Es war ein verrücktes, und auch ziemlich anstrengendes Wochenende, das Cocktails&Dreams-Forentreffen 2018 in Berlin. In einem extra angemieteten Loft in Moabit trafen sich die Hardcorecocktailexperten unter der Ägide des Ehrenpräsidenten und in Spirituosenkreisen wohlbekannten Ginexperten Oliver Steffens, um sich dem Genuss selbstkreierter Zutaten, neuer und alter Cocktailrezepte, einer unendlichen Anzahl Chartreuse-Shots und riesigen Fleischbergen auf dem mitgebrachten Grill hinzugeben. Nach 3 Tagen mit wenig Schlaf, viel Alkohol und einer Menge an unglaublichen Eindrücken war ich am Ende, die Jungs und Mädels haben mich geschafft, ich gebe zu, dass ich offensichtlich zu alt für sowas bin. Nicht einmal die tolle Mezcal-Präsentation von Graciela Angeles Carreño und Axel Huhn konnte ich komplett genießen, mir drehte sich im Kopf noch alles vom langen Vorabend.
Am Ende dieses Wochenendes fand die traditionelle Versteigerung der Anbruchspirituosen statt, die es nicht in den mitwandernden, riesigen Barstock schaffen sollten. Eine Flasche zog meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich überbot alle Mitbietenden, um mir den Tuvè Bitter an Land ziehen zu können. War es eine dumme Laune, aus dem Restalkohol der vorangegangenen Tage entsprungen, oder ein echte Entdeckung?
Ein kleiner Gag zu Beginn: Die Farbe ist natürlich künstlich, ich meine künstlich natürlich. Also künstlich. Aber doch natürlich, denn im Gegensatz zu Campari, der seine lausige Vergangenheit heutzutage abgelegt hat und den synthetischen Farbstoff E124 einsetzt, wird der Tuvè Bitter auch heute noch mit dem klassischen Schildlausextrakt Karmin E120 eingefärbt. Da stellt sich die Frage, ob ein Vegetarier diesen Bitter trinken darf – ich würde sagen, bei konsequenter Einhaltung der Prinzipien, nein. Sollten Sie also tierfrei genießen wollen, können Sie hier aufhören zu lesen. Die starkrote Farbe ist aber scheinbar einfach die Tradition vieler Bitter Norditaliens, Campari, Aperol und andere beweisen das. Mir kommt sie hier etwas weniger kräftig wie die von Campari vor, was natürlich nur Auswirkungen hat, wenn man sich bei einem Drink auf die starke Färbekraft verlassen will. Im Glas bewegt sich der Tuvè flüssig und flink, das Beinablaufverhalten ist schnell und dick.
Die Bitternote, die wir von dieser Art Likör gewohnt sind, ist hier deutlich zu finden. Bitterorange, Grapefruit, Anflüge von Zimt und Muskatnuss. Leichte Blumigkeit, bei tieferem Riechen auch eine leichte Alkoholnote.
Pur und ohne Eis verkostet (so trinkt das aber glaube ich praktisch niemand) ist die Süße zunächst überwältigend. Bitterorange, normale Orange, Grapefruitschale – die Bitterkomponente kommt schnell dazu und bindet sich dazu ein. Schokoladig-trockenfruchtige Eindrücke entwickeln sich, dazu eine leichte Minzigkeit und ein Hauch Wacholder. Man meint, den Alkoholgehalt von 25% zu spüren. Der Abgang zeigt sich eukalyptuskühl, mittellang, stark bitter, doch deutlich pappig und klebrig auf Lippen und Zunge. Astringierende Effekte durch die Bittere kommen am Zungenrand auf. Der Nachhall ist würzig, mildkräuterig.
Für mich persönlich ist dies ein deutlich milderer Bitter als der Platzhirsch Campari, gleichzeitig aber weniger süß und oberflächlich als Aperol. Ein schönes Mittelding, ideal für mich als Bitterfreund, der gerne mit unterschiedlichen Ausprägungen dieses Zungeneindrucks spielt.
Inzwischen ist die Flasche leer, sie wurde recht schnell in diversen Drinks aufgebraucht, denn Bitter dieser Art sind Standard in vielen Rezepten, die ich sehr schätze. Wirksam zeigt der Tuvè sich beispielsweise im Lovelight, einem tollen Dreiklang aus Weinbrand, Bitter und Wermut, eine wirklich effektive und anschmiegsame Combo. Wer gerne Negronis trinkt, und etwas Abwechslung mag, sollte hier mal beleuchten lassen.
Lovelight
1⅓ oz Cognac
⅔ oz Tuvè Bitter
⅓ oz roter Wermut
1 Teelöffel Zimtsirup
2 Spritzer Chocolate Bitters
Auf Eis rühren.
[Rezept nach John Stavroulakis]
Mir gefällt auch die Präsentation dieses Bitters, die ungewöhnliche Flaschenform, die schönen Etiketten. Wer sich mit der wahrscheinlich nicht wirklich mehr zeitgemäßen Form der tierischen Färbung abfinden kann – man sollte das nicht vernachlässigen, gerade wenn man für moderne Gäste mit all ihren Zipperleinchen und Unverträglichkeiten Drinks anrührt – kann man hier als Bitterfreund sicher mal zugreifen. Ich bereue meine Versteigerungsmühe jedenfalls nicht, und der Tuvè half mir auch eine Weile, mich an dieses irre Wochenende in Berlin zu erinnern.