Portugal ist Fußball-Europameister. Jahrelang hatte ich, als ich mich noch für Fußball interessierte, den Portugiesen die Daumen gedrückt, sie waren bei Tippspielen immer als Titelgewinner gesetzt. Nun ist meine Fußballbegeisterung reduziert auf die großen Turniere, und selbst dort etwas eingeschlafen. Das 7:1 der deutschen Weltmeisterelf gegen Brasilien habe ich im Urlaub in Griechenland tatsächlich verschlafen, die EM 2016 nur noch am Rande verfolgt, beim Bürotippspiel sogar auf Italien gewettet. Und kaum entziehe ich den Portugiesen meine Zuneigung, schon trumpfen sie auf! Ich muss ausprobieren, ob diese Methode auch in anderen Lebensbereichen funktioniert.
Ich muss genauer formulieren: Ich habe nicht den Portugiesen, sondern der portugiesischen Fußballnationalmannschaft meine Aufmerksamkeit aberkannt. Aus Portugal kommt ein weiterer Exportschlager neben #CR7 und Figo: Der Portwein. Diesem fortifizierten, also mit Weinbrand verstärkten, Wein kann man nicht gram sein. Auch wenn er wenigstens in Deutschland eine ähnliche Leidensgeschichte wie der portugiesische Fußball aufzuweisen hat: immer wurde groß geredet drüber, aber im Endeffekt hat der Port tatsächlich nur eine Nebenrolle gespielt. Dabei hat er soviel zu bieten; und er ist wandlungsfähig, wie „weißer“ Portwein, für den ich heute exemplarisch den Porto Niepoort Dry White verkoste, beweist.
Die Flasche ist grünbraun, daher fällt es erstmal schwer, die Farbe uneingegossen zu beurteilen. Das tut man natürlich direkt – und ist überrascht, was in der Spirituosenwelt so alles als „weiß“ gilt. So mancher Whisky und Rum wäre froh, wenn er diesen strahlenden braunen Kupferton ohne künstliches Nachfärben erreichen könnte. Die Überraschung hält nicht lange an, wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, dass wir hier einen Portwein vor uns haben, der sonst meist sogar tiefrot (als Ruby) oder dunkelbraun (als Tawny) daherkommt.
Die Nase lässt sich aber nicht austricksen: die Fruchtigkeit eines Portweins, trauben- und rosinenlastig, ist eindeutig. Beim Niepoort Dry White kommt noch eine leichte Nussigkeit dazu, und es fehlt die Säure des roten Artverwandten. Auch die schwere, dichte Konsistenz hätte man allein vom Betrachten nicht ganz so erwartet; die viskose Flüssigkeit schmiegt sich samtig und körpervoll an Zunge und Gaumen, und bringt neben einer attraktiv süßen Traubigkeit noch Dörrobst, getrocknete Pflaumen und dann doch ein Quentchen an Säure mit sich, aber nur gerade soviel, dass sie die Süße ausgleicht, so dass diese nicht den Mund verkleistern kann. Ein sehr schönes Spiel, das die Aromatik hier präsentiert, rund, ausgeglichen, unaufdringlich und trotzdem stark, harmonisch komponiert.
Der Abgang ist lang, hier übernimmt ein bisschen die Säure, und man wird etwas überrascht von einer milden Ingwerschärfe, die bei 20% Alkohol kaum von diesem kommen kann. Gefährlich süffig, leicht und angenehm zu trinken, dabei mit hoher Komplexität – ich höre nun erstmal auf zu schreiben und lasse mich erstmal mit diesem ausgesprochen spannenden Port ein bisschen treiben.
So, genug geträumt. Zurück zur Wirklichkeit: Wer meinen Blog regelmäßig liest, weiß, wie sehr mir die Inhaltsstoffe einer Spirituose am Herzen liegen. Gesüßte Rums werden gnadenlos angeprangert, wie sie es verdienen. Auch bei Portwein muss man aufpassen, wenn man mit verstecktem Zucker vorsichtig haushalten will, aus welchem Grund auch immer. 60 g/l Zucker (Quelle: Alko) sind in diesem Portwein enthalten, natürlich haben wir es hier aber nicht mit heimlich in betrügerischer Absicht nachträglich zugesetztem Zucker zu tun, sondern mit Fruchtzucker aus den Trauben, der im Basiswein vorhanden ist – ein vollständig natürlicher Zucker also.
Entsprechend braucht man, wenn man Cocktails mit einem Portwein mischt, auch nur selten noch andere Süßungsmittel zuzusetzen, oder zumindest nur in reduzierter Form. Dass das ganze dann auch hervorragend funktioniert, wenn Port die Hauptzutat eines Cocktails ist, zeigt der White Port Cobbler – ein sensationeller Drink, höchstaromatisch, dabei herrlich erfrischend und gaumenfreundlich. Einer meiner Favoriten!
White Port Cobbler
3 oz Porto Niepoort Dry White
¼ oz Orgeat
2 Spritzer The Bitter Truth Old Time Aromatic Bitters
Schütteln, und über kleinen Eiswürfeln mit Minze und gebrannten Mandeln servieren.
[Rezept nach Nick Detrich]
Die kleine „halbe“ Flasche mit 375ml kommt mir sehr entgegen – Portwein ist halt nunmal größtenteils Wein, daher ist die Lagerungsfähigkeit sehr begrenzt, wenn man keine Einschnitte in den Aromen in Kauf nehmen will. Es ist kaum möglich, eine große Flasche auf Anhieb auszutrinken, selbst über mehrere Tage hinweg; die kleine Portionsgröße ist also ein Garant für Qualität, den man nicht verachten sollte – sehr zuvorkommend von Niepoort, auch die Gelegenheitstrinker im Portfolio zu berücksichtigen.
Ein Kommentar zu “Gestörte Farbwahrnehmung – Porto Niepoort Dry White”