Der moderne Gin Craze geht ungebremst weiter. Jedes Jahr liest man von einem „Brancheninsider“, was jeder ist, der schonmal Gin getrunken hat, dass er damit rechnet, dass Gin weiterhin ein Trend sein wird. Keine große Kunst, das vorherzusagen – Gin ist eine einfache Spirituose, man muss nicht viel wissen, um die Feinheiten schätzen und mit dem Wissen dann angeben zu können, getrunken wird er allermeist 1:3 oder noch stärker verschnitten mit einem Filler, dabei ist er unaufdringlich und unkompliziert, und jeder hat ihn schonmal probiert. Kurz – den Platz als Massendichtungsmittel, den ihm Wodka seit den 50er Jahren streitig gemacht hatte, hat Gin nun schlicht und ergreifend zurückerobert. Nicht, weil er besonders interessant wäre, sondern einfach, weil er massenkompatibel wie kaum ein zweiter Schnaps ist und gleichzeitig dennoch ein gewisses Angeberpotenzial bietet.
All das klingt schrecklich negativ, was ich da schreibe. Dabei ist Gin aus meiner Heimbar nicht wegzudenken, trotz all dieser Aussagen; nicht, dass ich ein besonders großer Gin & Tonic-Trinker wäre, nein, das ist sogar einer meiner weniger geschätzten Longdrinks, aber in klassischen, klaren, strengen Aperitifdrinks hat er sich über mehr als ein Jahrhundert einen unaustauschbaren Platz gesichert, und dafür liebe ich ihn. Für meine Zwecke ist ein klassischer London Dry Gin mit viel Wacholder dabei die Standardauswahl, alles andere ist nach meiner Ansicht aromatisierter Wodka; die ganzen Hipstergins, von denen immer noch jede Woche ein neuer auf den Markt kommt, einfach, weil man einen Gin an einem Nachmittag verkaufsfertig haben kann, können mir, noch so eine harte Aussage, in den meisten Fällen schlicht gestohlen bleiben. So etwas wie der Star of Bombay, den ich heute vorstelle, ist meist auch eher ein Ausrutscher beim Einkauf – mal schauen, ob ich hier einen Fehler begangen oder einen unerwarteten Glücksgriff getan habe.
Wie natürlich zu erhoffen und zu erwarten ist der Gin völlig klar und transparent. Was nicht heißt, dass er wie Wasser wirkt – im Glas schwenkt er sich schwer und ölig, hinterlässt entsprechend viele Artefakte am Glasrand. Die Nase macht mich, ehrlich gesagt, nicht so richtig an. Ich bin, wie gesagt, Purist, und für mich muss ein Dry Gin zunächst mal nach Wacholder riechen und schmecken, und dann dürfen andere Aromen ihr abwechslungsreiches Werk tun. Hier finde ich direkt erstmal dumpfe Zitrusnoten (Bergamotte wird als Botanical angegeben, und für mich ist das halt ein Klosteingeruch, da kann ich nicht aus meiner Haut), seifige Kräuter, Koriander und auch ein für mich persönlich unangenehmer Moschusgeruch, der wohl den angegebenen „Ambrette“-Samen entstammt.
Uh, da habe ich eigentlich schon die Lust an diesem Gin verloren. Ich probiere ihn aus Pflichtbewusstsein, und im Mund finde ich dann überraschenderweise auch deutlich Wacholder, und noch überraschender – all die anderen Gewürze sorgen im Mund für ein interessantes Bild, das mit der hässlichen Nase so gar nichts mehr zu tun hat. Da ist viel Feuer, nicht aus den löblicherweise eingestellten 47,5% Alkohol, sondern aus würzigen Kräutern. Der Star of Bombay wirkt dadurch dunkel, aromatisch, geheimnisvoll, parfümiert und im Gesamtbild tatsächlich sehr exotisch – wow, ich habe noch nie eine derart krasse Spanne zwischen Geruch und Geschmack erlebt, denn im Geschmack finde ich ihn toll und interessant.
Der Abgang ist kurz, unauffällig, doch etwas alkoholisch, heiß, und diese ausgeprägte Ingwerschärfe hängt zusammen mit einem Hauch von Bergamotte noch ein paar Sekunden schön nach.
Da oute ich mich als Purist, und muss dann sagen, dass mir ein nichtklassischer Gin gefällt. Das passiert extrem selten, und muss gewürdigt werden – mit einem ginlastigen Drink, bei dem die Exotik, die der Star of Bombay von sich aus schon mitbringt, noch durch weitere Würzzutaten wie Wermut und Kräuterlikör betont wird. Gerade für Freunde des weniger trockenen Martinis, die vielleicht sogar auch mal gern einen Perfect Martini konsumieren, ist der The Puritan ideal. Auch wenn der Name so gar nicht zu einem üppigen Drink passt.
The Puritan
1¾ oz Dry Gin
½ oz trockener Wermut
¼ oz Chartreuse Verte
1 Spritzer Orange Bitters
Auf Eis rühren.
[Rezept adaptiert nach unbekannt]
Natürlich muss man hier die Präsentation ansprechen. Schon die blaue Flasche des Standard-Bombay-Sapphire zieht den Blick an, hier ist das ganze noch potenziert – die Flasche selbst ist noch schöner gestaltet, das Blau sowieso so gut wie ein Alleinstellungsmerkmal, da fällt es einem echt schwer, sie ins Altglas zu geben (dort übrigens bitte in den Grünglascontainer, wenn man es über sich gebracht hat!). Dazu diese schöne Blechdose mit Blickdurchlässen, die an Architekturen und Fresken aus der Mogulzeit erinnert; insgesamt hat die gesamte Präsentation sehr hohen Wiederverwendungswert im innendekorativen Bereich, wenn der Gin den Weg alles Irdischen gegangen ist.