Viele wissen es bereits, ich habe es aber nie so richtig kommuniziert – ich mache diesen Blog eigentlich nur als Hobby. Ich bin im „echten Leben“ Softwareentwickler, habe also einen Großteil meines Alltags gar nichts mit Spirituosen zu tun. Das bedeutet nicht, dass meine Kollegen nicht mitbekommen, womit ich den allergrößten Teil meiner Freizeit verschwende, und manche davon haben inzwischen sogar verstanden, dass ich mich trotzdem nicht jeden Tag einfach mit billigem Sprit besaufe. Und so wurde mir neulich, zum Anlass meines 15-jährigen Firmenzugehörigkeitsjubiläum, auch etwas passendes geschenkt: ein üppiger Gutschein für die Winefactory in Saarbrücken. Ach, es ist schön, wenn die Vorgesetzten wissen und verstehen, wie man tickt, und man nicht einfach irgendein nutzloses Geschenk bekommt, mit dem man nichts so recht anfangen kann außer es dann irgendwann weiterzuverschenken.
Natürlich wird so ein Gutschein nicht schlecht bei mir, der wurde am selben Tag noch eingelöst. Den Löwenanteil habe ich in einen fünfzehnjährigen Armagnac (zur persönlichen Feier des fünfzehnjährigen Jubiläums wohl mehr als passend) und den DSM Destillat No. 125 Sizilianische Tarocco Blutorange investiert, der in den mit spannenden Dingen vollgepackten Regalen der Winefactory fast etwas unterging; da ich aber gerade eine Obstbrand-Phase habe, war ich mir schnell sicher, dass sowas in den Warenkorb muss. Es handelt sich dabei um einen Geist (also stammt die Aromatik aus einer Mazeration der Frucht in Neutralalkohol, der dann erneut destilliert wird – nicht, wie bei einem Brand, aus einer Fermentation) aus der sizilianischen Tarocco-Blutorange, die sich mit besonderer Süße und starkem Geschmack für eine Vergeistung natürlich sehr anbietet – sowohl Saft als auch Schale werden bei diesem Destillat verwendet, um die ganze Komplexität der Frucht abbilden zu können. Die Brenner der Deutschen Spirituosen Manufaktur (DSM) in Berlin sind sehr stolz auf ihr Handwerk, verzichten entsprechend auf Zuckerbeigabe oder andere Zusätze, und achten beim Bezug der Rohmaterialien auf Qualität und Nachhaltigkeit. Eine gute Grundlage, mal schauen, was dabei herausgekommen ist!
Optisch ist der Blutorangengeist erwartungsgemäß erstmal klar, ohne Fehler oder Tönung. Er bewegt sich durchaus schwer im Glas, man muss ihn ordentlich in Rotation bringen, bevor er sich die Glaswand hochbequemt – dann bildet er eine hübsche Beinchenwand, die nach dem Ablaufen noch einzelne Tröpfchen zurücklässt.
Die Nase ist sehr expressiv, es kommen direkt und ohne Umschweife Aromen von frischer Zitrusfrucht hervor. Man erkennt klar die Blutorange, zunächst erst die Schale der Frucht, später auch den frischen, frechen Saft, mit seiner ausgeprägten Sonnensüße. Man ahnt schon hier leichte Bitterkeit, bekommt aber weder vom Alkoholgehalt noch von der zestigen Frucht in die Nasenschleimhaut gestochen, das ist beides gut integriert. Eine minimale Getreidenote liegt dem ganzen zugrunde, aber nie störend, höchstens dafür sorgend, dass die Frucht nicht allein da steht. Ein schönes Geruchsprofil, muss ich sagen, gleichzeitig frisch und herb, und süß und dunkelaromatisch.
Dieses Gefühl bleibt auch auf dem Gaumen erhalten, es schwankt immer zwischen der zestigen Kante und der fruchtigen Süße, eben beide Aspekte, die so eine Blutorange anzubieten hat. Schale und Fruchtfleisch schmeckt man, aromatisch voll und rund. Eine dicke, fette Textur trägt das ganze, zusätzlich unterstützt durch wuchtige, aber natürliche Süße. Im Verlauf entwickelt sich eine feurige, pikante Seite, hier kombinieren sich wirksam eingesetzer Alkohol (42%) und die Säure und Bittere der Orange, das brummt und klingelt im Mund, dass es eine Freude ist – ohne dabei zu übertreiben oder ins Wilde zu kippen. Der Abgang schließlich ist dann eher bitter, warm und lang, hinterlässt milde, zestengetriebene Astringenz auf der Zunge und dem Gaumen, die langsam abklingt, und ein warmes, sehr angenehmes Gefühl im Mund und im Rachen hinterlässt. Toll, ein klar und sauber gemachter Geist, linear und die Frucht wunderbar abbildend, der dabei aber nicht eindimensional oder dünn wirkt, sondern eine breite Spur aus Gaumenfreude erzeugt, die wunderbar erfrischt und gleichzeitig wärmt.
Bei manchen Geisten habe ich Sorgen, dass sie im Cocktail etwas untergehen, beim DSM Destillat No. 125 Sizilianische Tarocco Blutorange denke ich nichtmal ansatzweise an solche Probleme – dieser Geist wird, egal in welcher Rezeptur, dominant durchscheinen und leuchten. Im Dopo Cena zum Beispiel, ein herrlicher Drink für den Sommer, vollaromatisch und komplex. Davon hab ich mir direkt zwei gemacht, an diesen heißen Tagen eine Wohltat.
Dopo Cena
1oz / 30ml Blutorangengeist
1oz / 30ml Amaretto
½oz / 15ml Maraschino-Likör
1oz / 30ml Zitronensaft
1 Teelöffel Zuckersirup
1 Eiweiß
1 Spritzer Angostura
Auf Eis shaken. Mit Maraschino-Kirschen servieren.
[Rezept nach Adrian Gomes]
Die kleine 350ml-Flasche im Apothekerstil ist hübsch mit Details versehen, um sie optisch attraktiv zu machen, ohne dabei auf grelle Gimmicks zurückzugreifen – was gelungen ist, finde ich. Das Etikett gefällt mit der Mischung aus Vordruck und handausgefüllten Informationen über die Fruchtsorte, den Jahrgang, die Flaschennummer und die Art der Herstellung. Ein echter Korken hat als einzige Dekoration einen rundköpfigen Nagel, das ist wirklich extravagant, soetwas sieht man selten, das Auge bleibt vielleicht gerade deswegen daran hängen.


Was bleibt am Ende? Natürlich eine tolle Spirituose, handwerklich ohne Zweifel gut gemacht, in einer schönen Präsentation. DSM Destillat No. 125 Sizilianische Tarocco Blutorange steht bei mir erst seit ein paar Wochen im Regal, ist aber schon halb leer – das ist für mich immer das Zeichen, dass es eine Spirituose ist, die ich gern mal schnell herausziehe, wenn ich Lust auf etwas zum langsamen Schlürfen habe und dabei nicht lang überlegen möchte, was ich trinken will (und ich hoffe, meine Leser:innen verstehen, dass das ein extrem großes Kompliment ist). Gerade bei den aktuellen Temperaturen im Jahrhundertsommer 2022 ist so ein frischer, leichter, und trotzdem hocharomatischer Geist aber auch ein No-Brainer, finde ich! Da vergisst man schnell Jenkins-Jobs, Maven-Abhängigkeiten, Github-Pullrequests, OWASP-Scans und JMeter-Tests, und lässt sich angenehm vom Genuss treiben, statt dauernd zu analysieren.
Ein Kommentar zu “Der Geist des Sommers – DSM Destillat No. 125 Sizilianische Tarocco Blutorange”