Nachdem ich mit viel Genuss das neueste und beste Buch von Derek Sandhaus gelesen hatte, war mir selbst wieder mal nach etwas Baijiu. Zum Glück habe ich nach meinem Ausflug nach China zusammen mit Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles an dem chinesischen Nationalgetränk keinen Mangel – diverse Flaschen haben es in mein Gepäck geschafft, tatsächlich hatte ich Sorge, dass mein Koffer platzt, weil mir noch am Flughafen zwei zusätzliche Flaschen in die Hand gedrückt wurden, die nicht eingeplant waren. Daher ist meine Heimbar nun, was Baijiu angeht, sicherlich eine der, wenn nicht DIE bestausgestattetste in Deutschland. Das macht mich durchaus etwas stolz. Sollte jemand jemanden kennen, der sich auch für Baijiu interessiert, ich freue mich auf Austausch.
Bereits im Hotel konnte ich gemütlich eine Flasche des Jiajiazhuang Fenjiu 9 (贾家庄汾酒9年) einpacken, wobei ich bereits dort Schwierigkeiten hatte, denn das geflissentliche Hotelpersonal hatte mir leider all das Verpackungsmaterial, das ich in kluger Voraussicht aus Deutschland bereits mitgebracht hatte, als Müll entsorgt. Es mussten also doch wieder die gebrauchten Klamotten und anderes, auf die Schnelle organisiertes Polstermaterial herhalten. Mangels Karton hatte ich Sorge, dass die hübsche, bauchige Flasche mit dem attraktiven Holzdrehverschluss darunter leiden würde, doch sie kam sicher in Saarbrücken an. Schnell jenen Deckel abgeschraubt, kurz über den Nachfüllstop geärgert, und dann ein Gläschen eingegossen.
Es gibt nur wenige Baijius, die Farbe zeigen – meist eher experimentelle Holzreifungsversuche, auf jeden Fall aber extreme Exoten in der Welt der Tonkrugreifung. Man sieht, selbst 9 Jahre in Steingut geben kein bisschen Farbe ab, und auch keine Trübung. Die Nase ist angenehm, mild, sehr getreidig. Dazu kommen esterige Steinfruchtnoten, aber nicht übertrieben. Das erinnert mich überraschend deutlich an eine Mischung aus Korn- und Kirschbrand. Sehr attraktiv, und auch für die westliche Nase angenehm.
Das Mundgefühl ist weich, dabei aber von Anfang an staubtrocken. 42% sind für klassische Baijiu-Verhältnisse natürlich ein Scherz; doch will man außer den Chinesen auch andere Interessenten anlocken, muss man sich dem Geschmack der Welt etwas anpassen. Leichte Blumigkeit finde ich, schön ausgearbeitete Frucht – Aprikosen, Kirschen, Birnen. Voll und breit, und dabei salzig und würzig. Irgendwie wirkt der Jiajiazhuang Fenjiu 9 so gar nicht exotisch, das kann man dem Onkel nach dem bodenständig-deutschen Mittagessen servieren und muss nichts groß erklären.
Der Abgang ist kurz, mild, warm und zieht einem die vielleicht noch übrige Spucke endgültig aus dem Mund. Ein sehr blumiger Jasmin-Nachhall, mit leichter Eukalyptuskühle, komplettiert das Gesamtbild, das ich sehr mag. Das ist ein sehr genehmer, kompatibler Baijiu – ideal für Einsteiger. Etwas mehr Komplexität, und ich wäre begeistert.
Ich habe Trader Vics Wahine genommen und den darin normal verbauten Wodka durch Leichtaroma-Baijiu ersetzt; natürlich habe ich dann versucht, mit meinen nicht vorhandenen Hawaiianisch-Kenntnissen dem Namen noch etwas Ostasiatisches zu geben – so wird aus der „Frau“ hoffentlich die Pākē Wahine, die „chinesische Frau“. Habe ich hier etwas linguistisch Absurdes verbrochen, weise man mich bitte darauf hin. Nimmt man dann noch einen aromatischen weißen Rum dazu (also z.B. etwas wie Veritas, nicht das neutrale Bacardi-Hochdestillat), kommt eine wirklich heiße Braut dabei raus…
Pākē Wahine
1 oz Fenjiu
1 oz ungereifter Rum
1½ oz Ananassaft
½ oz Zitronensaft
1 Spritzer Zuckersirup
Auf Eis blenden.
[Rezept adaptiert nach Trader Vic]
Es folgen nun noch ein paar Eindrücke aus der Stadt, aus der dieser Baijiu stammt. Die Region ist ein sehr beliebtes Touristenziel in Shanxi, und man begegnet vielen Reisenden – allerdings fast ausschließlich Chinesen. Als Ausländer ist man hier ein Ziel der Faszination, man wird immer wieder nach Fotos gebeten und es bilden sich kleine Grüppchen um den exotischen Laowai, der sich offensichtlich in diese Stadt verirrt hat. Dabei sind die Menschen freundlich, haben immer ein Lachen im Gesicht, und drängen niemals unangenehm.
Die Jia Street, direkt hinter dem Hotel gelegen, in dem wir als Gruppe von Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles eine Woche intensiver Spirituosentests verbrachten, ist aber auch wirklich ein lohnenswertes Ziel für alle, die sich für das „alte China“ interessieren, das es sonst kaum mehr gibt – hier findet man ein kleines Straßennetz mit vielen Handwerksbetrieben und Imbissküchen, das im traditionellen Ming– und Qing-Stil ähnlich des ursprünglichen Dorfes erbaut wurde. Direkt anbei ist auch ein musealer Industriepark, der eine Stufe der Landesentwicklung später zeigt, mit vielen gut erhaltenen Industriegebäuden, alten Mao-Reverenzhallen und, so kombiniert wie es nur die Fengshui-gewohnten Chinesen können, schönen neuen augenschmeichelnden Kunstwerken und Landschaftsgärtnereien.
Ich habe noch den 18-Jährigen aus dieser Destillerie im Regal stehen. Nach der sehr positiven Erfahrung mit diesem Baijiu freue ich mich ausgesprochen auf die Verkostung des älteren Bruders. Natürlich lasse ich dabei auch meine Zeit in China noch einmal Revue passieren, und bin gespannt, ob ich es je mal wieder dorthin schaffen werde. Für den Baijiu würde sich es jedenfalls lohnen.
Ein Kommentar zu “Schnaps vom Dorf – Jiajiazhuang Fenjiu 9 (贾家庄汾酒9年)”