Wiederaufblühende Tradition – Six Brothers Mahura

Six Brothers Mahura Titel

Kolonialisten haben überall auf der Welt versucht, traditionelle Lebensarten der eroberten Gebiete zu verbieten und zu unterdrücken, um Widerstand klein zu halten, die lokale Wirtschaft auszubeuten, und gleichzeitig einen neuen Markt für die eigenen Produkte zu schaffen. Der Bombay Abkari Act von 1878 im Bereich des Britischen Raj schob dabei noch ein Schutzbedürfnis für die sich sonst scheinbar dauernd zu Tode saufende Bevölkerung vor, im Mhowra Act 1892 war spätestens klar, dass ganz banal und egoistisch regionale indische Spirituosen zugunsten der von den Briten importierten Alternativen verboten werden sollten. In letzterem ging es ganz speziell um den traditionellen Mahua, der seit Urzeiten aus den Blüten des Madhuca-longifolia-Baums gemacht wurde. Dieser, wie auch seine weißen Blüten, werden je nach Region Mahua oder Mahura genannt, manchmal auch kolloquial Wishing Tree, der Brand heißt also wie das Basismaterial, in etwa so wie unser „Kirsch“ oder „Williams“.

Auf dem Etikett des Six Brothers Mahura findet sich die Schreibweise, die im Bundesstaat Maharashtra, direkt an der Küste in der Stadt Mumbai, üblich ist; hergestellt wird er bei South Seas Distilleries, die die ältesten Kupfer-Potstills in Indien beherbergen. In ihnen wird der Mahua doppelt gebrannt und anschließend auf Platin gefiltert. Kleine Batches macht man nur, und ist besonders stolz darauf, die alte Tradition, die beinahe durch den Kolonialismus und die darauf folgende indische Prohibition zerstört war, wieder aufleben zu lassen. Die sechs Brüder, die dem vorliegenden Brand als Namensgeber dienen, sind Khurshedji, Faramroze, Rustomji, Kuvarji, Nanabhoy und Jehangirji, ihre Geschichte geht zurück bis 1885, seit 1922 wurde in ihrem Namen Mahua kommerziell hergestellt, bis die eben genannte Prohibition im nun unabhängigen Indien zuschlug und nach dem britischen Kahlschlag erneut alles verloren schien; und gute hundert Jahre später greift man die Tradition wieder auf, zum dritten Versuch, diese traditionelle Spirituose für den breiteren Markt verfügbar zu halten. Mahua trinkt man üblicherweise pur, vielleicht leicht verdünnt, gerne zusammen mit würzigscharfen Snacks, und aus Trinkgefäßen aus Ton, besonders bei festlichen Gelegenheiten. Ich gieße mir erstmal ein paar Schlucke in ein normales Verkostungsglas ein, bevor ich mich an die traditionelle Konsumweise wage.

Six Brothers Mahura

Der Mahua ist ungereift und ungefärbt, hat eine kristallklare Transparenz und keine optischen Fehler. Man sieht beim Drehen des Glases eine gewisse Öligkeit, aber keine Schwere; es bilden sich vereinzelt fette, wenig abgegrenzte Beinchen, die eine Weile am Glas haften bleiben.

Für die Nase kommt es durchaus exotisch, aber auf eine unerwartete Weise. Zunächst erhält man eine volle Dosis erdiger Wurzeligkeit, dazu frisch abgeschälte Kartoffelschalen – diesen Aspekt hätte ich bei einem Blütendestillat nicht als erstes erwartet. Danach findet eine tropische Fruchtigkeit den Weg nach vorn, Litschi und Guave, und etwas grüne Ananas. Das passt insgesamt besser zueinander, als es vom Wortlaut her klingen mag, und baut eine angenehme Spannung auf. Recht grün im Eindruck, würde ich sagen, unreife Früchte, ein bisschen frisch geschnittenes Gras, noch mit etwas Erde dran, und mit etwas noch mehligem Weißdorn und herber Vogelbeere. Ingwerschale und Topinambur könnte man auch noch erkennen. Man merkt, da ist viel zu entdecken, ohne dass der Brand sich wirklich aromatisch dramatisch zeigt, eine recht klare Struktur transportiert dies alles.

Six Brothers Mahura Glas

Ein süßer, sehr leichter und texturell dennoch weichrunder Antrunk startet den Geschmackseindruck, das liegt sehr angenehm im Mund, mit der fortgesetzten Klarheit in der Struktur, ein wirklich feines, elegantes Mundgefühl. Die Aromatik zeigt sich dabei ähnlich zusammengesetzt wie schon gerochen, eine gut funktionierende Mischung aus Erde, Wurzel, tropischer Frucht, herber Beere und einem grünen Aspekt. Die Exportvariante, die ich vor mir habe, weist 40% Alkoholgehalt auf, diese sind hervorragend eingebunden und bringen nur ein leichtes, mildes Prickeln im späten Verlauf hervor, wenn sich zur Grundsüße auch eine ausgleichende Säure dazugesellt. Im Abgang wirkt der Six Brothers Mahura minimalst astringierend, wird hier herber mit ganz dezenter Bittere, aus der dann endlich auch die Floralität erblüht, die ich vom Basismaterial irgendwie die ganze Zeit erwartet hatte. Weiße Blüten, dann mehr als nur ein Touch Lilie und Geranie, dominieren den Nachhall dann für eine ausdauernd lange Zeit, während auf der Zunge ein bisschen Salzigkeit und weißer Pfeffer liegt.

Eine besondere Spirituose, die für mich insbesondere in dieser wirklich besonders eleganten Struktur und dem aromatisch äußerst unterhaltsamen Abgang und Nachklang zeigt, was sie kann. Vielleicht liegt sie jemandem, der mit deutschen Kräuter- und Pflanzenbränden verbunden ist, näher, als die weite Entfernung zwischen den Ländern es vermuten lässt; wer die (wahrscheinlich aktuell sehr kleine) Chance nutzen kann, so etwas wie den Six Brothers Mahura zu probieren, darf sie jedenfalls sicher nicht ungenutzt verstreichen lassen.


Natürlich ist die Anzahl an Cocktailrezepten, die spezifisch nach Mahua als Hauptspirituose verlangen, sehr übersichtlich. Auf der Homepage von Six Brothers werden verschiedene Rezepte vorgestellt, vom einfachen Long Drink bis zum elaborierten Vielzutater. Mich hat direkt der Jade Goddess angesprochen, neben dem schon seltenen Mahua muss man sich auch noch Gurkensaft machen (eine Gurke hat zwar gefühlt viel Wasser, sie gibt es aber nur wiederwillig her, wie ich beim Entsaften feststellen musste). Natürlich muss man Koriander mögen, ich liebe ihn, darum finde ich diesen Drink einfach großartig.

Jade Goddess Cocktail

Jade Goddess
3 Zweige Koriander und einen Limettenschnitz im Shaker muddeln
2oz / 60ml Mahua
2oz / 60ml Gurkensaft
½oz / 15ml Zuckersirup
⅓oz / 10ml Limettensaft
5 Tropfen Tabasco
Auf Eis shaken. Doppelt auf einen großen Eiswürfel abseihen.
Dekorieren mit einer Gurkenrinde, Koriander und einer Blüte.

[Rezept nach Six Brothers]


Sehr hübsch ist die Flasche gestaltet, mit vielen im Glas eingelassenen Details und einer Form, die dem Anspruch, eine hochwertige, traditionelle Spirituose zu beinhalten, sehr gerecht wird. Der Kunststoffkorken wird von einem schönen Holzdeckel gekrönt; die Etiketten sind ausgesprochen ansprechend in ihrem blauweißgoldenen Design, sie machen klar, dass wir hier eine besondere Flüssigkeit vor uns haben.

Ich bin ja auf dem theoretischen Wege zu Mahua gekommen – die Beschreibung, die Rojita Tiwari und Ulric Nijs für die aktuellen Spirits Guidelines, dem offiziellen Handbuch für Juroren bei Spirits Selection by CMB, formuliert hatten, hat mich sofort fasziniert; das tatsächliche Selbstprobieren kam erst später; und inzwischen habe ich erfahren, dass bei der letzten Ausgabe des Spirituosenwettbewerbs in Mexiko der Six Brothers Mahura auch eine Silbermedaille erhalten hat. Das muss man einordnen, es ist kein einfach zu bewertendes Destillat, das mit Erklärung ganz sicher noch besser funktioniert als blind, und umso wertvoller ist so eine Silbermedaille zu sehen. Extrem erfreut war ich, dass Rojita ein Flasche davon für die traditionell gewordene Privatverkostung besonderer Spirituosen am Abend mitgebracht hatte, die ich mir, nachdem die Juroren ein bisschen davon probiert hatten, gemopst und mit nach Deutschland gebracht habe. Ein so tolles Netzwerk hilft also enorm bei der Jagd nach dem verlorenen Traditionsbrand!

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

2 Kommentare zu „Wiederaufblühende Tradition – Six Brothers Mahura

  1. Lieber Herr Barro,

    Sie haben es wieder mal geschafft, bei mir großes Interesse an einer Spirituose zu wecken, die man hier offenbar nicht bekommen kann. Oder doch? Beim Googeln stößt man zwar auf Urban Drinks in Berlin, aber auf deren Website findet man den Mahura oder Mahua dann nicht mehr.

    Man möchte schließlich nach dem Lesegenuss auch den den richtigen erleben.

    Viele Grüße,

    Felix Richter

    1. Hallo Herr Richter,

      wenn Sie mir an meine Emailadresse schlimmerdurst@gmail.com einfach Ihre Adresse schicken, lasse ich Ihnen gerne eine Probe zukommen – aktuell ist zumindest der Six Brothers Mahura in Deutschland nicht erhältlich, aber ich möchte natürlich, dass Sie ihn zumindest probieren können.

      Viele Grüße!

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