es findet am Ende keine Holzreifung statt, entsprechend ist die Flüssigkeit klar und ohne jede Form von Einschlüssen oder Fehlern. Recht lebendig bewegt sie sich nach dem Einschenken ins Glas, nur minimal viskos wirkt sie dabei. Dennoch bilden sich an der Glaswand dicke, schwere Beine, die eine Weile daran haften und träge ablaufen.
Beim Eingießen verbreitet sich um das Glas herum zunächst ein leicht teeriger Duft, der sich schnell wandelt und dann an nasses Zedernholz und das Deckblatt einer hellen Zigarre erinnert. Kirschen, Erdbeeren und Aprikosen meint man wahrzunehmen, eine milde Joghurtsäure und -frische ebenso. Etwas Rosenwasser, und eine minimalste Speckigkeit. Eine sehr ungewöhnliche Nase, sehr komplex und vielschichtig, sich in viele sehr unterschiedliche Richtungen gleichzeitig entwickelnd: fruchtig, floral, erdig und vegetal alles zugleich. Derart ausgeprägt findet man es selten!
Im Mund ist initial deutliche Süße zusammen mit einer schweren Textur erkennbar. Schnell verschwindet aber die Süße, macht einer milchsauren Trockenheit Platz, die den Gaumen kitzelt. Joghurt, Kirsche, der Eindruck, den man hat, wenn man über Zedernholz leckt, trockenes Getreide und Staub. Eine deutliche Feurigkeit entsteht, die weißpfeffrig und chilischarf wirkt, den 51% Alkoholgehalt angemessen. Der Abgang ist kurz und fruchtig, hauptsächlich vom Effekt gesteuert. Ein sehr blumiger Nachhall, zusammen mit einer kühlen Frische im Mund, die wunderbar paradox zur gleichzeitig Wärme in der Speiseröhre und im Magen wirkt. Ein Anflug von Rauch klingt noch lange nach.
Man merkt es von Anfang bis Ende – es ist schwer, in Worten eine klare Richtung zu definieren, wie der Mezonte Tepe schmeckt. Dieser Brand wandelt sich während der Verkostung wie ein Chamäleon, immer, wenn man etwas gegriffen zu haben meint, verschiebt sich das Aroma woanders hin. Er wabert und schimmert wie der Chitinpanzer eines Rosenkäfers. Toll und aufregend!
Der Firmin’s Folly hat etwas, was ich an Cocktails sehr schätze – einen deutlich erkennbaren, spür- und schmeckbaren Verlauf. Zunächst wirkt der Drink sehr unrund, als ob die Zutaten so gar nicht zusammenpassen, dann entwickelt er sich im Mund immer mehr, und der Nachklang ist wirklich richtig schön, ein tolles Mundgefühl und hübsche Aromatik hinterlassend. Ein komplexer, kantiger, aber spannender Cocktail zum Philosophieren, nicht für die Party. Passt irgendwie vom Ansatz zum Mezonte Tepe.
Firmin’s Folly
1½oz / 45ml Mezcal
¾oz / 22,5ml trockener Wermut
¼oz / 7,5ml Crème de Banane
2 Spritzer Mole Bitters
Auf Eis rühren.
[Rezept nach Dylan O’Brien]
Übermäßig attraktiv ist die Flasche und das Etikett nicht, das muss man sagen – es ist alles bodenständig, einfach, ohne großes Bohei und offensichtlich auch ohne viel Marketingbudget gemacht; jeder Pfennig, der statt in die Aufmachung in die Flüssigkeit selbst geht, ist für mich aber definitiv auch besser angelegt. Die einzige Extravaganz, die man sich erlaubt, ist das Einwickeln der Flasche in ein Papier, das ein vergrößerter Ausschnitt aus einem Poster über Agavensorten zu sein scheint. Ansonsten hält man sich auf dem Rücketikett an Fakten statt an Fantasien. Agavenart, Herstellungsdetails, sehr lobenswert, was man da lesen und lernen kann: Die wilde Maguey Masparillo wird von Hand geerntet und mit der Machete zerkleinert, freie Hefen fermentieren die Maische in Pinienholzbottichen und dann wird in Brennblasen, die zum Teil aus Kupfer und zum Teil aus Holz sind, zweifach destilliert. Spannend ist die Angabe, dass zur Einstellung des Alkoholgehalts dabei die Vor- und Nachläufe („cabezas y colas“) eingesetzt werden, wie das auch bei manchen anderen Destillaten gemacht wird.



Zu guter letzt ist noch zu erwähnen, dass es sich bei Mezonte um eine Nonprofit-Organisation handelt, die sich um das Wohlergehen der kleinen Produzenten (wir reden hier oft von winzigen Anlagen, kleinsten Produktionsmengen – hier beispielsweise nur 120 Liter! -, meist eigentlich nur für den lokalen Gebrauch) kümmert, statt sie auszubeuten. Ein schöner Artikel darüber findet sich hier. Die hohen Verkaufspreise, die hierzulande für die von ihnen unterstützten Brenner aufgerufen werden, sind für Spirituosenfreunde damit auch eine Investition in die Zukunft sowohl der Familien, die diese ungewöhnlichen, traditionellen, handwerklichen und hocharomatischen Brände herstellen, als auch der Kategorie selbst, so dass sie eben nicht den Weg des hochindustrialisierten, auf den Massenmarkt orientierten, dadurch inzwischen allzuoft seelenlos und leer gewordenen Tequilas gehen muss – oder eben ausstirbt, weil ein Brenner keinen Nachfolger, der die Palenque weiterführen würden, findet, da es sich für niemanden lohnt. Es wäre außerordentlich wünschenswert, wenn Mezonte mit ihrem Projekt viel Erfolg haben.
2 Kommentare zu „Agavenregeln – Mezonte Tepe“