Scotch- und Bourbon-Trinker wie auch Rumfreunde sind immer auf der Suche nach lange gelagerten Exemplaren der Droge ihrer Wahl. Für viele ist das Alter ein Synonym für Qualität, und sie schauen eine Spirituose, wenn sie nicht mindestens 10 Jahre in einem Fass lag, gar nicht erst an. Für diese geriatrophilen Gourmets ist es meist eine Überraschung, wenn sie mit Tequila konfrontiert werden – dort sind 3 Jahre Fassreifung schon sehr viel. Warum ist das so?
Anhand dieses Tequilas, dem Agavita Añejo Tequila, kann man das gut erkennen. Während die Zuckerquelle beispielsweise bei Scotch, die Gerste, zwei- bis dreimal im Jahr geerntet wird, braucht eine blaue Weberagave um die 7 Jahre, bis sie reif zur Tequilagewinnung ist. Dass eine Pflanze in einem so langen Zeitraum eine sehr viel stärkere, eigene, aromatischere Zuckerbasis in sich aufbauen kann als ein Getreide sorgt dafür, dass das, was nach der Vermaischung aus der Destille tröpfelt schon von sich aus viel mehr Aromastoffe aufweist als ein Gersten-, Weizen- oder Roggenbrand. Beim Whisky ensteht der Großteil der Geschmacksstoffe erst durch die lange Zeit im Fass; beim Tequila ist das, was ihn ausmacht, schon direkt von Anfang an da. Und diese Agavenaromatik ist es, die der Tequila-Aficionado sucht und wünscht. Durch lange Fasslagerung würde diese grasige, lebendige und vor allem feine, luftige Fruchtigkeit durch starke, schwere Holznoten überlagert und dem Tequila seine größte Stärke rauben. Für mich sind daher die Blancos, vielleicht noch die Reposados, die wahren Könige des Tequila. Die Añejos sind zwar meist weicher, aber auch weichgespülter als ihre jüngeren, ungereifteren Verwandten. Und das erkennt man auch an diesem Agavita Añejo sehr schön.
Die Farbe, die in der Flasche für einen Tequila sehr dunkel erscheint, ist dann etwas heller im Glas, wo man den leichten Geruch, etwas mineralisch, vielleicht minimalst metallisch, dagegen aber sehr agavenfruchtig, genießen kann. Karamell und Aprikosen deuten auf das Alter hin. Ein ansprechender, typischer und feiner Tequilageruch.
Die Zunge wird leicht gekitzelt durch die vorhandene Würze, im Hals kratzt es ein klein wenig. Die Süße eines guten Tequila ist vorhanden, doch sonst ist die Aromendichte relativ gering; für einen Añejo-Tequila kommt er mir recht dünn und schmalbrüstig vor, und ich vermisse Reifenoten. Ich hätte ihn in einer Blindverkostung für einen Reposado gehalten, was nicht unbedingt schlecht ist. Es fehlt an Körper und Volumen, auch wenn der Agavita ansprechend agavenfruchtig ist, und mir der Hauch einer Mentholnote, die auf Zunge und Gaumen verbleibt, sehr gefällt. Ein gewisser Mangel an Komplexität und Charakter dagegen könnte Kenner enttäuschen. Auch der Abgang ist sehr kurz, und enttäuschend schnell verflogen.
Natürlich verwende ich so einen Tequila dennoch gern in einem Cocktail – er hält sich dezent im Hintergrund, gibt aber dem Cocktail den typischen Agavenduft. Als Beispiel für einen Cocktail, in dem der Agavita Añejo sehr gut funktioniert, erwähne ich hier mal den Charming Foxhole.
Charming Foxhole
1½ oz Agavita Añejo Tequila
½ oz Aperol
½ oz Süßer Wermut (z.B. Carpano Antica Formula)
¼ oz Amaro (z.B. Villa Rillago Amaro)
2 Spritzer The Bitter Truth Créole Bitters
Erhältlich ist dieser gealterte Tequila im Großhandel bei Metro für rund 17€, er ist in der gleichen Flasche wie sein Verwandter, der Agavita Platinum Blanco, abgefüllt, und weist ein nur leicht anderes Etikett auf, das aber in seiner schlichten Eleganz zu überzeugen weiß. Ein Plastikkorken verschließt die Flasche.
Während der eben angesprochene Agavita Platinum ein Preisleistungswunder ist, ist der Añejo vergleichsweise diesbezüglich nicht ganz so spitze. Trotzdem: Für diesen Preis in Deutschland einen 100%-Agave-Añejo zu bekommen ist ein gutes Zeichen, und im Vergleich zu Mixtos ist dieser Tequila natürlich trotz allem eine andere Welt.
Tequilafreunde, die einen günstigen Alltagstequila suchen,aber auch Anfänger, die mal einen gealterten Tequila probieren wollen, können sicherlich einen Blick riskieren und machen nichts falsch dabei; wenn man aber nur einen Añejo im Leben trinken will, sollte man sich eher nach anderen, körpervolleren, aromatischeren und komplexeren Tequilas umschauen.
Ein Kommentar zu “Älter bedeutet nicht auch weiser – Agavita Añejo Tequila”