Fasern und Ton – Mezcal Vago Ensamble en Barro by Tío Rey

Mezcal Vago Ensamble en Barro by Tío Rey Titel

Man sieht es im Titel – da haben wir schon wieder so eine Spirituose, bei der man erstmal gar nicht weiß, was die ganzen Namensbestandteile bedeuten. Es gehört natürlich mit zu meinem Leserservice, dies aufzuschlüsseln, schließlich hat man als Schnapsblogger, ich wiederhole mich gerne, auch einen Bildungsauftrag. Was verbirgt sich also hinter dem unhandlichen Namen Mezcal Vago Ensamble en Barro by Tío Rey?

„Mezcal Vago“ ist natürlich erstmal der Markenname, so weit, so gut. „Ensamble“ bedeutet, dass hier eine Mischung von Agavensorten als Rohmaterial eingesetzt wurden. Das lässt sich hier sogar sehr genau auf dem Etikett nachvollziehen – 80% Espadín, 20% Coyote. Es werden für jeden Batch die eben reifen, verfügbaren Agaven genutzt, kein Batch gleicht darum dem anderen. Gekocht werden die Agaven 2 bis 3 Tage in einer Erd- oder Steingrube, befeuert mit Eichenholz. Danach werden sie von Hand in einem Trog zerkleinert. Die Fermentation holt sich die Hefen aus der lokalen Luft, während sie in 1000l-Pinienholzfässern und ausgehöhlten Zedernholzstämmen („Canoa de Sabino“) vor sich hin brodelt. Zu guter letzt erfolgt die doppelte Destillation direkt auf einen Zielalkoholgehalt von 48,3% hin (es findet kein Zusatz von Wasser statt), und die ist das sehr Spezielle hier: Brennmeister Salomón `Rey „Tío Rey“ Rodriguez verwendet dafür in seiner Palenque in Gulerá, Sola de Vega/Oaxaca (NOM 0188X), kleine 50l-Potstills aus Ton („olla de barro“ – hier also das letzte Namensdetail). Entsprechend dieser sehr aufwändigen Produktionsmethode entstehen auch nur winzige Abfüllmengen – nur knapp über 500 Liter sind für diese Abfüllung 2019 hergestellt worden.

So, damit sollten wir alle Fragezeichen geklärt haben! Dem Genuss steht nichts mehr im Weg!

Mezcal Vago Ensamble en Barro by Tío Rey

Ungereifter Mezcal ist natürlich klar, idealerweise brilliant und ohne jeden Fehleinschluss von Partikeln oder ähnlichem. All das sieht man bereits in der Flasche, im Glas kann man zusätzlich beim Schwenken noch die leichte Öligkeit wahrnehmen, die dafür sorgt, dass die Flüssigkeit nach dem Drehen des Glases ziemlich schnell wieder still steht. An der Glaswand laufen klar voneinander abgrenzbare Beine dick und langsam ab.

Die Nase beginnt mit einer klaren Rauchkomponente, nicht speckig oder dreckig, sondern sauber, wie von einem Stück frisch angezündeter Holzkohle. Nur initial riecht man das im Vordergrund, schnell geht dieser Rauch in die paradoxerweise oft verwandte dunkle Fruchtnote von Pflaume und reifem Pfirsich über. Im Verlauf wandelt sich das sogar in frischere tropische Frucht, Papaya und Ananas. Gegen Ende finde ich darüber hinaus noch Rosenblüten und eine dazu überraschend orthogonale Note von Leder und Kaffee. Man sieht, ein buntes Aromenspiel in viele Richtungen, komplex und spannend. Ein leichter Alkoholhauch lässt das ganze dann aber doch erwachsen und nicht überschmeichelnd erscheinen.

Mezcal Vago Ensamble en Barro by Tío Rey Glas

Ein sehr weicher Antrunk läutet die Geschmacksverkostung ein, süß, rund. Hier spielen Rauch und Frucht weiter miteinander; während bei der Nase letztere gewann, behält hier ersterer über lange Zeit die Oberhand. Ein ledriger, trockener, warmer Rauch, wie aus einer würzigen Zigarre, und nicht wie ein speckiger Braten. Kakao entdecke ich als dunklen Unterbau, mit Eindrücken von Vanille, vielleicht etwas Kokos und gebräunten Zucker. Im Verlauf entsteht Stück für Stück immer mehr Wärme und Pikanz, gegen Ende ist das dann sogar feurig und heiß, ohne alkoholisch zu wirken – dazu wächst die Agavenaromatik mit jeder Sekunde. Trotz der deutlich adstringierenden Trockenheit bleibt eine feine, süßlichcremige Textur; im langen, sehr warmen und hocharomatischen Nachhall kommen wieder ein bisschen Blüten und grasig-grüne Komponenten dazu.

Tío Rey hat mit diesem Mezcal den für mich perfekten Punkt zwischen Rauch und Agavenfrucht getroffen, die beiden kombinieren sich hier aufs Angenehmste, und es entsteht ein extrem komplexes Destillat, das alles zeigt, was guten Mezcal ausmacht. Hier fehlt einem auch kein Fass, man hat zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, einen ungereiften Brand vor sich zu haben – er ist schlicht und ergreifend „reif“, ohne „gealtert“ zu sein.

Laut Robert Simonson, aus dessen neuem (und übrigens sehr empfehlenswerten!) Cocktailbuch „Mezcal + Tequila Cocktails“ ich den Ztinger hier wiedergebe, gehen Mezcal und Minzlikör immer gut zusammen. Er ist natürlich eine mexikanische Variante auf den klassischen Stinger, so schon ein Cocktail, den ich sehr mag – und mit dem Vago hier wird daraus ein erdiger Drink mit einer coolen Frischekante am Schluss.

Ztinger Cocktail


Ztinger
2¼ oz Mezcal
¾ oz Crème de Menthe (weiß)
Auf Eis rühren.

[Rezept nach Robert Simonson]


Natürlich, da bin ich ehrlich, habe ich mir diese Abfüllung zugelegt, weil mein Nachname so prominent auf dem Etikett steht. Das ist ja fast wie eine personalisierte Flasche, auch wenn es reiner Zufall ist, dass mein Nachname im Spanischen eine Bedeutung hat. Auf das Etikett will ich aber trotzdem noch separat eingehen: Die grobe Struktur und die fühlbare Dicke des Etiketts stammt daher, dass es vollständig aus recycleter Agavenfaser besteht. Eric Rodriguez von El Artesano Taller de Papel stellt kunstvolle Papiere aus den Resten der Mezcalproduktion her, eine nachhaltige und traditionelle Weise der Wiederverwendung, die neben diesen schon für sich allein wertvollen Eigenschaften auch einfach sehr cool aussieht. Ich bin auch dankbar, dass so ein hochwertig hergestelltes Etikett nicht mit irgendeinem Marketinggelaber zugemüllt wird, sondern stilistisch reduziert ebenso wertvolle Informationen zum Flascheninhalt liefert – die ganze Präsentation konzentriert sich darauf, den Mezcal selbst zu betonen, statt irgendwelcher Luftschlösser. Damit punktet man bei mir schon; und da der Mezcal an sich auch alle Erwartungen noch übertrifft, kann ich jedem Agavenfreund nur dazu raten, die zugegebenermaßen hohen Investitionskosten von rund 90€ zu tragen. Hier bezahlt man neben einem tollen Geschmack einfach wirklich auch Tradition, Handwerk und Nachhaltigkeit. Da ist jeder Cent gut angelegt.

Veröffentlicht von schlimmerdurst

Hüte dich vor denen, die nur Wasser trinken und sich am nächsten Tag daran erinnern, was die anderen am Abend zuvor gesagt haben.

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