Ich habe in den letzten Jahren sehr viele Dutzende von Baijius probiert, hauptsächlich im Zuge meiner Tätigkeit als Spirituosenjuror bei Spirits Selection by Concours Mondial de Bruxelles, wo jedes Jahr mehrere Hundert Sorten eingereicht werden. Die allermeisten davon sind rein in China erhältliche Marken, die den Wettbewerb für regionales Marketing nutzen wollen – auch in China ist eine Medaille, vergeben von einer internationalen Jury, für die Kunden etwas wert, damit kann man sagen: Sogar die Langnasen im Westen mögen unser Produkt, also ist es super! Ein Export in den Westen ist vielleicht in ferner Zukunft interessant für diese Hersteller, doch im Augenblick ist der Markt hierzulande einfach zu klein für viele Sorten Baijiu.
Andere Hersteller exportieren schon länger nach Europa. Dazu gehört Wuliangye Yibin Company Limited, der nach (schon etwas älteren) Zahlen der größte Baijiu-Hersteller ist; deren Produkte konnte man schon vor Jahren auch hier in Deutschland erwerben. Dass der westliche Gaumen nicht derselbe ist wie der chinesische, was Spirituosen angeht, wurde aber jedem Beteiligten schnell klar, die Verbreitung von Baijiu außerhalb Chinas ist eher mau. Man versucht nun, dieser Gegebenheit entgegen zu kommen mit speziell für den Export designten Sorten: Das Dreierset Wuliangye Flamma (五粮液火爆, pinyin huǒbào) entspringt diesem Gedanken, die Welten zusammenzubringen.
Wir verkosten von links nach rechts, was bedeutet, von leicht nach stark. Man erkennt das schon auf den kleinen Flammensymbolen auf der Flasche, beim „Blau“ ist eine der Flämmchen ausgefüllt, beim „Gold“ zwei, und beim „Rot“ am Ende alle drei.
Wuliangye Flamma Blau ist für einen Baijiu mit extrem niedrigen 33% Alkoholgehalt ausgestattet. Bei vielen Spirituosen gibt es in verschiedenen Gesetzgebungen Mindestalkoholgehalte, wie bei Rum in der EU 37,5% oder ähnliches – mir ist nicht bekannt, dass für Baijiu solche Regelungen existieren. Ich müsste da tatsächlich mal dringend recherchieren.
Die Farbe ist baijiutypisch klar, eine leichte Viskosität ist beim Schwenken sichtbar: es bildet sich ein Beinchenteppich, der praktisch in dem Moment abläuft, in dem man das Glas ruhiger hält. und hinterlässt dann nur einzelne Tröpfchen an der Glaswand. In der Nase ist sehr viel Anis, mehr, als bei vielen anderen Starkaroma-Baijius, die ich sonst so kenne, Fenchel und dazu etwas Lakritz. Eine deutliche Autoreifennote und Erinnerungen an frisch aufgebrachten Straßenteer ist für die westliche Nase zunächst ungewohnt. Starke Ananas- und leichte Bitterorangentöne hellen das aber wieder auf und sorgen für die typische Baijiunase.
Der Antrunk ist direkt trocken, leicht säuerlich, und auch hier vom Anis dominiert. Das ist dabei aber nicht zu vergleichen mit einem Ouzo oder türkischen Raki, die Gummi- und Plastiktöne, die zu diesem Baijiu gehören, bringen eine ganz andere, nur fern verwandte Tönung hinein. Im Verlauf nähern wir uns aber einem trockenen Ouzo immer mehr an, die krautigen Fenchel- und Süßholznoten kommen nach vorn und verdrängen das Teer. Eine milde Wärme entsteht, die Zunge und Gaumen minimal zum Prickeln bringt, zurückhaltende Adstringenz saugt einem die Spucke weg. Der Abgang ist dann kurz, fruchtigkräuterig, geht dann doch noch ins Süße (ich fühle mich an Keksteig mit Vanille erinnert) und Blumige über, und klingt dann warm und sehr mild aus.
Der Wuliangye Flamma Blau ist ein sehr leichter Baijiu, der trotzdem eine sehr typische Aromatik für den Stil des Starkaroma mitbringt. Gerade der Abgang ist sehr fein, auch wenn der westliche Gaumen erstmal über den herben Antrunk hinwegkommen muss. Dennoch: das ist sehr interessant, auch für mich, der ich normalerweise stärkere Produkte kenne.
Gehen wir zur nächsten Stufe über – ein Glas des Wuliangye Flamma Gold soll mir den Unterschied zeigen, den 9% mehr Alkoholgehalt aus dem Produkt herausholen können. Farblich hat sich nur der Balken auf dem kleinen Fläschchen geändert, die Flüssigkeit selbst bleibt natürlich vollkommen farblos. Man sieht allerdings, dass die Beinchen schon etwas langsamer ablaufen. Auch in der Nase spürt man die Veränderung: Da ist viel weniger Anis, Gummi und Teer als beim blauen Flamma, auch wenn es noch da ist. Eine erdigere Komponente übernimmt stattdessen, getreidig und nach sehr stark verrottetem Obst riechend. Fermentierte Pfirsiche, und weiße Gummibärchen, das ist ein klassisches Beispiel, wie der Flamma Gold riecht. Auch nimmt man nun einen minimalen Alkoholhauch wahr.
Noch stärker ist die Säure im Antrunk präsent, diese baut sich dann im Verlauf sogar noch sehr deutlich aus. Lakritz und Teer, schon fast verflüssigte Ananas, braunverfärbte Banane, dazu eine knackige Trockenheit, die mit einer starken Bittere einhergeht: Das ist kein Wohlfühlgetränk, eigentlich die Antithese dazu. Minze, Eukalyptus, weißer Pfeffer, Kardamom – später wirkt der Flamma Gold dann sehr frisch, erinnert etwas an ein sehr starkes Hustenbonbon, aus dem milden Lakritz entwickelt sich freches Salmiak. Im Abgang verschwindet das dann schnell, der Gaumen ist blitzeblank von allen vielleicht zuvor noch dagewesenen Eindrücken, ein Hauch von Ethanol klingt etwas nach, mit einem krautigen, süßholzigen, kardamomfrischen Glühen.
Das ist schon eine ganz andere Kategorie, mit 42% Alkoholgehalt hat der Gold nicht viel mehr als der Blau, die Aromatik ist aber sehr viel strenger, frischer, voller. Hier gilt es, falls sich jemand nach meiner Beschreibung fragt, warum man sowas trinken sollte, zu erinnern: Normalerweise trinkt man Baijiu zu Essen, sehr würzigem, scharfen und fetten Essen. Da, und ich weiß, wovon ich rede, ist so ein Brand wirklich willkommen: Ein großes, vielgängiges chinesisches Essen profitiert ganz enorm von einem Baijiu wie dem Wuliangye Flamma Gold (und umgekehrt). Beim nächsten All-you-can-Eat-Buffet beim Chinesen vor Ort einfach mal ausprobieren!
Die letzte Ausprägung des Flamma-Sets ist schließlich der Wuliangye Flamma Rot. Rote Warnfarbe, drei brennende Symbole, nur klein dagegen der Hinweis auf die für Baijiu-Verhältnisse gar nicht übermäßig ungewöhnliche Alkoholstärke von 58%. Wir trauen uns trotzdem dran.
Auch hier – die Nase ist diese faszinierende Mischung aus verrottender Frucht und Anis. Wie es bei Baijiu oft ist, ist eben wegen des hohen Alkoholgehalts der Anteil der oft etwas störend wirkenden Fuselstoffe am geringsten. Kaum Gummi, kaum Teer. Milde Düfte von Sojasauce und Parmesan geben etwas Würze, eine beinahe schon minzige Frische kitzelt in der Base. Vom Geruch her ist der Flamma Rot sicherlich der Gewinner des Trios.
Der Antrunk beginnt süßlich, dieser Eindruck verschwindet aber schnell und macht einer heftigen Trockenheit platz, mit viel Adstringenz und Schleimhautanwärmung. Minze, Anis, Fenchel wirken frisch, und Radicchiobittere sorgt für den Reinigungseffekt am Gaumen, den man bei Baijiu immer haben will. Danach wandelt es sich zu Bitterschokolade und Espresso, bleibt also bitter, aber in würzigerer Form. Salmiakpastillen und Lakritze sind typisch, eine leichte Salzigkeit und deutliche Umamieindrücke ebenso. Der Abgang ist kurz, sehr warm, der Baijiu läuft gemächlich die Speiseröhre runter und wärmt diese langsam Schritt für Schritt, ohne auch nur im Geringsten zu kratzen. Am Ende ist noch etwas Fenchel, Teer und Gummi im Nachhall, das sich mit dem Getreidigen der Hirse aus dem Basismaterial verbindet und ein schönes Mundgefühl hinterlässt. Für mich persönlich ist Baijiu eine Spirituose, die von hohem Alkoholgehalt profitiert; beim Flamma Rot ist dies klar zu erkennen.
Mixed Drinks und Baijiu, das kann kompliziert sein. In vielen Rezepten übernimmt Baijiu die komplette Aromatik und drückt alles andere weg. Im Nuclear Banana Daiquiri setzt man normalerweise ungereiften Overproof-Rum ein, und hier zeigt sich erneut die Nähe, die diese Spirituosen teilen: Mit beispielsweise dem Wuliangye Flamma Rot kriegt man hier ein prächtiges Tropifrutti-Aromenspiel. Ich nehme eigentlich immer Chartreuse Verte statt Jaune, das gibt mehr Charakter, und ein kräftiges Falernum statt meines sonst üblichen zarten Velvet Falernum sorgt für zusätzlich Körper.
Nuclear Banana Daiquiri
1 oz / 30ml ungereifter Overproof-Rum (oder, noch interessanter: Baijiu)
⅔ oz / 20ml Chartreuse jaune (verte für die Profis)
⅔ oz / 20ml Falernum
⅔ oz / 20ml Limettensaft
½ Banane
Auf Eis blenden. Mit Bananenscheibe und Sternanis dekorieren.
[Rezept nach Gregor de Gruyter]
Sehr nett sind die Flaschen aufgemacht – ganz im Gegensatz zu den sonst bei Baijiu durchaus üblichen Kitscheffekten, Plastikgold und Materialschlachten sind die drei Flammen sehr dezent gestaltet. Dass die drei Sorten mit zunehmendem Alkoholgehalt auch immer mattierter werden, ist ein hübscher Effekt. Auch, dass man hier nicht große Marketinggeschichten erzählt, sondern die Steigerung des Alkoholgehalts über diese Flammensymbole darstellt, finde ich sehr apart, das erinnert irgendwie an diese ultrascharfen Chilisaucen, bei denen man sich von unten an die Königsklasse herantasten kann. Auch die Füllmenge ist gut gewählt: Kleine Fläschchen, bei denen man erstmal ausprobieren kann, und nicht gleich 750ml kaufen muss, das ist selbstbewusste Kundenfreundlichkeit.
Die Frage, wo man das kaufen kann, muss ich endlich mal nicht mit „selbst aus China importieren!“ beantworten – es hat sich ein Importeur gefunden, der verschiedene Sorten Baijiu in Deutschland zu vernünftigen Preisen und in überraschender Vielfalt anbietet. Das ist noch keine Situation wie bei anderen Spirituosen, aber allein, dass man nun rund 10 Sorten Baijiu verschiedener Stile und Hersteller einfach so gut kaufen kann (sogar ein Ladengeschäft in Köln gibt es!), ist schon sehr zufriedenstellend.
Offenlegung: Ich danke der Jaxin Wein & Spirituosen GmbH für die kosten- und bedingungslose Zusendung dieses Baijiu-Sets.
Ein Kommentar zu “Feueralarm – Wuliangye Flamma (五粮液火爆)”