Ich hatte diese ungewöhnlichen karibischen Bitterspirituosen im Doppelpack gekauft – und über den Florita Amande-Pays Amer Traditionnel Haïtien wurde hier auf meinem Blog ja schon berichtet. Der Rumbrenner Berling, ansässig in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince, hat unter dem Gruppenmarkennamen Florita aber noch dieses andere Produkt im Portfolio, das ich aus vielerlei Gründen direkt aufregend fand und haben musste, den Florita Pete Panno Amer Traditionnel Haïtien. Das erste, was jedem auffällt, ist natürlich der erstaunliche Alkoholgehalt von 94,2%, sowas findet man normalerweise eher in der Drogerie oder der Apotheke, weniger im Endverbraucherbereich eines Spirituosenladens. Doch es sind auch die Inhaltsstoffe, die mich allein vom Namen her schon bezaubert und mich in ein geheimnisvolles Reich aus Botanik, Pharmakologie und diesem manchmal unscharf abgrenzbaren Mischgebiet aus Wissenschaft und Religion versetzt hatten – als großem Anhänger der Psychedelischen Anthropologie (ich verlinke darum gern meinen Gastbeitrag zu einem Aspekt dieses Themas auf meinedrogenpolitik.wordpress.com) ist das ein gefundenes Fressen für mich.
Über die in diesem Kräuterbitter eingesetzten Kräuter muss man darum einfach berichten – drei davon sind höchst exotisch für uns Westeuropäer, und die Namen, die auf dem Rücketikett aufgezählt sind, erfordern eine kurze Erläuterung. Es wird von „Clitorria Virginniaca“ (sic!) berichtet, damit ist wahrscheinlich eine Unterart der Clitoria ternatea gemeint, die eine blaue Blüte hat, die… nun, wenn man das Bild von ihr sieht, weiß man, warum sie so heißt, und warum man ihr aphrodisierende Wirkung nachsagt. „Rynchosa Phaseolides“ (auch hier sic!) ist sicher auch betippfehlert und meint Rhynchosia phaseoloides, die in der Karibik wächst – hier vermutet man Alkaloidgehalte, was euphorisierend und aufputschend wirken kann; auf Haiti gilt sie auch als Potenzmittel, derartige Pflanzen fasst man lose unter dem Begriff bois bandé zusammen. Für den dritten im Bunde brauche ich kein sic, Tetragastis Balsamifera ist ein Baum, der ein sehr aromatisches, weißes Harz abgibt; in Mexiko wird er in der Volksmedizin eingesetzt, darüber hinaus sind in einer direkt verwandten Gattung ebenso Alkaloide identifiziert worden, was ja immer spannend ist für die Psychonauten unter uns, das Holz ist aber wohl auch schlicht ein guter Werkstoff für die, die praktischer veranlagt sind. Nach all dem bin ich jedenfalls, das kann man sich denken, höchstgespannt auf diesen Likör und auf die Auswirkungen!

Schauen wir erstmal, nachdem die Flasche selbst nichts über die Farbe der beinhalteten Flüssigkeit preisgibt, auf den optischen Eindruck im Glas: Ich sehe hier dann Safrangold, sehr leuchtend und mit orangenen Lichtreflexen. Dem Alkoholgehalt angemessen ist dieser Brand extrem viskos, bewegt sich fast schon sirupartig schwer, und lässt dabei einen sich kaum mehr von der Glaswand lösenden, durchgängigen Film.
Die Nase beurteilen wir zunächst mal unverdünnt, wie der Pete Panno aus der Flasche kommt. Da rieche ich direkt mal Anklänge von Backgewürzen, das hat fast schon Lebkuchen-Charakter, Nelken, Anis, sehr viel Zimt, etwas Piment. Kolanuss und Tonkabohne im Ansatz. Gleichzeitig ist das aber etwas heller im Eindruck, mit leicht floralen Noten von Kamille, und sicher auch Ideen von Honig, Wiesenkräutern und einem Ticken Shortbread. Gar nicht so exotisch, wie man es anhand der Zutatenliste vermuten könnte, aber wer weiß auch schon, wie eine Rynchosia riecht, das kann ich nur schwer beurteilen. Ein süßer Tropfen, mit Streuselkuchenaroma, sehr apart, und Ethanol ist zwar bei der tiefen Geruchsprobe erkennbar, aber nicht stechend oder störend, was an sich schon leicht überraschend für mich ist.

Den Gaumen werde ich aber ganz sicher nicht mit derartig Hochprozentigem abtöten, da wird verdünnt, und zwar ordentlich – ich setze das für mich mit Leitungswasser auf geschätzte 60% herab, das ist so die Grenze, die für mich noch vernünftig erscheint. Die Farbe wird dadurch erkennbar brasilholzrötlich, der Geruch schmaler, wermutkrautähnlich, herber und krautiger. Im Mund angekommen zeigt sich trotz der Verdünnung eine sehr weiche Textur, die sich zart und dennoch breit an den Gaumen legt, mit viel Volumen, ohne wirkliche Schwere zu präsentieren. Die Aromatik ist hier noch weniger exotisch, herbe Kräuter und eine mittlere Trockenheit ähneln einem klassischen deutschen Kräuterbitter, das geht dabei eher in Richtung Underberg als Jägermeister, deutlich gewürzlastig, nun eher Kardamom und Muskatnuss als Zimt und Vanille, auch wenn beide vielleicht erahnbar sind. Der Abgang ist weiterhin trocken, aber nicht astringierend, im Rachen deutlich bitter und das Zäpfchen kitzelnd. Zunge und Gaumendach sind lange betäubt, und mit einem eukalyptisch kühlen Hauch klingt das ganze aus.
Wirksam, würzigbitter, trocken – das Ding funktioniert, man merkt im Bauch, wie sich die Wärme langsam ausbreitet. Sicher spannend als Digestif auf Eis; ob aphrodisierende Effekte eintreten, prüfe ich noch eine Weile, außer, es kommen halluzinative Erscheinungen dazwischen: don’t hallucinate and write blogs, wie alle Schreiber wissen.
Für mich persönlich wird das Hauptgebiet dieser Spirituose sicherlich der Cocktail sein. Ich denke, das funktioniert gut in Drinks, die nach herbem Kräuterbitter verlangen; aber gerade die Lebkuchennase bringt mich dazu, das Spektrum auch auf andere, weichere Rollen auszuweiten. Ich ersetze zum Beispiel einfach im Café Colonial den Teelöffel Lebkuchenlikör durch eine doppelte Dosis des Pete Panno, und statt oberflächlicher Süße bekommt man dann wilde, haitianische Weihnachtszeitbackstubeneindrücke.

Café Colonial
1 Stück Würfelzucker mit…
5 Tropfen Schokoladenbitter und…
⅓oz / 20ml frischem Kaffee muddeln und verrühren
2oz / 60ml gereifter Rum
1 Teelöffel Lebkuchenlikör
Auf Eis rühren. Auf Eis servieren.
[Rezept adaptiert nach Alberto Martinez]
Erneut ist die Apothekerflasche und das Design einer der ursprünglichen Hauptgründe für mich gewesen, dieses Produkt zu erwerben; es ist einfach schön gestaltet und macht sich richtig gut in der Heimbar, eine passend exotische Verpackung für ein exotisches Produkt. Mir gefällt darüber hinaus das Etikett mit der Reproduktion eines unbenannten haitianischen Künstlers, etwas, worüber ich schon bei meiner Besprechung des Clairin Sonson berichtet hatte – ich finde es großartig, dass hier mit lokaler Kunst gearbeitet wird, und weiterhin wäre ich interessiert daran, die Namen der Maler zu erfahren, die diese eindrucksvollen, expressiven Motive kreiert haben.
Die Frage, die offen bleibt, ist, wer sich so etwas kauft. Das ist sicher eher was für die Nerds, die Hardcore-Bitterliebhaber, die neben den bekannten italoalpinen Amaros und den deutschen Halbbittern mal etwas aus einer völlig neuen Weltregion probieren wollen, und natürlich für die Mixologen, die auf der Suche nach verrückten Zutaten sind, mit denen man den eigenen Drink spektakulär signieren kann. Beide sind sehr gut bedient mit dem Pete Panno, meine ich.