Ich hasse es, wenn das passiert – als angeblicher Spirituosenkenner stolpert man bei seiner Lieblingssendung über eine Frage, die sich um dieses Thema dreht. Schnell ist man ratlos und wird auf seine eigene Unwissenheit gestoßen. Allerdings muss man schon zugeben, dass es eine sehr spezielle Frage war, die bei „Wer weiß denn sowas?“ gestellt wurde. Ich nehme es Elton nicht krumm, dass er es nicht wusste, ich bezweifle sogar, dass viele Experten es richtig beantworten hätten können (außer durch Raten, natürlich) – alle Antworten sind für mich gleichermaßen plausibel.

Scheinbar haben amerikanische Forscher wirklich herausgefunden, dass, wenn ein Bourbon verdunstet, dessen Mizellen platzen und dadurch die Schwebstoffe, die an ihnen gefangen waren, freisetzen. Diese Schwebstoffe setzen sich auf einer Petrischale ab und erzeugen ein eindeutiges Muster, aus dem man ablesen kann, welcher Bourbon es war, der hier verdunstet ist. Spannend, was man im Fernsehen lernen kann, auch im Schnapsbereich, da zahlt man doch gern seine GEZ-Gebühren.
Wie das Verdunstungsmuster des Wild Turkey 101 Kentucky Straight Bourbon Whiskey aussieht, kann ich hier leider nicht wiedergeben. Wir haben ja zum Glück eine ganze Flasche mit Etikett und allem, was dazugehört, so dass wir keine obskuren chemischen Experimente brauchen, um zu identifizieren, dass wir hier einen Bourbon mit High-Rye-Mashbill vor uns haben, der „up to 6 to 8 years“ in neuen Eichenfässern gelagert wurde, die mit der Stufe „deepest char“ ausgebrannt wurden. Das sollte viel Farbe, viel karamellisiertes Holz und Vanillin und ähnliche Effekte erzeugen – probieren wir es mal aus.

Straight Bourbon darf nicht gefärbt werden, daher ist das tolle, leuchtende Orange mit leichter Tendenz zu Terracotta natürlich aus Fassholz entstanden – für mich ist so etwas dann immer doppelt attraktiv. Gemächlich und schwer bewegt sich der Whisky im Glas, hinterlässt dabei fette, dicke, ölige Schlieren. Geruchlich finde ich den Wild Turkey 101 holzig, leicht fruchtig, es gibt doch erkennbar viel Plastikkleber, was man von einigen guten Bourbons kennt. Wie oben schon vermutet riecht man viel Vanille, ein Anflug von feuchtem Stein. Karotte. Honig.
Superweich im Antrunk, „smooth“ ist ein verbotenes Wort, ich gebrauche es hier trotzdem. Cremig, voll, fett und breit, von Anfang bis Ende. Richtig schwere Süße, nach Honig und Agavendicksaft, dann Frucht, ein bunter Korb tropischer Früchte, schließlich viel Vanille und süße, buttrige Weißschokolade, dann Kaffee. Gegen Ende entsteht ein mildes, auf der Zunge kribbelndes Feuer, das rein durch Roggenwürze gespeist wird, und nie durch die nirgends spürbaren 50,5% Alkoholgehalt, die als 101 Proof dem Wild Turkey 101 den Namen gegeben haben.

Der Abgang ist lang, sehr warm, sehr hauchig, mit etwas an Karotte, Plastikkleber und Eisen im Nachhall. Im Mund verbleiben die Aromen, hauptsächlich Vanille und Schokolade, lange, kaum Astringenzeffekte, ein wirklich rundes Bild findet seinen passenden Ausklang mit viel natürlicher, schwerer Süße. Nicht übermäßig komplex, dafür aber wuchtig und charakterstark.
Der starke Puter kann völlig überzeugen – ein richtiges Vanilleschokoladenbonbon mit Kraft und Power. Ein Bourbon, den man wunderbar sowohl pur genießen kann, der aber auch im Cocktail seinen Mann steht. Dazu das großartige Preisleistungsverhältnis – ich bin ein Fan.
Der Left Hand Cocktail ist ein Twist auf einen meiner absoluten Lieblingscocktails, den Boulevardier. Die veränderten Mengenverhältnisse, plus die Verwendung der sehr expressiven und wirklich aktiv den Drinkcharakter ändernden Xocolatl Mole Bitters erlauben es, dem Cocktail einen neuen Namen zu geben – auch wenn ich kein Fan davon bin, mit dem Namen kreativ zu werden, wenn das Rezept selbst gar nicht so übermäßig kreativ ist.

Left Hand Cocktail
1½ oz Bourbon
¾ oz roter Wermut
¾ oz Campari
2 Spritzer Xocolatl Mole Bitters
Auf Eis rühren. Mit Cocktailkirschen servieren.
[Rezept nach Sam Ross]
Dieser Brand zeigt mir einfach wieder, dass Bourbon selbst im günstigen Preissegment einfach eine sehr hochwertige Spirituosenkategorie ist. Die staatliche Kontrolle und die strikten Regeln zahlen sich erkennbar aus – für um die 20€ bekommt man eine Top-Qualität, von welcher anderen Kategorie kann man das schon sagen. Da verzeiht man den Verzicht auf Schnickschnack gern, eine einfache Flasche, ein vernünftig aufwändig gestaltetes Etikett, das passt. Wer es etwas aufregender will, kann den wilderen Verwandten dieses Bourbons, den Wild Turkey Rare Breed, ausprobieren, da ist dann auch die Verpackung geschenktauglicher. Dennoch – wem es nur um den Geschmack geht, der ist beim Wild Turkey 101 bestens aufgehoben.