Ein Kollege von mir brachte mir neulich, Mitte August, eine Packung Spekulatius vorbei. Frisch aus dem Supermarkt. Nun kennen wir ja alle diesen Effekt, dass zu Weihnachten bereits die Ostersaison vorbereitet, zu Ostern schon alles für den Sommer ausgestellt, und im Spätsommer dann wiederum schon langsam die Weihnachtsartikel in die Schaufenster geräumt werden. Doch für manche Artikel scheint selbst diese lange Vorlaufzeit nicht mehr genug zu sein – frühere typische Saisonartikel wie Spekulatius will der ungeduldige Käufer halt auch schon im August kaufen können. Das erodiert auf die Dauer unser Gefühl für eine Jahreszeit, die ein einmaliges Lebensgefühl mit sich bringt – Dauererhältlichkeit von typischen Saisonprodukten macht auch das Ereignis selbst austauschbar, aber scheinbar stehe ich mit dieser Gesellschaftskritik allein da, denn die Konsumenten nutzen das Angebot eifrig, ansonsten gäbe es es nicht.

Auch bei Bier gab es seit jeher Sorten, die man zu einer bestimmten Jahreszeit herstellte und trank. Eisbock und Märzen sollen als einleitende Beispiele dienen, für jahreszeitliche Herstellung. Aber auch der Konsum von manchen Biersorten war zweckgebunden: Ein Saison ist ein Bier, das mit einigem Vorlauf eingebraut wurde, um während der Erntezeit als flüssige Kost belgischen Feldarbeitern das Leben etwas leichter und angenehmer zu machen. Ein kühles Bier während der Schufterei in der Hitze, was besseres gibt es doch nicht. Damit die Erntehelfer nicht torkelnd die Ähren zertreten, war das Bier entsprechend eher leichter, was den Alkoholgehalt angeht, und hochgehopft, um den Erfrischungsfaktor zu steigern.
Nun, natürlich schlägt auch bei Saison-Bier der oben genannte Mechanismus der Dauererhältlichkeit zu. Daher bekommt man auch schon im Frühjahr, und auch ohne dass man hart im Freien dafür arbeiten müsste, in den gekühlten Räumlichkeiten von Getränkefachmärkten Saison-Biere angeboten. Wir nähern uns diesem Bierstil einfach mal durch das BraufactuM Soleya Saison.
Die Farbe, naturtrüb, ocker, mit feinporiger Schaumkrone, lässt zumindest schonmal ein halbabgeerntetes Getreidefeld vor meinem inneren Auge entstehen. Auch die starke Perlage sorgt für Vorfreude auf einen erfrischenden Schluck. Wenn man fantasievoll ist, lässt sich dieser Gedankengang auch im Geruch weiterverfolgen. Zunächst erinnernd an fruchtiges Pale Ale in seiner klaren Hopfenlastigkeit, taucht auch schnell ein leichter Malzcharakter auf. Das Erntefeld ist erriechbar mit erkennbar kräuterigen Komponenten, dazu Anklänge von Basilikum und Lavendel.
Die Fruchtigkeit eines Pale Ale bleibt auch beim Soleya Saison als erster Gaumeneindruck bestehen. Sehr samtiges Mundgefühl. Ich schmecke deutliche Orange, aber auch im Geschmack kommen Kräuter durch – Rosmarin vielleicht, etwas Heu. Die Leichtigkeit des Biers äußerst sich in einer gewissen Körperschwäche, man erhält eigentlich nur Kopfnoten. Dezent bitter, ein Tick salzig, dennoch mildsüß.
Der Abgang schließlich ist extrem kurz, für mich persönlich sogar einer der kürzesten Abgänge bei Bier, die ich kenne. Im Mund verbleiben keine Aromen, höchstens etwas Hefe, nur eine milde Trockenheit. Ein Durststiller, keine Frage.
Für viele Bierconnaisseure ist es wichtig, dass ein Bier auch seinem intendierten Bierstil gerecht wird. Der leichte Charakter eines Saison ist klar vorhanden, auch die Frische und Hopfigkeit. Beim Alkoholgehalt dagegen wollen sich die Brauer von BraufactuM dann doch nicht so ganz in die Vorgaben fügen – 6,5% ist schon eine Hausnummer. Da wäre sicher die eine oder andere Ernte daneben gegangen.
In Cocktails kommen normalerweise Biere besser an, die einen gewissen Körper und eine oft damit einhergehende Wucht mitbringen können. Leichte Biere haben es schwerer, und dienen oft dann hauptsächlich nur als aromatisierter Blubberbringer. Das Soleya ist zwar wirklich kein Bodybuilder, legt sich aber im The Reality Check trotzdem bewundernswert ins Zeug. Man beachte den schönen Übergang der zwei Flüssigkeiten, die entsteht, wenn man vorsichtig eingießt.
The Reality Check
einige gemuddelte Beeren der Saison (ich nehme Stachelbeeren)
⅔ oz polnischer Vodka (z.B. Grasovka)
⅔ oz Becherovka
¼ oz Limettensaft
⅓ oz Zuckersirup
1 Spritzer Zitronenbitter
Alle Zutaten auf Eis shaken, dann aufgießen mit…
2⅔ oz BraufactuM Soleya Saison
[Rezept nach Simone Caporale]
Das Soleya Saison wird mit Pilsener Malz, Karamellmalz, Röstmalz und Weizenmalz angesetzt, und mit Enigma und Magnum gehopft. Das ganze ist dann abgefüllt in 355ml-Sonderflaschen zu einem nicht unbescheidenen aber auch nicht übertriebenen Preis von knapp 2,50€ ganzjährig erhältlich, in den inzwischen weit verbreiteten BraufactuM-Spezialkühlschränken beispielsweise. Ich werde hin und wieder gern zugreifen, auch wenn nicht gerade Erntezeit ist. Und muss mir dann eine Entschuldigung für den Kollegen ausdenken, der mir den Spekulatius brachte, und dem ich eine Tirade über Saisonware hielt.