Mein Traum ist ja, das habe ich schon verschiedenen Leuten erzählt, eine Heimbar, die nur aus 5 Flaschen besteht. Gutes Zeug, das ich gern pur trinke, aber auch einen Cocktail sauber ins Glas bringt. Im Moment bin ich weit davon entfernt, mein Regal quillt so über, dass ich Flaschen schon auf dem Boden vor dem Regal stehen habe, doch das Ziel ist eher Reduktion der Flaschenzahl, als sie noch weiter aufzubauen. Darum suche ich unterschwellig, obwohl ich nicht daran glaube, die „perfekte Spirituose“ in einer Kategorie, zumindest auf der Ebene, dass ich für einen gesamten Flaschendurchlauf voll zufrieden damit bin und nicht nach Abwechslung in dieser Kategorie verlange. Bei manchen Spirituosen ist mir das gelungen, bei Gin war es tatsächlich eine Weile so, bis mir der Herstellerkonzern die Tour vermasselt hat. Ein Ersatz muss gesucht werden.
Bei meiner Suche wurde ich dankenswerterweise von einer allen meinen Lesern hoffentlich wohlbekannten Bargröße unterstützt, in der Hamburger Bar Le Lion wird täglich genug Gin in Gin Basil Smashs und Martinis gezapft, dass Joerg Meyer sicherlich jemand ist, dessen Empfehlungen man nicht jeden Sinn absprechen müsste. Mit dem Rutte Dutch Dry Gin hat er mir ein Ersatzangebot für eben den „einen“ Gin gemacht, der meinen Ideen von Spirituosen schonmal entgegenkommt: die Distilleerderij Rutte ist eine familiäre Brennerei mit Charakter (wenn auch nicht mehr in Familienbesitz, es gehört inzwischen zu De Kuyper), die bei allen Produkten auf Farb- und Aromastoffe verzichtet, wo es geht manuell arbeitet und mit Transparenz bei allen Schritten punktet. Also ein guter erster Ansatz, jetzt muss nur noch der Gin selbst überzeugen.
Die Flasche ist sehr clever türkisgrün gefärbt, nur durch die Flüssigkeit darin kommt dieser Farbeffekt richtig zum Tragen – und das, obwohl der Gin transparent und klar ist. Beim Hin- und Herbewegen der Flasche fällt das auf, das ist ein kleines, aber sehr hübsches Detail hier. Im Glas sehen wir das, was wir dann aber erwarten, mit leichter Öligkeit, die sich besonders in vielen, dicken, schnell ablaufenden Beinen zeigt.
Während dieser ganzen Betrachtung steigt dem Verkoster schon die ganze Zeit der Geruch des Rutte Dutch Dry Gin in die Nase, und was er da riecht, gefällt ihm. Wie geschildert ist dieser Gin ein Versuch, einen neuen Basisgin für meine Heimbar zu finden, und zumindest beim Schnuppern hat er schon gute Chancen: Sehr wacholderlastig, wie ich meine Gins mag. Unter der frisch-knackigen Vorherrschaft des Wacholders finden sich weichere Töne, da ist dann wirklich etwas Gemüsiges wie Sellerie, dazu ein Ton von Fenchelsamen, aber auch milde Orangenzesten, ein bisschen seifiger Koriander, Lavendel und Rosmarin; das entdecke ich jedenfalls, ohne die genau Botanicals-Liste, mit denen Gins sonst so freigiebig angeben, zu kennen.
Da nippe ich gern einen ersten Schluck, und fühle als erstes eine sehr viskose, fette Textur, fast schon milchig im Eindruck. Einher geht das mit einer ebenso ausgeprägten Süße, die sich schmeichelnd auf den Gaumen legt. Wacholder versucht erst ein paar Millisekunden später, diese Süße aufzuspalten, dann kommt eine mineralische Komponente dazu, die ihn dabei unterstützt. Kiesig, grünblättrig, mildbitter. Es vergeht jedoch nur wenig Zeit, und der Gin hat sich wieder etwas gewandelt, Bitterorangenaromen entstehen, geben dem ganzen Volumen. Fast schon leichtsalzig wirkt er, ein Tick umami sorgt für erhöhten Speichelfluss, das ist wohl der Einfluss des Sellerie, denn geschmacklich tritt er nicht erwähnenswert in den Vordergrund. Im Hintergrund fängt spät eine sehr würzige, pfeffrige Note an, den Gaumen zu kratzen, hier zeigt sich der Rutte Dutch Dry Gin von der kraftvollen Seite, etwas mehr, als ich von den 43% Alkoholgehalt erwartet hätte – im positiven Sinne, denn rein von den Zahlen wäre mir der Gin zu schwach, gut, dass diese Sorge in der Aromatik verfliegt. Der Abgang ist minzig-frisch, eiskalt, fast schon mentholig, weißpfeffrig und mittellang. Hier kommen im Nachhall dann verschiedene Kräutereindrücke zum Tragen, Rosmarin und Lavendel, ohne dabei ins komplett Vegetale abzudriften – dezente Zitrusfrucht mit einem fast schon schokoladigen Überzug ist das letzte, was von der Verkostung übrig bleibt.
Ein Gin, der in meine Heimbar einziehen will, muss vor allem eines können: sich gegen andere Zutaten durchsetzen, die selbst gern die erste Geige in einem Drink spielen wollen. Er soll nicht nur reiner Alkohollieferant sein, sondern zeigen, dass ein Gindrink immer ein Gindrink bleibt, selbst, wenn er mit sowas wie Chartreuse kombiniert werden soll. Dass im ` Treuse Hurts am Ende noch ein Spritzer Selleriebitters dazukommt, was sich aufs Feinste mit dem Rutte Gin zusammentut, nun, das ist das Krönchen.
` Treuse Hurts
1 oz / 30ml Dry Gin
1 oz / 30ml Chartreuse Verte
1 oz / 30ml Ananassaft
½ oz / 15ml Limettensaft
¼ oz / 10ml Kokosnusswasser
1 Spritzer Celery Bitters
1 Eiweiß
Auf Eis shaken.
[Rezept nach Brian Sandah]
Zur Flasche hatte ich schon erste Gedanken oben angemerkt, die ist wirklich ein Designvolltreffer. Von Farbe über die geschwungenen Linien auf der sonst sehr geraden Flasche, da passt alles, und auch die Verbindung zum Gin selbst ist für mich gegeben: Ein klarer, klassisch wirkender Gin, mit einem ungewöhnlichen Schwung, wie die Flasche eben. Einen Blechschraubverschluss verzeiht man gerne bei einer Spirituose, die keinen großen Regallagerungszeitraum zu erwarten hat, Gin läuft bei mir eigentlich sehr zügig durch die Cocktailmaschine, und da ist so ein kurzes Drehen einfach praktischer als ein hipper Sonderstöpsel. Für manche Leser mag es interessant sein, dass dies das Produkt ist, das die alten Gins von Rutte ersetzen wird, darunter den Celery Gin, der laut Aussage von Joerg Meyer in einem sehr angenehmen Telefonat im Geschmack höchstens minimal anders schmeckte als das vorliegende Produkt – für Fans des alten Gins also eine Umstiegsmöglichkeit.
Die Frage, schafft es der Rutte Dutch Dry Gin auch bei mir, meinen aus persönlichen Gründen nicht mehr kaufbaren Tanqueray zu ersetzen? Preislich liegt er etwas über jenem, rund 30€ sind für einen Gin dieser handwerklichen Machart aber in Ordnung und es werden nicht, wie das bei vielen Gins heute ist, Preise aus dem Wolkenkuckucksheim aufgerufen. Und ich müsste nicht auf grüne Flaschen verzichten. Ich werde noch weitere Gins ausprobieren, aber ich glaube, einen ersten Kandidaten für die schlimmerdurst-Miniheimbar habe ich tatsächlich schon gefunden.
Offenlegung: Ich danke Trinkabenteuer/jrgmyr für die kosten- und bedingungslose Zusendung einer Flasche dieses Gins.