Gin, eine unverstandene Kategorie. 2021, als ich bei Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles und beim ISW als Juror diverse Flights von Gins aus aller Welt vor mir auf dem Tisch hatte, wurde es mir wieder einmal äußerst schmerzlich vor Augen geführt, dass man sich nur selbst weh tut, wenn man bei Gin heutzutage nach Wacholder sucht. Die meisten Produkte, die ich dort zu verkosten, beschreiben und bewerten hatte, wiesen nur noch Spuren, wenn überhaupt, von Wacholder auf. Für mich demontiert sich der Gin seit Jahren, er verliert Seele, Kohärenz und Identität – ich hoffe für ihn, dass er nicht enden wird wie die aromatisierten Wodkas, die noch vor wenigen Jahren die Supermarktregale bevölkerten und heute beinahe vollständig verschwunden sind. In der aktuellen Form ist manch ein Gin mühelos durch eine beliebige andere, aromatisierte Spirituose ersetzbar.
Ich gebe zu, ich war darum erstmal extrem skeptisch, als ich den Namen und die Produktbeschreibung des BrewDog LoneWolf Chilli & Lime Gin Distillers Cut 2021 gelesen hatte – das klang für mich erstmal wie so ein typisches Gimmick-Produkt, das mit fetter Aromatisierung eine mittelmäßige Spirituose aufpeppen und damit den nach neuen Partykicks Suchenden versorgen sollte. Die wilde Aufmachung tat ihr übriges dazu. Gerade heutzutage ist man ja schnell mit Vorverurteilungen und Meinungsbildung auf magerer Faktenbasis, diesem gesellschaftlichen Trend will ich mich eigentlich nicht wirklich anschließen. Darum würde ich sowas nie schreiben, wenn ich nicht direkt danach das Produkt selbst sprechen lassen würde – und, ich spoilere hier mal: wie so oft war das Vorurteil falsch.
Kristallklar, keine Fehler oder Mängel, optisch gibt es aber über die meisten Gins, egal welcher Art, selten etwas zu meckern. Man spürt beim Schwenken im Glas eine gewisse Trägheit, fast schon ölig wirkt das. Ganz entsprechend das Glaswandverhalten – filmig, beinchenbildend, fett.
Der initial geschilderte Zweifel verflog eigentlich schon beim Eingießen. Wacholder ist sehr präsent, klar alles andere an Botanicals dominierend – ich nähere mich dem einsamen Wolf nicht nur aromatisch, sondern auch schon emotional an, so einfach kann das bei mir sein, was Gin angeht. Ein schönes Kräutersträußchen unterstützt den Wacholder, eine leichte Korianderseifigkeit ist da, sehr deutliche Limettenzeste, und, wenn man es weiß, entdeckt man auch hier schon die Piniennadeln mit ihrer harzigen Art.
Ähnlich dem optischen Eindruck ist das erste Mundgefühl, eine fette Textur, schwer und viskos, mit einer grundlegenden, karamelligen Süße, die von der Muskatblüte und den Mandeln kommen könnte und überhaupt nicht künstlich, sondern sogar sehr subtil wirkt. Wacholder ist zunächst auch im Mund vorne, wird aber schnell von den ätherischen Ölen der Limette eingeholt, sie gibt dem Gin schöne Fruchtigkeit, die bis zum Nachklang erhalten bleibt. Leichte Vegetalität kommt von den restlichen Botanicals, sie spielen aber tatsächlich nur eine unterstützende Rolle. Auch das, was mich zunächst etwas abgeschreckt hat, funktioniert wirklich gut: Scotch Bonnet und Habanero. Wer schonmal die Chilisorte Scotch Bonnet (in Supermärkten kann man das leicht kaufen) gegessen hat, weiß, wie abartig scharf das Zeug ist – hier geben die zwei Chilisorten eine spürbare, sehr wirksame, aber keinesfalls übertriebene Pikanterie in den Gin, ohne, dass man sich auch nur ansatzweise die Zunge verbrennt; da hat man wohl dosiert und fein abgestimmt. 44% Alkoholgehalt wirken gut, sogar ein bisschen mehr würde diesem Gin trotzdem gar nicht schaden. Im Nachklang kommen dann nochmal Muskatblüte, Limettenzeste und Wacholder hervor, lang und gaumenkitzelnd scharf klingt der LoneWolf Gin aus. Und er hinterlässt ein leichtes Lächeln in meinem Gesicht – wirklich geschickt gemacht!
Der Warday’s Cocktail tendiert, je nach eingesetztem Calvados, eher zum Süßen. Persönlich mag ich die Kombination Gin-Calvados sehr gern – in diesem Drink wird ein sehr knackiger Gin die benötigte Frische liefern. Der LoneWolf Chilli & Lime Gin tut genau das, und setzt noch ein freches Finish hintan. Ja, der Charakter des Drinks ändert sich, aber, nach meiner persönlichen Meinung, tatsächlich zum Positiven. William J. Tarling hatte sicherlich keinen solchen Gin, als er das Rezept in den 30ern des letzten Jahrhunderts niederschrieb, doch hätte er ihn gehabt, hätte er ihn auch so eingesetzt, da bin ich sicher.
Warday’s Cocktail
1 oz / 30ml Dry Gin
1 oz / 30ml Calvados
1 oz / 30ml süßer Wermut
1 Teelöffel Chartreuse verte
Auf Eis rühren.
[Rezept nach William J. Tarling]
Auch wenn die Aufmachung sehr plakativ ist, mir gefällt es – mattierte Flasche, ein tolles Etikett mit sehr gelungener Illustration, die auch irgendwie zum Inhalt der Flasche passt. Ein echter Korken müsste für mich persönlich bei einem Gin eh nie sein, hier schon gleich gar nicht, aber ich wehre mich auch nicht dagegen.
Es ist ein schmaler Grat, den manch ein Hersteller geht, und es ist manchmal ein schmaler Grat für den verantwortungsbewussten Spirituosenjournalisten, so ein Produkt zu bewerten, wenn man eigentlich eine Neigung zum Purismus hat wie ich. Ich für meinen Teil kann aber ohne Gewissensbisse sagen, dass ich den LoneWolf Chilli & Lime Gin gern im Glas habe, seine Eigenheiten sind gut in einen vernünftigen, als solchen erkennbaren Basisgin eingearbeitet, ohne dass hier das „New Western“-Pseudogin-Argument hervorgeholt werden muss. Sauber gemacht, mit einem Twist: Das passt genau so.
Offenlegung: Ich danke Kirsch Import für die kosten- und bedingungslose, unaufgeforderte Zusendung einer Flasche dieses Gins.