Man kann vielleicht mein Erstaunen nachvollziehen, das ich neulich empfand, als ich bei einem deutschen Onlineshop eine Bestellung tätigen wollte, und dort durchs Sortiment stöberte, um vielleicht noch ein Schnäppchen zu finden. Die Versandkosten wollen ja möglichst amortisiert werden. Und da ich gerne die etwas ungewöhnlicheren Kategorien in solchen Shops durchschaue (am liebsten „Sonstige“ oder „Diverse“), da man da immer etwas Verrücktes findet, entdeckte ich doch tatsächlich einen Baijiu! Natürlich konnte ich da nicht nein sagen, das kommt in den Warenkorb, ohne Frage.
Und so erhielt ich den Jiangxiaobai Pure (江小白) ein paar Tage später per Post, ein Leichtaroma-Baijiu aus der Jiangji Distillery in Chongqing. Das ist dahingehend leicht ungewöhnlich, weil diese Baijiu-Kategorie eher im Norden Chinas beheimatet und beliebt ist, im Süden und vor allem Südwesten mag man eigentlich lieber die aromatischeren Stark- und Saucearoma-Baijius. Nun, man sieht, man kann nicht immer alles so einfach verallgemeinern, es gibt immer Ausnahmen. Auch dass er mit für Baijiu-Verhältnisse niedrigen 40% Alkoholgehalt abgefüllt wurde, ist eher die Ausnahme als die Regel. Immerhin, bei den Basismaterialien und der Herstellung hält man sich an die klassischen Vorgehensweisen, 100% Hirse, Trockenfermentation und -destillation, wie ich sie oft in auch in den nordchinesischen Destillerien gesehen hatte. Auf dem Rücketikett wird insbesondere darauf hingewiesen, dass dieser Baijiu in der Mixologie gut eingesetzt werden kann, eine spannende Aussage; aber zunächst probieren wir ihn mal pur.

Kristallklar, ohne auch nur den Ansatz von Tönung schwappt die Flüssigkeit schwer im Glas, mit klar voneinander abgegrenzten Beinchen läuft sie dann von der Glasinnenwand ab. Es gibt kaum etwas zu berichten, was man nicht schon durch die sehr zeigefreudige Flasche sehen könnte.
Eine sehr saubere, feine Nase begrüßt uns dann – eine Mischung aus Getreide- und milden Fruchtnoten. Sehr typisch für einen Leichtaroma-Baijiu, mit dezenter Erdigkeit und Anflügen von Honig, feuchtem Ton und rotem Apfel. Man findet auch eine Spur von Lack, wenn man tief schnuppert, ansonsten ist das ein sehr elegantes, leichtes Geruchsbild, ohne jede Aggressivität, rund und dabei trotzdem klar.
Im Mund wirkt der Jiangxiaobai noch leichter und heller, fast schon minzig frisch, ohne die Hirse als Basismaterial aufzugeben, sie bleibt von vorne bis hinten erhalten. Eine grundlegende Süße kombiniert sich mit Pfirsich, grüner Banane und etwas Kokosnussfleisch und sorgt für schönes aromatisches Volumen, das durch die glasklare, sehr sauber wirkende Struktur unterstützt wird. Ein wirklich ansprechendes Mundgefühl, mit hervorragend eingebetteten 40% Alkoholgehalt. Nur minimalste Astringenz kommt im Verlauf mit etwas Bittere auf, das liegt weich und zart am Gaumen und drängt sich weder vom Effekt noch von überbordenden Aromen auf. Der Abgang ist entsprechend mittellang, leicht blumig, aber auch hier einfach und für einen Baijiu sehr leise.
Ich erkenne die Typizität der Aromen, die Vorsicht, mit der sich der Jiangxiaobai dem Genießer eröffnet, ist aber schon ungewöhnlich – da ist klar für den westlichen Gaumen hergestellt worden. Das ist nichts Schlechtes oder Ungewöhnliches, mir begegnen bei meinen Baijiu-Verkostungen inzwischen sehr oft solche Produkte, die für spezielle Zielgruppen geeigneter sind als andere. Mit diesem Baijiu kann jedenfalls ein schöner, unkomplizierter Einstieg in die Kategorie ohne Schwierigkeiten gelingen.
Da die Menge an Cocktailrezepten für Baijiu immer noch verschwindend klein ist, bleibt mir oft nichts anderes übrig, als andere Spirituosen in Rezepten von Könnern zu ersetzen; hin und wieder glaube ich, dass diese kleine Änderung das Originalrezept verbessert – bei der hier vorgestellten Variante auf Tony Abou-Ganims Ruby bin ich mir sogar sicher, das trinkt sich richtig gut. Entsprechend gebe ich dem Drink einen neuen Namen. Hongbaoshi ist das chinesische Wort für Rubin, da entferne ich mich also auch in der Benamung gar nicht weit vom Original.
Hongbaoshi
1½oz / 45ml Leichtaroma-Baijiu
¾oz / 23ml Holunderblütenlikör
½oz / 15ml Aperol
¾oz / 23ml Grapefruitsaft
¾oz / 23ml Zitronensaft
1 Eiweiß
Auf Eis shaken.
[Rezept adaptiert nach Tony Abou-Ganims „Ruby“]
Die Flasche hatte ich schon angesprochen, ein optisch hübsches Stück Gesamtdesign, von der eckigen Form über die transparenten Etiketten und die klare Farben- und Geometriesprache hin zum praktischen Schraubverschluss (der sogar dankenswerterweise auf den sonst bei Baijiu sehr üblichen Nachfüllstop verzichtet). Dass man dabei grundsätzlich, bis auf den Markennamen, auf chinesische Zeichen verzichtet, und lateinische Buchstaben verwendet, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass sich mehr chinesische Produzenten zumindest teilweise offiziell nun nach Europa trauen – zumindest dieser Baijiu ist hierzulande verbreitet zu erwerben und hat sogar eine Preisstruktur, die dem, der einfach mal wissen will, wie so ein Baijiu der Leichtaroma-Kategorie schmeckt, den Erwerb nicht schmerzhaft macht. Für 20€ kann man hier reinschnuppern, bekommt zwar keine extreme Baijiu-Kunst geboten, aber ein solides Basisprodukt mit viel Typizität, das einem dabei auch nicht die Faust ins Gesicht haut. Eine gute Mischung, finde ich!