Im Magazin Spiegel erschien 1964 ein Bericht über den Rumkrieg in Deutschland, der zwischen den alteingesessenen Rumverschnitt-Herstellern und den Verkäufern unverschnittenen Rums, inbesondere des französisch-kolonialen Rhum Negrita, ausbrach.
Auf dem TV-Bildschirm flimmert das Interieur einer Hafenspelunke. Vor der Theke schäkert ein blonder Seemann mit einer offenherzigen Kreolin und bestellt: „Einen Rum!“ Der fette, schmierige Wirt füllt ein Glas, doch der Seebär schlägt es ihm wütend aus der Hand: „Du Schurke, einen echten Rum habe ich verlangt.“
Mit derart harter Werbung für „echten Rum“ von den tropischen Inseln Martinique, Guadeloupe und Reunion sind die Franzosen in den gehegten Markt eingebrochen, über dem bislang allein „die Sonne Jamaicas“ aus Flensburg schien.
Das ganze ging 1966 noch weiter; es dauerte also eine erkleckliche Weile, bis auch deutsche Rumfreunde lernen konnten, wie Rum tatsächlich schmeckt. Noch heute findet man Rumverschnitt in Supermärkten; meist sind es aber nur kleine Fläschchen, die bei den Backzutaten liegen, oder als Grog-, Koch- oder Teezutat genutzt werden; er hat den Kampf gegen den „echten“ Rum also klar verloren. Gottseidank, wer will schon einen Rum trinken, der nur zu 5% tatsächlich aus echtem Rum bestehen muss, und der Rest aus Primasprit und Wasser kommt darf.
Der Rhum Negrita, der in den sechziger Jahren so über Deutschland hereinbrach, ist also ein wichtiger Teil der deutschen Rumgeschichte. Bis heute findet man ihn in Supermärkten, mit der alten, namensgebenden Titelfigur auf dem Etikett, bei der es wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die ausufernde political correctness auch diese Traditionsfigur aus unserem Blickfeld verbannt. Ich halte es da mit Capn Jimbo: Es ist gar nicht so schlecht, wenn man hin und wieder an die Vergangenheit erinnert wird, denn gerade der Sklavenhandel lebte lange Zeit vom Rum.
Beim Negrita handelt es sich um einen Blend aus Rums aus den französischen Überseedépartements Martinique, Guadeloupe und Réunion – dabei ist es aber kein „rhum agricole“, wie viele von dort, sondern ein „rhum traditionnel“, also ein Brand auf Melassebasis. Man muss keine feine Nase haben, um diesen Rum nach dem Eingießen im Glas zu erkennen: Die hocharomatischen, überwältigend süß-fruchtigen Noten, wie ich sie bei noch kaum einem anderen Rum gerochen habe, springen einem regelrecht ins Gesicht; dazu holzig-grasige Gerüche, die man als Rumfreund schon kennt.
Der Rum liegt mit einer öligen Konsistenz süß auf der Zunge und am Gaumen. Ich meine, Banane und Ananas herauszuschmecken. Ein leichtes Alkoholbrennen, eine gewisse Schärfe, die nicht unangenehm ist, gleicht die Süße sehr gut aus. Man schmeckt später eine deutliche Bitterkeit am Gaumen und Zäpfchen. Der Abgang ist sehr trocken mit Marzipan-Anklängen. Ein Hauch Lakritz. Ein stärkerer Hauch Lebkuchen: Sehr vielfältig und spannend im Spektrum ist dieser Rum, er erinnert an Jamaica-Rum mit seinen vielen Estern.
Ein Rhum traditionnel, der wunderbar auch in Cocktails verarbeitet werden kann, die einfach nach „dunklem Rum“ verlangen, und diesen dann einen verruchten kleinen Twist gibt. Selbstverständlich sind aber auch agricole-Rezepte, wie der Süßspeisenersatz Whispers in the Cane, ein ideales Einsatzgebiet.
Whispers in the Cane
1½ oz gereifter Rhum agricole
¼ oz Chartreuse Jaune
¼ oz Kirschlikör
2 Spritzer Peychaud’s Bitters (alternativ The Bitter Truth Créole Bitters)
Auf Eis rühren.
[Rezept nach Chemistry of the Cocktail]
Es ist, ehrlich gesagt, kein Wunder, dass so ein Rum die Spirituosenwelt der 60er Jahre aufmischen konnte. Schade, dass er heute selbst vom Hersteller mit Kochrezepten auf dem Rückseitenetikett und einer auf Kochverwendung ausgerichteten Website in eine Nische gedrängt wird, die ein so charismatischer, attraktiver Rum keineswegs verdient.
Der Rhum Negrita ist ein netter Einstieg in die Welt des ungewohnten französisch-karibischen Rumstils. Wenn man noch wenig Erfahrung mit dieser ganz eigenen Gattung des Rums hat, weist dieser Rum einem sanft den Weg, da er zwar schon den Charakter, aber nicht die Zähne, die ein weißer rhum agricole durchaus zeigen kann, aufweist; dazu mit einem brillianten Preisleistungsverhältnis. Darauf einen Echten, Ihr Schurken!
2 Kommentare zu „Einen Echten, du Schurke! Rhum Negrita“