Lange Zeit hatte ich überhaupt keine Beziehung zu Österreich. Als Kind war ich mit meinen Eltern öfters am Mondsee im Urlaub, die Erinnerung daran ist aber höchstens in einzelnen Bildbröckchen noch da. Vor ein paar Jahren war ich dann im Salzburger Land im Urlaub, und spontan habe ich dieses Land sehr schätzen gelernt – die Österreicher haben vollständig verstanden, was Gastfreundschaft bedeutet, wie wichtig der zufriedene Tourist für ihr Land ist, und wie man dafür sorgt, dass der Besucher immer wieder zurückkommt, wenn er einmal dort war. In den Hotels wird jeder noch so absurde Wunsch zumindest freundlich angehört und bearbeitet, auf den Almen ist immer jemand, der einem das dringend nötige Bier nach langer Wanderung eingießt, und in allen Situationen, in denen Service erforderlich ist, findet man freundliche, lächelnde Menschen, die den Gast mit Humor und Herz behandeln. Man sieht, ich bin etwas verzaubert, vor allem, weil ich nach meinen Reisen mit Sicherheit sagen kann, dass dies überhaupt nicht selbstverständlich ist, und damit zeige ich nicht aufs exotische Ausland, sondern hautpsächlich auf die Servicewüste Deutschland, die einem nach einem Österreichaufenthalt immer wieder drastisch vor Auge geführt wird.
Nachdem ich so einige Österreicher nun kennengelernt habe, glaube ich, dass es keine durch wirtschaftliche Zwänge entstandene Situation ist – die Österreicher haben einen feinen Blick fürs Detail, für Perfektion und kombinieren gerne Tradition mit Moderne. Das spürt man insbesondere bei den Genussmitteln dort, und dabei ganz besonders bei Spirituosen. Uralte Familienbetriebe stellen grandiose Obstbrände her, von denen in nachts inzwischen träume, und junge, motivierte Brenner ahmen sie in Neugründungen nach und bereichern die Szene mit frischen Produkten, die aber bereits im ersten Schritt schon extrem ausgereift wirken. Nehmen wir als Beispiel dafür einfach mal den Wildwerk7 Gnadenwald Dry Gin. Michael Flunger hat als Quereinsteiger vor einer Weile seine Brennerei in Mötz/Tirol im Nebenbetrieb eröffnet – und ein paar Jahre später kommt von ihm ein Gin, der bei einem internationalen Spirituosenwettbewerb eine Goldmedaille gewinnt. Man sieht schon an der Batchnummer auf meiner Kleinflasche (Batch L 1005), dass hier keine Massenmengen produziert werden, im Gegenteil, auch wenn er noch keine Bio-Zertifizierung hat, ist die Herstellung doch praktisch in allen Beziehungen auf Bio-Niveau. Umso mehr freut es mich, dass die Flasche (zugegebenermaßen auf etwas verschlungenen Wegen, dazu mehr am Ende des Artikels) ihren Weg zu mir gefunden hat.
Klar, fehlerfrei, und dabei trotzdem leuchtend und strahlend – optisch macht der Wildwerk7 schonmal echt was her, vor allem für eine klare Spirituose, was hauptsächlich an der öligen Viskosität liegt, mit der sich der Brand träge und schwer im Glas bewegt und dabei entsprechend haftende Artefakte an der Glaswand hinterlässt.
Wieviele verschiedene Gins habe ich in diesem Jahr bei unterschiedlichen Veranstaltungen verkostet – 60? 70? Ich weiß es nicht mehr, aber ich weiß, dass nur wenige davon wirklich noch Wacholder für die Nase bereithielten. Hier ist das anders, Wacholder ist direkt da als Hauptkomponente, klassisch und sauber. Die anderen Botanicals unterfüttern mit einer aparten Mischung aus Gewürz und Floralität, da rieche ich Piment und Kardamom, ein Tick Szechuanpfeffer, eine ganz dezente Note von Lavendel und etwas mehr Rosmarin. Da ist gleichzeitig viel Kraft und viel Frische drin, das klingelt in der Nase, ohne zu pieksen.
Im Mund fällt als erstes auf, dass sich die Optik auch toll in gefühlte Textur überträgt, das ist fett und cremig, breitet sich zügig am Gaumen und und belegt alles. Initiale Süße macht es noch einfacher, den Wildwerk7 im Mund hin und her zu schieben, die sich langsam auffächernden Aromen zu genießen, während die 44% Alkoholgehalt sich zurückhalten. Wacholder, Rosmarin, Kardamom und Piment, das wird schön von der Nase übernommen, gleichzeitig baut sich wirksame Würze und Wärme auf, insbesondere die Zunge fängt langsam an, zu glühen. Beim Abgang bleibt der Gin aktiv, liefert weiterhin ab, wenn der Hauptteil bereits den Rachen hinunterrutscht, mit würzigem Nachhall und angenehmer Pikanz lässt er nur widerwillig los; die Süße vom Anfang bleibt erhalten, ebenso die Cremigkeit, da ist kaum Trockenheit und null Astringenz.
Das hat Kraft, Power, aber ohne Gewalt, Würze, ohne andere Aromen zu überdecken, tolle Struktur und Textur, ohne zu gemütlich zu werden – handwerklich hervorragend gemacht, sauber, klar, dabei dicht und voll. Ein richtig guter Gin klassischer Machart, der sich auf die wichtigen Dinge konzentriert, statt sich in überflüssigen Details zu verlieren. Die ISW-Goldmedaille wundert mich kein bisschen – so ein Gin sticht ohne Mühe aus einer Menge anderer Gins heraus.
Ein Drink, den ich vor Urzeiten in Ted Haigh’s Cocktailbuch Vintage Spirits and Forgotten Cocktails gefunden hatte, ist der Barbara West. Ich habe ihn hier etwas bezüglich des verwendeten Sherrys adaptiert, statt einem Amontillado nehme ich einen PX Sherry, um den Drink etwas schmeichlerischer zu machen. Optional kann man aber auch etwas Zuckersirup zum Amontillado nehmen, um einen ähnlichen Milderungseffekt zu erreichen; der Wildwerk7 eignet sich aber auch deswegen hervorragend für diesen Cocktail, weil seine natürliche Süße bereits den ganzen Drink sehr süffig macht.
Barbara West
2oz / 60ml Dry Gin
1oz / 30ml Amontillado Sherry / optional PX
½oz / 15ml Zitronensaft
1 Spritzer Angostura
Auf Eis shaken.
[Rezept nach unbekannt]
Auffällig ist natürlich die schwarz beklebte Flasche mit der silbernen Aufschrift, irgendwie passt es sowohl zum Inhalt, als auch zum Brenner selbst – ich habe Michael Flunger bei der Gault&Millau-Verkostung für den Genussguide Südtirol in Bozen kennengelernt, und ihn in Schwaz neulich bei Best of Bio 2022 wiedergetroffen, wo er auch in der Jury saß und dieses Fläschchen mitgebracht hatte. Dabei hatte er auch noch eine weitere Überraschung im Gepäck. Als wir in Südtirol über österreichische Spirituosen gesprochen hatten, hatte er sich gemerkt, dass ich noch nie zuvor die Spezialität Krautinger probieren konnte, und entsprechend bekam ich eine Probe davon mitgebracht. Danke, Michael, für den Gin und den Krautinger. Letzteren habe ich inzwischen auch verkostet, doch dieses besondere Erlebnis ist eine ganz andere Geschichte, für eine andere Zeit, für einen anderen Artikel.