Bittere Medizin – Tonghua Shenxueshan Ginseng-Wolfsbeere-Likör (通化圣雪山人参枸杞酒)

Tonghua Shenxueshan Ginseng-Wolfsbeere-Likör (通化圣雪山人参枸杞酒) Titel

Früher war es noch viel weiter verbreitet, aber auch heute ist es eigentlich noch ganz selbstverständlich – Alkohol als Transportmittel für Medizin. Vom Magenbitter, der schon im Namen seine Heilkraft für den nach üppigen Mahlen geschundenen Bauch trägt, bis hin zu Wick Medinait, das ja eigentlich ein höchst verrückter Cocktail aus Zucker, Schmerzmittel und viel Alkohol ist, kein Wunder, dass man da gut schläft danach. Der Alkohol selbst ist dabei eigentlich selten im Zentrum, sondern wird eher als Extraktionshilfe für die heilenden Stoffe von Pflanzen genutzt. Aber wenn die Medizin auch ein bisschen knallt, trinkt man sie halt doppelt so gern, vor allem, wenn sie bitter und sauer ist von den Wurzeln, Blüten und Stängeln, die verarbeitet wurden.

Auch in der TCM, der traditionellen chinesischen Medizin, ist das Konzept ganz selbstverständlich, und auch dort gehen Medizin und Genuss oft ineinander über, zu beobachten im Tonghua Shenxueshan Ginseng-Wolfsbeere-Likör (通化圣雪山人参枸杞酒), den ich von meiner letzten Reise mit Spirits Selection by CMB 2024 aus China mitgebracht hatte. Die vier Hauptzutaten werden auf dem Etikett klar benannt, sind auch schon im Namen untergebracht: Baijiu als Alkoholbasis, Zucker (um die 300g/L), Ginseng aus Kulturaufzucht (die Wurzeln sind die 5 Jahre alt), und schließlich Wolfsbeere. Die Wolfsbeere ist hierzulande vielen vielleicht eher unter dem Namen „Goji“ bekannt und war eine Weile als Superfood in aller Munde, im wahrsten Wortsinn. Der Likör stammt aus der Provinz Jilin im Nordosten Chinas, wo es kalt und trocken ist, da braucht man öfter was zum Aufmuntern; Ginseng ist eines der wichtigsten tonisierenden Kräuter in der TCM, es wird zur Stärkung des Körpers und zur Unterstützung der Vitalenergie eingesetzt; der Wolfsbeere werden Anti-Ageing-Effekte nachgesagt und auch sie unterstützt die Vitalität. Ein durchweg gesundes Getränk also, das ich da mitgebracht habe!

Tonghua Shenxueshan Ginseng-Wolfsbeere-Likör (通化圣雪山人参枸杞酒)

Die eingelegte Wurzel gibt dem Likör vielleicht auf Dauer noch etwas Farbe, im Glas sieht man jedenfalls jetzt ein leichtes Pastellgold, in dem kleine Partikel schwimmen, das ist hier natürlich kein Fehler, sondern eben jener Wurzel geschuldet. Deutlich ölig legt sich der Likör auf die Glaswand und erzeugt dicke, schnellablaufende Beine.

Die Nase erinnert im ersten Eindruck an Enzian oder Meisterwurz, jedenfalls sehr erdig und nach frischausgegrabenen Wurzeln; nicht ganz so herb und klar wie ein Enzian vielleicht, aber dem schon sehr nahekommend. Eine deutliche Holznote klingt mit, und schon etwas ältere Brotkruste. Die Wolfsbeere erscheint zeitnah im zweiten Eindruck, mildfruchtig, aber nicht die grundsätzliche Herbe aufbrechend. Eine Gewürznote kommt dazu, etwas, das an Lebkuchen erinnert. Leichte Kakaotöne ergänzen das. Insgesamt interessant und ungewohnt, in der Mischung durchaus komplex.

Tonghua Shenxueshan Ginseng-Wolfsbeere-Likör (通化圣雪山人参枸杞酒) Glas

Der Antrunk ist zunächst erstmal starksüß, sofort schmeckt man diese erdige Wurzeligkeit, mit erkennbarer Bittere. Die Kombination von herber Gojibeere und Ginseng ist gewöhnungsbedürftig, sie verbinden sich gut, sind aber klar separat erkennbar und erzeugen eine sensorische Spannung, die bis zum Schluss nicht wirklich aufgelöst wird. Holzig wirkt der Likör am Gaumen, im Verlauf dann immer weniger süß, aber nie ins Trockene kippend. Dafür entsteht Säure, mild und fein, die alles etwas aufklart. Im Abgang kommt die Brotkruste voll durch, dezente Wärme entsteht, die sich im Mundraum ausbreitet. Im Nachhall erscheint der Likör grün, gurkig und blattschnittig, mit Ginseng als Endpunkt; hier wirkt alles dann harzig und erinnert an Mastiha.

Sicherlich keine Spirituose, die man sich so abends mal eingießt. Ich weiß tatsächlich wenig Einsatzmöglichkeiten, in der sie pur so richtig überzeugend wäre, dazu ist die Kombination aus Wurzel und Beere zu exotisch, die Kontraste im Allgemeinen zu stark. Für den experimentierfreudigen Genießer definitiv einen Blick wert, aber eine Flasche, die nicht schnell leer werden wird; vielleicht sollte man es einfach als Medizin sehen, wie die Chinesen es tun.


Der letzte Eindruck der Verkostung bringt mich dazu, ein Cocktailrezept anzubieten, das eigentlich Mastiha als Hauptkomponente verwendet. Der Drink hat keinen Namen, ich habe ihn bei den Kollegen von Zucker & Zeste gefunden – tatsächlich passt die unterschwellige Beerigkeit des Tonghua Shenxueshan Ginseng-Wolfsbeere-Likör eigentlich recht gut in dieses Rezept!

(unbenannt) Cocktail

(unbenannt)
40ml Mastiha
20ml Johannisbeeren-Likör
20ml Zitronensaft
Auf Eis shaken. Mit Sprudel aufgießen.

[Rezept nach Hendrik Fröhlich]


Ich in chinesischem Supermarkt

Ich gebe zu, ich habe dieses Getränk eigentlich rein aus dem Impuls des optischen Eindrucks während einem kurzen Busstop an einer chinesischen Mall gekauft, und wenn man diese tolle Ginsengwurzel in der schnuckeligen kleinen Flasche mit Plastikstöpsel und Ausgießlippe sieht, die noch die grobe Schnur um den Hals hat, kann man das mir, hoffe ich, nicht verdenken. Es ist jedenfalls ein Blickfang.

Das Erlebnis, diesen chinesischen Supermarkt zu besuchen, war jedenfalls einmalig (links hat eine Bekannte noch schnell ein Foto geschossen, auf dem ich die Einkäufe gerade in der Hand halte), und ich erinnere mich gern daran, wenn ich die Flasche des Tonghua Shenxueshan Ginseng-Wolfsbeere-Likör in die Hand nehme. Ein besonderer Dank geht natürlich an Amy Bartholomeusz, die mir dort geholfen hat, als mein WeChat-Payment nicht funktionierte an der Kasse. Ohne sie hätte ich diesen exotischen, besonderen und einmaligen Likör heute sicher nicht vorstellen können!

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

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