Wer sich gern einen Weinbrand eingießt, der greift in der Regel zu Produkten aus Frankreich, Spanien oder Deutschland. Cognac, Armagnac, Brandy de Jerez und deutscher Weinbrand sind hierzulande leicht erhältlich und in breiter Palette vorhanden, in jeder Qualitäts- und Preiskategorie findet man etwas. Dabei landet man immer in einem vergleichsweise ähnlichen Geschmacksbild, stark gereifte Sorten stehen im Vordergrund, dunkelbraun, mit holzig-nussigen Noten und viel Weichheit. Dabei kann Weinbrand auch ganz anders – der südamerikanische Pisco wird gern weiß oder nur leicht gereift getrunken und bietet daher ein erkennbar alternatives Geschmackserlebnis, ohne den Weinbrandcharakter komplett aufzugeben.
Auf meiner Reise nach Chile, die ich bei der Teilnahme als Taster für Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles erleben durfte, konnte ich sehr viele unterschiedliche chilenische Piscos probieren, und ich empfehle jedem Spirituoseninteressierten, sich diese auch in Deutschland leicht erhältliche Kategorie von Weinbrand einmal anzuschauen. Natürlich ist klar, dass nicht jeder ins Valle de Limarí bei Coquimbo in Chile fahren kann, um dies zu tun – darum habe ich mir von meinem Besuch eine Flasche eines leicht ungewöhnlichen Piscos mitgebracht. Der Pisco Bauzá Aniversario wurde zum 85. Jahrestag der Gründung der Destillerie herausgebracht. Er wird zu 100% aus Muskateller-Trauben gewonnen, die auf dem Gebiet der Familie in bis zu 1200 Meter Höhe der chilenischen Anden wachsen. In Deutschland ist der meiste Pisco, den man findet, un- oder nur leicht gereift; um so spannender war für mich, diesen vergleichsweise stark gereiften Pisco zu finden.
Die Farbe im Glas wirkt heller als in der Flasche; ein mildes, weiches Sonnenblumengelb, schon fast ins Strohige übergehend, dabei völlig klar und einschlussfrei. Die Beine beim Schwenken laufen schnell und dick ab.
Der Geruch ist im ersten Anflug sehr piscotypisch, blumig und weinig, darüber liegt aber eine selbst für diesen eh schon grundsätzlich recht fruchtigen Brand eine noch süßere Obstnote nach Pfirsich und Mango. Die 48 Monate in amerikanischen Eichefässern („largamente añejado in barricas de roble americano„, so das Etikett) verpasst diesem Blend noch eine fette Vanilleschicht. Insgesamt ist das wirklich traumhaft, vielschichtig und ein Nasenschmeichler.
Viele Weinbrände glänzen in der Aromatik, lassen dann beim Geschmack aber hin und wieder Federn, ganz besonders bei chilenischem Pisco, so leid es mir tut, das in dieser Generalität sagen zu müssen. Auch beim Pisco Bauzá Aniversario fühle ich eine leichte Diskrepanz zwischen der herrlichen Nase und dem Geschmack, obwohl dieser immer noch gut zu überzeugen weiß. Süß und weich wie eine Wolldecke liegt er zunächst im Mund, mit schöner Frucht, weißen Trauben, eine feine Säure spielt gegen die Süße auf. 40% Alkoholgehalt, bereits ein gehobener Wert für einen Pisco, ist kaum erkennbar, im Gegenteil, er wirkt fast ein bisschen wässrig. Im Verlauf entsteht eine spannende Bittere, eventuell aus den Tanninen der Eichenfässer entstanden – mir gefällt diese zusätzliche Komplexität sehr.
Der Abgang des Aniversario weist in eine ganz andere Richtung als der bisherige Eindruck – hier wird es pfeffrig, heiß und eine milde Schwefelnote entsteht. Eine leichte Adstringenz setzt ein, die Trockenheit bildet einen netten Gegenpart zur initialen Süße. Der Nachhall ist lang und aromatisch. Man sieht – ein breites Panorama an Eindrücken, weitgefächert und spannend.
Die Flasche (just 2017 wurde ein sehr gelungenes Redesign der Flaschen durchgeführt) wurde beim Besuch der Destillerie von Besitzer und Master Distiller Rodrigo Bauzá für mich handsigniert. Sie weist einen Plastikschraubverschluss und leider einen Nachfüllstopp auf; ich habe mich mit Señor Bauzá darüber kurz unterhalten (ich hasse diese Dinger!), und er meinte, dass dies in Chile eine fast unumgängliche Qualitätskontrolle sei, da dort die Gefahr des Nachfüllens der Flasche mit billigerem Material wirklich bestehe, sogar eine häufig vorkommende Praxis sei.
Das folgende Cocktailrezept habe ich aus dem Buch „40 Grados Cocktails – Coctelería del Pisco Chileno„, das wir als Geschenk der Organisatoren des Wettbewerbs erhalten hatten, übernommen (eine Besprechung folgt). Ich habe auf meiner Chile-Reise die erfahrene Bartenderin und Erfinderin vieler Rezepte in diesem Buch, Chabi Cádiz, kennengelernt – eine höchst charmante Person, und, wie man hier beim Morriña sieht, versteht sie ihren Beruf perfekt. Danke, Chabi, ich hoffe auf ein Wiedersehen 2018 in Bulgarien!
Morriña
1½ oz gereifter Pisco
1 oz Grapefruitsaft
1 oz Zimtsirup
Auf Eis rühren, dann in ein Glas voll Eis abseihen.
Mit einer brennenden Zimtstange servieren.
[Rezept nach Chabi Cádiz]
Am Ende möchte ich noch ein paar Eindrücke, die ich beim Besuch dieser Destillerie gesammelt habe, präsentieren. Die Fahrt ins Valle del Limarí, wo Pisco Bauzá in der Nähe des Dorfs Monte Patria seinen Heimatsitz hat, ist schon eine sensationelle Erfahrung, insbesondere, da ich zu einem Zeitpunkt dort war, wo es ungewohnt grün war in dieser normalerweise semiariden Umgebung. Die Straßen wurden immer kleiner und enger, die Dörfer immer sparsamer, die Berge steiler – man fährt gefühlt in ein Niemandsland auf knapp 1000 Meter Höhe, bis die kleine Destillerie plötzlich vor einem liegt.
Man ahnt anhand der Architektur, dass hier ein kleiner, handwerklich arbeitender Betrieb auf den Besuch wartet. Das Tor wurde uns vom Besitzer, Rodrigo Bauzá, persönlich geöffnet, und vor dem Hauptgebäude wurden wir empfangen und mit ein paar Worten über die Geschichte und das dazugehörige Areal (unglaubliche 9000 Hektar, mit Weinrebenbepflanzung bis auf 1200 Meter Höhenlage) aufgeklärt. Ein sehr sympatischer, ruhiger und offener Mann, der seinen Familienbetrieb, gegründet 1925, bis ins letzte Detail kennt.
Der erste Blick auf Beton- und Stahltanks, in denen die Fermentation der frisch angelieferten und auf dem Betriebsgelände zerkleinerten Traubenmaische stattfindet, der kurz darauf folgte, lässt einen erstmal dann doch daran zweifeln, wie handwerklich die Piscoproduktion hier abläuft; tatsächlich ist die Anlage aber, im Vergleich zu Riesen wie der Capel-Kooperative (über die ich in einem späteren Beitrag noch berichten werde) ein Winzling.
Wandert man an diesen Stahltanks, die Rodrigo Bauzá als leichter zu reinigende, besser zu handhabende Alternative zu den Betontanks seines Großvaters installierte, vorbei, und wendet den Blick nach links, so könnte der Kontrast kaum größer sein, und der vorübergehende Eindruck der Fabrik fällt sofort von einem ab. Direkt gegenüber des Hochglanzstahls findet sich ein kleiner Weinberg, der einen Teil des Basismaterials für den hier hergestellten Pisco liefert.
Die Besichtigungstour geht mit einer Fülle von Informationen weiter, die Señor Bauzá in einem netten Plauderton erzählt. Das restliche Betriebsgelände macht deutlich, wie sehr hier in kleinem Maßstab gearbeitet wird. Der Boden ist nicht asphaltiert, er ist an einem Hang gelegen, die Gebäude sind nicht für große Maschinen ausgelegt. Man fühlt sich versetzt in eine frühere Zeit, während man die von Wein- und Piscodämpfen schwangere Luft atmet und das herrliche Panorama, in das die Destillerie eingebettet ist, bewundert.
Die nächste Station ist das Herzstück des Betriebs, die Destillationsanlage. Pisco Bauzá wird doppelt destilliert, und zwar in Kupferbrennblasen. Der Prozess ist diskontinuierlich. Mehrere dieser Alambiks stehen in einem kleinen Saal. An diesem Tag ruhte der Betrieb, so dass selbst das Innere dieser Apparate begutachtet werden konnte – Rodrigo Bauzá hat offensichtlich keine Geheimnisse zu verbergen, und beantwortete alle noch so detaillierten Fragen, die eine Truppe von 30 Spirituosenexperten zu stellen pflegt, mit Geduld und Fachwissen.
Besonders interessant fand ich, wie der Wein, der in den Kupferbrennblasen destilliert wird, für die Produktion vorgehalten wird. Im Boden des Fasslagers ist ein riesiger Betontank eingelassen, der den Wein dieses Jahres enthält – Pisco darf nur mit diesjährigem Wein hergestellt werden, kein älterer Wein darf verwendet werden. Eine kleine Verkostungsprobe ergab, dass dieses Basismaterial vielleicht nicht den allerfeinsten, aber doch einen einigermaßen passablen Tischwein (zumindest für mich Weinagnostiker) ergeben könnte.
Die letzte Produktionsstation schließlich ist nach wenigen Schritten erreicht – das Fasslager, eines von dreien, das die kleinen Fässer zeigt, in denen der Pisco Bauzá, sofern er gereift werden soll, lagert. Dabei stehen unterschiedliche Holzarten zur Verfügung, Bauzá verwendet aber fast ausschließlich amerikanische Eiche in unterschiedlichen Ausbrennungsgraden. Während die Destillerie ihren Blanco direkt in Flaschen abfüllt, und der Pisco Bauzá Especial ein Jahr in einem Fässer ruhen kann, bekommt der Reservado doppelt so lange, und, wie oben beschrieben, der Aniversario wiederum doppelt soviel Zeit dafür: Hier wird also der Alkoholgehalt (die aufgezählten Kategorien sind in Chile reglementiert) mit dem Alter gekoppelt, eine interessante Vorgehensweise. Spannend – dadurch, dass bereits beim Einfüllen in die Fässer herabverdünnt wird, bekommen die Engel in Monte Patria nur 0,2% des Fassinhalts als Anteil ab.
Das kleine Besucherzentrum, das sich auch auf der Anlage befindet, besteht aus einem rustikalen Raum, in dem die Flaschen ausgestellt sind und ein kleiner, landestypischer Snack für die Besucher bereitsteht. Alle Sorten des hier hergestellten Pisco konnten verkostet werden, und das Nationalgetränk Chiles, der Pisco Sour (das Rezept ist natürlich hier auf meinem Blog in der Cocktailwelt nachzulesen), wurde hier zum ersten Mal, seit ich in Chile war, tatsächlich wie wir ihn in Europa kennen, mit frischem Eiweiß hergestellt. In einer Umgebung wie dieser schmeckt er natürlich unvergleich gut und ist mit keinem Cocktail dieser Art in Deutschland oder sonstwo auf der Welt zu vergleichen.
Es war unglaublich interessant, hochspannend und unterhaltsam, was Rodrigo Bauzá uns hier zeigte. Ich danke erneut Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles für die Chance, diese faszinierende Destille in diesem wunderschönen Land besuchen zu können – dies sind Erlebnisse, die man nicht vergisst. Es wurde schon Abend, als wir, dann doch etwas müde und gesättigt von Eindrücken, uns im Restlicht der untergehenden Sonne und im Scheine der Mondsichel vom Hausherrn verabschiedeten.
Ich bin mir sicher, dass ich eines Tages wieder nach Chile zurückkehren werde. Wer dort Urlaub machen will, sollte sich den Besuch einer Pisco-Destillerie nicht entgehen lassen, selbst wenn man sich nur rudimentär für Spirituosen interessiert. Man spürt hier, dass Pisco für die Chilenen mehr ist als nur ein Schnaps – es ist ein äußerst wichtiges Stück Kultur und aus dem Alltagsleben nicht wegzudenken. Ich kann es ihnen nach meinen Erfahrungen dort auch wirklich nicht verdenken.
Ein Kommentar zu “Aus dem Süden der Welt – Pisco Bauzá Aniversario”