Bis heute habe ich den Grusel in sehr angenehmer Erinnerung, der mich befiel, als ich mit den Werken von H.P. Lovecraft in Kontakt kam. Als Teenager verschlang ich seine Kurzgeschichten, Novellen und Romane, las auch alles von seinen Epigonen wie August Derleth, Ramsey Campbell, Brian Lumley, Lin Carter und Clark Ashon Smith, und auch die inhaltlich zum Thema passenden Autoren wie Robert W. Chambers, Thomas Ligotti und Ambrose Bierce waren gute Bekannte für mich. Bis heute klingt auch Mike Oldfields Tubular Bells in meinen Ohren wie ein Soundtrack zu Lovecrafts At the Mountains of Madness, denn ich hatte das in Dauerschleife laufen, während ich den Roman las. Der „Mythos“, so wird die faszinierende Welt genannt, die Lovecraft in seinen Werken erschuf, ist bis heute lebendig in der Darstellung eines unförmigen, chaotischen, nicht beschreibbaren Grauens, das die Menschheit beständig bedroht, ohne dass sie davon weiß – wer es erkennt, zum Beispiel durch die Lektüre obskurer Bücher oder das Entdecken jahrtausendealter Objekte, wird in der Regel wahnsinnig. Wer es nicht so sehr mit dem Lesen alter Bücher aus den 1920er- und 1930er-Jahren hat, kann die Stimmung in Computerspielumsetzungen wie Alone in the Dark oder den Hellboy-Comics von Mike Mignola nachfühlen.
Oder man trinkt den SaarWhisky Cthulhu Dark Herbal Craft Absinthe. Ich gestehe, der erste Kaufanreiz für diesen Absinthe war der Name und die Gestaltung, ich kann an sowas schwer vorbeischauen. Die grundsätzlich sehr positive Erfahrung mit den Spirituosen von SaarWhisky (dazu am Ende mehr) ließ mich aber darüber keine großen Gedanken verlieren. Absinthe ist für viele eine schwierige Spirituose, die Zeit, die der einstige Star der Bohème in unverdienter Klausur verbringen musste, hat dazu geführt, dass man verlernt hat, mit ihr umzugehen. Seit einigen Jahren ist die grüne Fee wieder leicht auf dem aufsteigenden Ast, französische und deutsche Produkte sind zuhauf in hervorragender Qualität verfügbar, allein der absichtlich ruinierte Ruf ist bei weitem noch nicht wiederhergestellt. Um so mehr freut es mich, dass ein lokales Unternehmen sich dem Absinthe so annimmt wie das SaarWhisky tut – zum Beispiel mit einem zweifach destillierten, zweifach mazerierten, komplett in kleinteiliger Handarbeit in einer winzigen Destillerie hergestellten Produkt wie dem, das ich hier nun verkosten will.
Aus der Flasche fließt eine grüngelbliche Flüssigkeit, mit einer leichten Trübung, ohne dass aber Partikel sichtbar wären. Laut Hersteller kommt ein Teil dieser Farbe aus einer Zweitmazerierung mit Brombeeren und Wermutkraut – das beworbene Blaugrün sehe ich persönlich allerdings nicht wirklich. Der hohe, aber für klassischen Absinthe absolut nicht ungewöhnliche Alkoholgehalt von 68,3% sorgt dafür, dass sich dicke Beine beim Schwenken bilden, die langsam in Tropfen ablaufen. Im Glas schwappt der Absinthe schwer hin und her.
Die Nase des Cthulhu Dark Herbal Craft Absinthe wirkt stark grasig, sehr prägnant nach in der Dieme schon eine Weile stehendem Heu. Dazu kommen milde Süßholztöne, feinem Anis und dem typischen Geruch des Wermutkrauts. Eine dezente Seifigkeit deutet auf Koriander hin. Ich meine allerdings auch, eine kräftige Fruchtigkeit nach Steinobst zu riechen, Kirschen und Aprikosen vielleicht, ohne, dass diese in der Rezeptur selbst vorhanden wären. Im Gesamtbild wirkt der Absinthe hell und klar, und auch der Alkoholgehalt ist an keiner Stelle pieksend.
Im Mund kommt zuerst eine ausgeprägte Salzigkeit zum Vorschein, die sich über den gesamten Verlauf erhält. Salmiak und Anis entwickeln sich schnell und wuchtig, zusammen mit der Würzigkeit und der leichten Textur hat man ein interessantes Mundgefühl. Sehr mineralisch und krautig, mit Eindrücken von Kies, Algen und grünem Blattschnitt. Eine leichte Süße ist da, die sich mit einer kräftigeren Bittere kombiniert. Die Zungenspitze wird gekitzelt und später anästhesiert, Speichelfluss durch unkratzige Trockenheit und den hier dann spürbaren Alkoholgehalt angeregt. Der Abgang des Cthulhu Absinthe ist pikant, leicht weißpfeffrig, mit einem warmen Gefühl am ganzen Gaumen und der Zunge, vegetal, aber hier nun deutlicher zum Süßen wandernd, mit feinen Lakritz- und Beereneindrücken, die noch eine ganze Weile mit einem mentholischen Effekt nachhallen.
Mit etwas Eiswasser entwickelt sich schnell ein gelblich-dichter Louche, man könnte wirklich, um zum Gruselvokabular zurückzukommen, von einer schwärend-fiebrig-eitrigen Flüssigkeit sprechen. Spaß beiseite, hier bekommt man einen immer noch sehr heuigen, aber natürlich viel milderen Geruchseindruck, geschmacklich noch leicht salzig, aromatisch, erst gegen Ende geprägt von Wermut und Anis, im Gesamtbild sehr angenehm, weich und rund und dann plötzlich halt so gar nicht mehr zum Bild des schleimig-gefährlichen Cthulhu passend. Aber wer würde denn so eine dann daran angepasste grausige Spirituose auch wollen, dazu müsste man mindestens so geistesgestört sein wie Erich Zann.
Ich muss ehrlicherweise sagen – wenn man nur einen einzelnen Absinthe zu Hause haben will (eine verrückte Idee, ich weiß), dann ist der Cthulhu vielleicht nicht die richtige Wahl, das ist eher was für Absinthefreunde, die gerne was ausprobieren und mit der Art dieser Spirituose umgehen können. Diese werden aber sicher Freude daran finden, wie ich.
Für das üblicherweise hier vorgestellte Cocktailrezept bleiben wir im literarischen Umfeld, wechseln den Autor, werden dabei aber nicht weniger wuchtig, ich glaube, Ernest Hemingway hätte auch einen Großen Alten mit der Angel aus dem Meer gezogen und ihm eins übergebraten. Und ich bin mir sicher, dass, wenn man Cthulhu fragt, was sein Lieblingscocktail ist, auch so etwas ähnliches wie der Death in the Afternoon herauskäme. Da ist nichts Liebliches an dem Drink, er ist was für den Trinker, der harte, geeiste Dry Martinis als viel zu lasch und freundlich am Gaumen empfindet. Muss man so einen Cocktail mögen? Nein. Er ist eher was für die, die so richtig derbherbe Drinks wertschätzen können. Hier halte ich die von mir gewählte Dekoration für sehr nützlich, die Süße der Feige ist ideal, um die Herbe des Cocktails etwas ausgleichen zu können.
Death in the Afternoon
¾ oz / 25ml Absinthe
2¼ oz / 75ml Champagner
Im Glas bauen.
[Rezept nach Ernest Hemingway]
Zur Präsentation gibt es außer dem Thema, das SaarWhisky für diesen Absinthe gewählt hat, nicht viel zu sagen – eine Dunkelgrünglasflasche, die bei Gegenlicht noch den Füllstand erkennen lässt, ein stabiler Plastikstopfen, und ein Etikett, bei dem man als Brillenträger beim Draufschauen immer überlegt, ob die Brille mal wieder gereinigt werden müsste, so absichtlich verschwommen ist der Druck und die Papierstruktur. SaarWhisky hat eine wirklich kreative Ader, ihre Absinthes zu benamen und zu designen, die mir extrem gefällt; schon der Herr der Frösche und der Fürst von Absinthe waren herausragende Absinthes, die auch mit der Gestaltung so richtig bei mir punkten konnten. Dass es dann noch eine Blanche-Variante vom Cthulhu gibt, zeigt mir, dass hier die Kreativität nicht nur ins Design, sondern auch in die Spirituose selbst fließt.
Das Warten auf Cthulhu hat sich für mich als Absinthefreund gelohnt. Jetzt kann er sich wieder in sein feuchtes Reich in R’lyeh zurückziehen, ein kleines Nickerchen machen, bevor er dann irgendwann die Welt vernichtet. Alles zu seiner Zeit. In der Zwischenzeit packe ich vielleicht doch noch mal das The Shadow over Innsmouth aus und trinke zur Lektüre einige Schlucke dieses Absinthes, um mir darüber klar zu werden, ob ich von den grausigen Geheimnissen oder dem hohen Alkoholgehalt wahnsinnig werde.
Cheers,
das hört sich ja extrem spannend an. Ich muss zugeben, Absinth habe ich noch nie getrunken. Ist das was für einen „Einsteiger“?
Für einen Einsteiger würde ich einen klassischeren Absinth empfehlen. z.B. Jade, La Pontissalienne oder Herr der Frösche. Wenn Dir das gefällt, kannst Du immer noch zu ungewöhnlicheren Absinthen wie dem Cthulhu zurückkommen.