Alter ist für viele braune Spirituosen ein wichtiger, qualitätsbestimmender Faktor, weswegen die Hersteller sich gern mit allerlei Altersbekundungen auf Flaschenetiketten überschlagen. Manchmal, wie beim Carlos I Solera Gran Reserva XO Brandy de Jerez (ausgesprochen wird der erste Namensteil übrigens korrekterweise „Carlos Primero“), kann die eigentlich der Information dienende Auszeichung aber auch zum spektakulären Chaos führen.
Das XO im Namen steht für Extra Old, eine der Qualitätsstufen neben VS und VSOP, die man für Weinbrände festgelegt hat. Ist für die Qualitätsstufe VS (Very Special) ein Mindestalter der beteiligten Weinbrände von 2 Jahren vorgeschrieben und für VSOP (Very Special Old Pale) ein Mindestalter von 4 Jahren, so liegt das Mindestalter für die jüngste der beteiligten Blendkomponenten bei XO bei 6 Jahren.
Die XO-Kennzeichnung findet man aber nur auf dem Karton, nicht auf der Flasche selbst; auf dem Etikett der Flasche ist nur eine andere Altersangabe vorhanden, nämlich versteckt in der Bezeichnung Solera Gran Reserva. Dies bedeutet, dass dieser Brandy in einem Solera-Verfahren hergestellt wird, bei dem das Durchschnittsalter der Abfüllung mindestens 10 Jahre beträgt (das Solera-Verfahren erläutere ich kurz bei meiner Whiskey-Solera-Flasche).
Um das Kennzeichnungsdickicht vollständig undurchschaubar zu machen, wird dieser spanische Brandy aus dem Hause Osborne zu guter letzt auch noch in vielen Shops mit der Altersangabe „12 Jahre“ versehen verkauft. Wie alt ist er nun?
Das Verwirrspiel ruht daher, dass hier Mindestaltersangaben für Blendteile, wie das XO, in Konflikt mit Durchschnittsaltersangaben für die Gesamtabfüllung, wie dem Solera Gran Reserva, stehen. Ich kombiniere daher nun aus den ganzen Angaben, dass wir beim Carlos I eine durchschnittlich 10 Jahre alte Solera-Abfüllung vor uns haben, bei der der jüngste Anteil 6 Jahre alt ist (ob das mathematisch möglich ist, müsste nachzurechnen sein; allein mir fehlt die Ausdauer für diesen Versuch). Den Verweis auf „12 Jahre“ halte ich für einen einfachen Fehler, resultierend aus all diesen unscharfen Qualitätskennzeichnungen – eine absolute Altersangabe ist bei Solera-Verfahren eh nicht möglich. Ich lasse mich gern bezüglich dieser Mutmaßungen eines besseren belehren, wenn jemand klarere Informationen hat.
Farbe ist, wie man schon auf dem Foto erkennen kann, ein tiefes, kräftiges Braun, in der Flasche fast blickdicht, im Glas mit schönen rostroten Reflexen, entstanden leider zumindest zum Teil aus Zuckerkulör, wie bei inzwischen fast allen braunen Spirituosen.
Frisch nach dem Eingießen ins Glas riecht es erstmal stark schwefelig und scharf nach Alkohol. Ich lasse den Brandy erstmal etwas atmen und schnuppere dann erneut. Auch nach einigen Minuten ist die scharfe Fahne, die meine Nasenschleimhaut angreift und mich kaum nach Aromen suchen lassen kann, noch da. Etwas dunkles Obst, süßliche Töne und Schokolade kann ich erahnen.
Scharf und brennend ist der Carlos I entsprechend auch im Mund. Minimale Frucht und ein Hauch Schokolade sind in einer etwas undefinierten Süße gefangen, doch der Haupteindruck ist einfach nur: Scharf. Zumindest ein recht voller Körper rettet den Brandy – dicht ist er, ohne Frage, aber durch Schwefel und Feuer werden leider alle anderen, vielleicht in diesem schönen Körper vorhandenen Aromen überdeckt.
Auch im Abgang spürt man nun, wie es heiß den Rachen hinunterläuft. Dieser seltsame Schwefelgeschmack verbleibt am Gaumen, zusammen mit einem recht unangenehmen Gefühl der betäubten Geschmacksknospen auf Zunge und Backen.
Ich bin sehr überrascht, dass ein so alter Geist noch so kratzbürstig daherkommen kann. Ich kenne andere Brandys, die viel genehmer sind, und sich nicht wie die Axt im Walde in meinem Mund aufführen, auch ohne sich mit Altersangaben zu überschlagen. Nach der Verkostung halte ich diesen Brandy, der viel verspricht, aber nur wenig abliefert, und das dann auch noch in einer frech-patzigen Weise, für ein arrogantes Produkt.
Zum Purtrinken muss man schon etwas Leidensfähigkeit mitbringen. Für mich ist er allerdings eben durch die Eigenschaften, die ihn allein so burschikos machen, ein perfekter, starker Spieler in einem Team. Der Cocktail The Enchantress zeigt, dass, wenn er durch Portwein eingebremst wird, der Carlos I durchaus seine Qualitäten hat und durch den angesprochenen voluptuösen Körper bei der Magie der Zauberin mithelfen kann.
The Enchantress
2 oz Carlos I Solera Gran Reserva XO Brandy de Jerez
2 oz Tawny Port
½ oz Limettensaft
2 Teelöffel Orange Curaçao (z.B. Le Favori)
Immer wieder bekommt man Spirituosen wie diese in Geschenksets, die ein kleines Zusatzpräsent aufweisen. Ich habe beim Großmarkt Metro zugeschlagen, als diese Flasche mit einem wirklich schönen und hochqualitativen Schott-Zwiesel-Tumbler für 16€ zu ergattern war.
Ich bin gespannt auf 2016, wenn sich die Bedingungen für die Verwendung der Qualitätsbezeichnung XO ändert: Dann muss der jüngste Bestandteil der Mischung 10 statt 6 Jahre alt sein. Eventuell hat sich dann das Verwirrspiel ums Alter erledigt, denn ich bezweifle, dass der Hersteller das mit dieser Solera hinbekommen wird.
Hi, als Sherry- und Brandyfan habe ich eine ausgeprägte Abneigung gegen die meisten Produkte aus dem Hause Osborne entwickelt und kann Deine Einschätzung gut nachvollziehen. Meine Favoriten im Bereich Brandy sind von Gutierrez Colosia und Barbadillo.
LG
Lew
http://www.gutierrezcolosia.com/Vinos/Brandies/Vinagre/Weine/Brandys/Essige/
https://www.barbadillo.com/en/product/brandy-solera-gran-reserva/